Lexikon der Mathematik: schlichte Funktion
eine in einem GebietG ⊂ ℂ holomorphe Funktionf, die injektiv in G ist, d. h. sind z1, z2 ∈ G mit z1 ≠ z2, so ist f (z1) ≠ f(z2).
Ist f schlicht in G, so ist f eine konforme Abbildung des Gebietes G auf das Gebiet f(G). Eine notwendige aber im allgemeinen nicht hinreichende Bedingung für die Schlichtheit von f in G ist f′(z) ≠ 0 für alle z ∈ G. Für eine hinreichende Bedingung sei auf den Satz von Noshiro-Warschawski verwiesen. Ist f eine in ganz ℂ schlichte Funktion, so ist f von der Form f (z) = az + b mit a, b ∈ ℂ und a ≠ 0.
Man nennt eine in G holomorphe Funktion f lokal schlicht in G, falls es zu jedem Punkt z0 ∈ G eine offene Kreisscheibe Br(z0) ⊂ G gibt, in der f schlicht ist. Dies ist genau dann der Fall, wenn f′(z) ≠ 0 für alle z ∈ G.
Eine besondere Rolle spielt die Klasse \({\mathscr{S}}\) aller in der offenen Einheitskreisscheibe \({\mathbb{E}}\) schlichten Funktionen f mit f(0) = 0 und f′(0) = 1. Die in einem gewissen Sinne wichtigste Funktion in \({\mathscr{S}}\) ist die Koebe-Funktion. Zentrale Ergebnisse über Funktionen \(f\in {\mathscr{S}}\) sind z. B. der Satz von de Branges (Bieberbachsche Vermutung), der Koebesche 1/4-Satz und der Koebe-Fabersche Verzerrungssatz. Aus letzterem folgt insbesondere, daß S eine normale Familie ist.
Von Interesse sind auch Teilklassen von \(f\in {\mathscr{S}}\), von denen hier drei behandelt werden.
(1) Eine Funktion \(f\in {\mathscr{S}}\) heißt konvex, falls das Bildgebiet \(f\text{(}{\mathbb{E}}\text{)}\) eine konvexe Menge ist. Die Klasse aller dieser Funktionen wird mit \({\mathscr{C}}\) bezeichnet. Eine in \({\mathbb{E}}\) holomorphe Funktion f mit f(0) = 0 und f′ (0) = 1 gehört zu \({\mathscr{C}}\) genau dann, wenn
Die Funktion ℓ, definiert durch ℓ(z) ≔ z/(1 – z), liegt in \({\mathscr{C}}\), denn es gilt
Für die Klasse \({\mathscr{C}}\) gilt die folgende Verschärfung des Satzes von de Branges.
Es sei\(f\in {\mathscr{C}}\)und\(f(z)=z+\displaystyle {\sum }_{n=2}^{\infty }{a}_{n}{z}^{n}\)die Taylor-Reihe von f um 0. Dann gilt |an| ≤ 1 für alle n ≥ 2. Ist |an| = 1 für ein n ≥ 2, so ist f eine Rotation der Funktion ℓ, d. h. f (z) = e−iϕℓ(eiϕz) mit einem ϕ ∈ ℝ.
Ebenso gilt eine Verschärfung des Koebeschen 1/4-Satzes.
Es sei\(f\in {\mathscr{C}}\). Dann enthält das Bildgebiet\(f({\mathbb{E}})\)die offene Kreisscheibe B1/2(0) mit Mittelpunkt 0 und Radius\(\frac{1}{2}\).
Die Aussage dieses Satzes ist bestmöglich, wie man am Beispiel der Funktion ℓ erkennt.
(2) Eine Funktion \(f\in {\mathscr{S}}\) heißt sternförmig, falls das Bildgebiet \(f({\mathbb{E}})\) ein Sterngebiet mit Zentrum 0 ist. Die Klasse aller dieser Funktionen wird mit \({\mathscr{S}}\text{*}\) bezeichnet. Offensichtlich gilt \({\mathscr{C}}\subset {\mathscr{S}}\text{*}\). Die Koebe-Funktion k liegt in \({\mathscr{S}}\text{*}\), aber nicht in \({\mathscr{C}}\). Eine in \({\mathbb{E}}\) holomorphe Funktion f mit f(0) = 0 und f′ (0) = 1 gehört zu \({\mathscr{S}}\text{*}\) genau dann, wenn
Weiter ist \(f\in {\mathscr{C}}\) genau dann, wenn \(zf^{\prime} (z)\in {\mathscr{S}}\text{*}\). Man beachte, daß zℓ′(z) = k(z).
(3) Eine in \({\mathbb{E}}\) holomorphe Funktion f mit f(0) = 0 und f′ (0) = 1 heißt fast-konvex, falls eine in \({\mathbb{E}}\) holomorphe Funktion g existiert derart, daß das Bildgebiet \(g\text{(}{\mathbb{E}}\text{)}\) konvex ist und
Manche Autoren fassen den Begriff einer in G schlichten Funktion f etwas allgemeiner und lassen zu, daß f eine in Gmeromorphe Funktion ist. In diesem Fall besitzt f höchstens eine Polstelle in G. Ist z0 ∈ G eine Polstelle von f, so hat z0 die Polstellenordnung 1.
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