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Lexikon der Mathematik: Riemannsche Geometrie

Riemannsche Geometrie ist die Theorie der geometrischen Eigenschaften der n-dimensionalen Riemannschen Mannigfaltigkeiten.

Ihre Grundbegriffe sind n-dimensionale Verallgemeinerungen von Begriffen der inneren Geometrie der 2-dimensionalen Flächen des 3-dimensionalen Raumes \({{\mathbb{R}}}^{3}\), und die Flächentheorie ist eine ihrer historischen Wurzeln. Daneben war aus historischer Sicht die Frage nach einer Realisierung der nichteuklidischen Geometrie Antrieb bei der Suche nach Begriffen, die die in der Flächentheorie gegebenen Verhältnisse verallgemeinern.

Den entscheidenden Anstoß gab Riemann 1854 in seinem Habilitationsvortrag „Über die Hypothesen, die der Geometrie zugrunde liegen“, in dem er die nach ihm benannten Mannigfaltigkeiten einführte. Sie erschlossen völlig neuartige Geometrien und dienen noch heute als Prinzip zur Klassifizierung neuer Raumformen. Die Allgemeinheit dieses Begriffes und die auf ihm gründende Methodik ermöglichten Albert Einstein durch Übergang zu pseudo-Riemannschen Mannigfaltigkeiten die Grundlegung der Relativitätstheorie.

Es sei M eine n-dimensionale Riemannsche Mannigfaltigkeit mit der Riemannschen Metrikg. Diese ist eine differenzierbare Abbildung, die jedem Punkt xM eine symmetrische Bilinearform \begin{eqnarray}{g}_{x}:{T}_{x}(M)\times {T}_{x}(M)\to {\mathbb{R}}\end{eqnarray} des Tangentialraumes Tx(M) von M im Punkt x zuordnet. Die elementargeometrischen Grundgrößen von M sind die Bogenlänge l(γ) von Kurven γ in M, der innere oder natürliche Abstand d(x, y) von Punkten x, yM, die Winkelmessung zwischen Tangentialvektoren, die Volumenform ωg sowie andere aus g abgeleitete Metriken auf den Räumen \(\wedge^{k}({T}_{x}^{* }(M))\) der Differentialformen k-ter Stufe, die die Definition und das Berechnen von Inhalten sowie die Integration über k-dimensionale Untermannigfaltigkeiten ermöglichen.

Ist g positiv definit, so wird M mit dem Riemannschen Abstandd(x, y) ein metrischer Raum. Die Abstandsfunktion d(x, y) ist als die größte untere Schranke aller Längen von stückweise glatten, x und y verbindenden, Kurven definiert. Dann erfüllt d die Axiome einer Abstandsfunktion, d. h., es ist d(x, y) = 0 genau dann wenn x = y, es gilt d(x, y) = d(y, x), und ebenso die Dreiecksungleichung \begin{eqnarray}d(x,y)+d(y,z)\ge d(x,z)\end{eqnarray} für alle x, y, zM.

Viele der von Geraden in \({{\mathbb{R}}}^{3}\) oder \({{\mathbb{R}}}^{2}\) bekannten geometrischen Eigenschaften werden von den geodätischen Kurven (Geodätische) γ(t) verallgemeinert. Geodätische definiert man als stationäre Punkte des Längenfunktionals \begin{eqnarray}l(\gamma )=\displaystyle \underset{{t}_{1}}{\overset{{t}_{2}}{\int }}\sqrt{g\left(\frac{d\gamma }{dt},\frac{d\gamma }{dt}\right)}dt=\displaystyle \underset{{t}_{1}}{\overset{{t}_{2}}{\int }}\left|\frac{d\gamma }{dt}\right|dt,\end{eqnarray} wobei \({t}_{1,}{t}_{2}\in {\mathbb{R}}\) die Endpunkte des Intervalls sind, auf dem γ definiert ist, und die Betragsstriche die Länge \(|t|=\sqrt{g(t, t)}\) eines Tangentialvektors bezeichnen. Sie sind „im Kleinen Kürzeste“, d. h., sind x1 = γ(t1) und x2 = γ(t2) zwei Punkte einer Geodätischen, die keinen zu großen Abstand voneinander haben, so ist das zwischen x1 und x2 gelegene Stück von γ die kürzeste Verbindungskurve von x1 und x2. Insbesondere stimmt der Kurvenparameter t einer Geodätischen γ(t) bis auf affine Transformationen tmt + n mit deren Bogenlänge überein.

Es gibt in Analogie zur Geometrie der Geraden im Euklidischen Raum zu jedem Punkt xM und jedem Tangentialvektor \({\mathfrak{t}}\in {T}_{x}(M)\) genau eine Geodätische γ(s) mit dem Anfangspunkt γ(0) = x und der Anfangsrichtung \(\dot{\gamma }(0)={\mathfrak{t}}\), die aber i. allg. nur auf einem gewissen Intervall 0 < t< ε ≺ definiert ist.

Wird die Abhängigkeit der Geodätischen von x und \({\mathfrak{t}}\) durch \({\mathfrak{s}}\in {K}_{\varepsilon }(0)\) verbindenden Geradensegmente in geodätische Strahlen von M ab. Diese Strahlen gehen von x aus und treffen den Rand \({\exp }_{\text{x}}({S}_{\varepsilon }(0))\) von N senkrecht. N heißt Normalumgebung von x in M. Ist ε hinreichend klein, so ist die Normalumgebung eine konvexe Umgebung, d.h., zu je zwei Punkten y1, y2N gibt es eine eindeutig bestimmte geodätische Verbindungskurve, die gleichzeitig auch die kürzeste Verbindungskurve zwischen y1 und y2 ist.

Im allgemeinen müssen Geodätische nicht bis zu beliebigen Parameterwerten ausdehnbar sein. Davon kann man sich überzeugen, indem man aus einer Geodätischen γM einen Punkt x entfernt. Die komplementäre Mannigfaltigkeit M \ {x} ist weiterhin Riemannsch, und die beiden verbleibenden Segmente von γ \ {x} sind auch in M \ {x} Geodätische, deren Verlauf aber im Punkt x unterbrochen ist. Eine Riemannsche Mannigfaltigkeit M heißt vollständig, wenn jede Geodätische als parametrische Kurve auf ganz ℝ definiert ist. Der so definierte Vollständigkeitsbegriff stimmt nach dem Satz von Hopf-Rinow mit dem Vollständigkeitsbegriff der Theorie der metrischen Räum überein.

Der Injektivitätsradius dx einer vollständigen Riemannschen Mannigfaltigkeit M im Punkt xM ist die untere Grenze der Längen aller von x in alle möglichen Richtungen ausgehenden Geodätischen, die gleichzeitig kürzeste Verbindungskurve zwischen x und ihrem Endpunkt sind. Zum Beispiel sind die von einem Punkt x einer Sphäre \({S}_{r}^{n}\subset {{\mathbb{R}}}^{n+1}\) ausgehenden Geodätischen Segmente \({\mathcal{K}}\) von Großkreisen von \({{\mathcal{S}}}_{r}^{n}\), die x mit einem anderen Punkt \(y\in {{\mathcal{S}}}_{r}^{n}\) verbinden. Ein Segment \({\mathcal{K}}\) ist genau dann kürzeste Verbindungskurve von x mit y, wenn seine Länge nicht größer als π r ist. Der Injektivitätsradius dx von \({{\mathcal{S}}}_{r}^{n}\) ist daher in allen Punkten \(x\in {{\mathcal{S}}}_{r}^{n}\) gleich diesem Wert.

Außer durch metrische Eigenschaften ist die Riemannsche Geometrie durch Krümmungsgrößen bestimmt, die sich als differentielle Invarianten zweiter Ordnung aus dem metrischen Fundamentaltensor ergeben. Eine anschauliche Deutung gibt in der Flächenteorie die Gaußsche Krümmung. In höheren Dimensionen ist die Beschreibung der Krümmungsverhältnisse komplexer. Sie erfolgt durch den Riemannschen KrümmungstensorK, aus dem sich andere Krümmungsgrößen wie der Ricci-Tensor, die SchnittkrümmungKσ oder die skalare Krümmung durch tensorielle Operationen ableiten lassen. Er enthält alle wesentlichen Krümmungsinformationen.

Aus manchen Eigenschaften dieser Krümmungsfunktionen kann man auf topologische Eigenschaften der Mannigfaltigkeit M schließen. Die Krüm mungseigenschaften haben lokalen Charakter, d. h, sie sind vom Verhalten von K in den Umgebungen der Punkte von M bestimmt, während topologische Eigenschaften die Mannigfaltigkeit im Großen beschreiben. Die globale Riemannsche Geometrie untersucht den wechselseitigen Einfluß von lokalen und globalen Eigenschaften.

Da die Gesamtheit der Riemannschen Mannigfaltigkeiten unübersehbar groß ist, untersucht man spezielle einfachere Riemannschen Mannigfaltigkeiten, die durch zusätzliche Strukturen, z. B. eine mit g verträgliche komplexe Struktur oder die transitive Wirkung einer Lie-Gruppe G von Isometrien definiert werden. Im ersten Fall gelangt man zu Hermiteschen Mannigfaltigkeiten, im zweiten Fall zu homogenen Riemannschen Räumen. Homogene Riemannsche Räume sind vollständig. Ihr Krümmungstensor steht in enger Beziehung zum Kommutator der Lie-Algebra \({\mathfrak{g}}\) der Isometriegruppe G. Ist G eine Lie-Gruppe und KG eine kompakte Untergruppe, so besitzt der Faktorraum G/K, d. h., die Menge aller Nebenklassen \begin{eqnarray}gK=\{{g}_{1}\in G;{g}_{1}^{-1}g\in K\},\end{eqnarray} die Struktur einer homogenen Riemannschen Mannigfaltigkeit.

Eine wichtige Klasse homogener Riemannscher Räume sind die symmetrischen. Um diesen Begriff zu erklären, definiert man zunächst die geodätische Spiegelung sx in einer Umgebung eines Punktes x einer Riemannschen Mannigfaltigkeit M, indem man die Punktspiegelung \begin{eqnarray}{s}_{0}:{\mathfrak{s}}\in {T}_{x}(M)\to -{\mathfrak{s}}\in {T}_{x}(M)\end{eqnarray} des Tangentialraumes am Ursprung mit Hilfe der Exponentialabbildung in eine Abbildung \({s}_{x}={\exp }_{\text{x}}\circ {s}_{0}\circ {\exp }_{\text{x}}^{-1}\) der Normalumgebung überführt. M wird symmetrischer Raum genannt, wenn sx für jeden Punkt xM eine isometrische Abbildung ist. Aus dieser Eigenschaft ergibt sich zunächst, daß M homogen und vollständig ist. Weitere Folgerungen führen bis zur Klassifizierung der symmetrischen Räume.

Literatur

[1] Gromoll, D.; Klingenberg, W.; Meyer, W.: Riemannsche Geometrie im Großen. Springer-Verlag Berlin/Heidelberg/New York, 1968.

[2] Helgason, S.: Differential Geometry and Symmetric Spaces. Academic Press New York, 1962.

[3] Klotzek, B.: Einführung in die Differentialgeometrie II. Deutscher Verlag der Wissenschaften, 1981.

  • Die Autoren
- Prof. Dr. Guido Walz

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