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Lexikon der Mathematik: Singularität

in verschiedenen Teilgebieten der Mathematik grundlegender Begriff, etwa der Differentialgeometrie (Fläche, glatte Kurve), der Kosmologie (Raum-Zeit-Singularität), der Funktionentheorie einer Variablen (isolierte Singularität, singulärer Punkt) und der Funktionentheorie mehrerer Variabler. Im folgenden wird eine Darstellung des Begriffs im Rahmen des letztgenannten Gebiets gegeben. Man vergleiche auch die anderen Einträge zum Themenbereich „singulär“.

Bei der Untersuchung von Hyperflächensingularitäten interessiert man sich für das Verhalten dieser Flächen in einer Umgebung einer solchen Singularität. Daher betrachtet man Abbildungskeime. Ein Keim einer Abbildung f :ℂn → ℂk im Punkt p ∈ ℂn ist eine Äquivalenzklasse von Abbildungen g : U → ℂk (U eine offene Umgebung von p in ℂn, die nicht für jedes g gleich zu sein braucht) bezüglich der Äquivalenzrelation:

f1f2:⇔ Für f1 : U1 → ℂk und f2 : U2 → ℂk gibt es eine offene Umgebung UU1U2 von p mit f1|U =f2|U.

Ein holomorpher Abbildungskeim kann eindeutig durch seine konvergente Potenzreihe charakterisiert werden.

Sei U eine offene Menge in ℂn. Eine analytische Varietät in U ist eine Menge V in U mit folgender Eigenschaft: Zu jedem Punkt pV existiert eine offene Umgebung U (p) von p in U und eine holomorphe Abbildung f : U (p) → ℂk so daß \begin{eqnarray}V\cap U(p)=\{x\in U(p)|f(x)=0\}.\end{eqnarray} Falls man mit einer Abbildung f auskommt, bezeichnet man diese Varietät mit V (f). Für k = 1 ist V eine Hyperfläche. Ein Keim einer analytischen Varietät in p ∈ ℂn ist eine Äquivalenzklasse von analytischen Varietäten V(f) mit pV (f) ⊂ U bezüglich der Äquivalenzrelation

\(V({f}_{1})\unicode {x0007E}V({f}_{2}):\iff \) Es gibt eine offene Umgebung U′ von p in U mit \(V({f}_{1})\cap {U}{^{\prime}}=V({f}_{2})\cap {U}{^{\prime}}.\) Man bezeichnet den Keim einer analytischen Varietät in p mit (V, p).

Zwei Abbildungskeime f1 :(ℂn,p1) → ℂk und f2 :(ℂn,p2) → ℂk heißen rechtsäquivalent (bzw. rechtslinksäquivalent), falls es Repräsentanten \({\tilde{f}}_{1}:{U}_{1}\to {{\mathbb{C}}}^{k}\) und \({\tilde{f}}_{2}:{U}_{2}\to {{\mathbb{C}}}^{k}\) von f1 und f2 und eine biholomorphe Abbildung \(\varphi :{U}_{1}\to {U}_{2}\) gibt mit φ (p1 = p2 und \({\tilde{f}}_{1}={\tilde{f}}_{2}\circ \varphi \) (bzw., falls noch eine biholomorphe Abbildung ψ: V1V2 existiert, wobei V1, V2 offene Mengen von f1 (p1) und f2 (p2) in ℂk sind, so daß\({\tilde{f}}_{2}\circ \varphi =\psi \circ {\tilde{f}}_{1}\)). Zwei Keime (V1, p1) und (V2, p2) von analytischen Varietäten heißen isomorph (oder äquivalent), falls es Repräsentanten \({\tilde{V}}_{1}\) und \({\tilde{V}}_{2}\) gibt, wobei \({\tilde{V}}_{1}\subset {U}_{1}\) und \({\tilde{V}}_{2}\subset {U}_{2},\) sowie eine biholomorphe Abbildung \(\varphi :{U}_{2}\to {U}_{2}\) mit φ(p1) = p2 und \(\varphi ({\tilde{V}}_{1})\to {\tilde{V}}_{2}.\)

Eine Entfaltung eines Funktionskeimes f : (ℂn, 0) →(ℂ, 0) ist ein Funktionskeim F : (ℂn × ℂk, 0) → (ℂ, 0) so, daß F(x, 0) = f (x).

Ein Funktionskeim \(f:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\) heißt (rechts-)einfach, falls es endlich viele Funktionskeime \({f}_{i}:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)(i=1,\mathrm{\ldots},m)\) gibt, so daß für jede Entfaltung \(F:({{\mathbb{C}}}^{n}\times {{\mathbb{C}}}^{k},0)\to ({\mathbb{C}},0)\) von f ein Repräsentant \(\tilde{F}:U\times V\to {\mathbb{C}}\) existiert, derart, daß für alle (p, q) ∈ U × V die Funktion F (x, q) : (ℂn, p) → (ℂ, 0) rechtsäquivalent zu einem fi ist.

Bei der Klassifikation der einfachen Funktionskeime tritt häufig das Problem auf, zu entscheiden, ob zwei Funktionskeime rechtsäquivalent sind. Mit Hilfe der Ableitungen der Funktionskeime läßt sich dies in vielen Fällen leicht klären. Sei also f : (ℂn, 0) → (ℂ, 0) ein holomorpher Funktionskeim. Man nennt \begin{eqnarray}{j^r}f:=(\text{Taylorreihe}\,\text{von}\,f\,\text{um}\,0\,\text{bis}\,\text{zum}\,\text{Grad}\,r)\end{eqnarray} den r-Jet von ff heißt r-bestimmt, wenn jeder Funktionskeim \(\tilde{f}:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\,mit\,{j}^{r}f={j}^{r}\tilde{f}\) rechtsäquivalent zu f ist.

Sei (n) der Ring der holomorphen Funktionskeime(ℂn, 0) → (ℂ, 0). Man setzt \begin{eqnarray}\begin{array}{ccc}{\mathfrak {m}} & := & \{f\in {\mathcal {E}} (n)|f(x)=0\},\\ {\mathfrak {m}}^{r} & := & \{f\in {\mathcal {E}} (n)|{j}^{r-1}f=0\}.\end{array}\end{eqnarray}\(f:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\)ein holomorpher Funktionskeim. f ist r-bestimmt, falls \(f:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\)ein holomorpher Funktionskeim mit df (0) = 0 und rang\(({\partial}^{2}f/{\partial}_{{x}_{i}}{\partial}_{{x}_{j}}(0))=k.\)Dann ist f rechtsäquivalent zu einem Funktionskeim der Form\begin{eqnarray}{x}_{1}^{2}+\mathrm{\ldots}+{x}_{k}^{2}+g({x}_{k+1},\mathrm{\ldots},{x}_{n}),g\in {\mathfrak {m}}^{3}.\end{eqnarray}

Ist \(f:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\) ein einfacher Funktionske mit isolierter Singularität in Null, so gilt rang(j2f) ≥ n − 2. Aus diesem Grund spielen die Funktionskeime \(f:({{\mathbb{C}}}^{2},0)\to ({\mathbb{C}},0)\) eine Sonderrolle. Man klassifiziert zunächst die Singularitäten in ℂ2, und beim Übergang zur Klassifikation der Singularitäten in ℂn muß zu einem einfachen Funktionskeim \(f:({{\mathbb{C}}}^{2},0)\to ({\mathbb{C}},0)\) nur noch eine Summe von Quadraten addiert werden, um einen einfachen Funktionskeim \(\tilde{f}:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\) zu erhalten. Es gilt der folgende Satz von Arnold:

Es sei \(f:({{\mathbb{C}}}^{n},0)\to ({\mathbb{C}},0)\)ein einfacher holomorpher Funktionskeim mit df (0) = 0. Dann ist f rechtsäquivalent zu einem der folgenden einfachen Funktionskeime:\begin{eqnarray}\begin{array}{ll}{A}_{k} & {x}_{1}^{k+1}+{x}_{2}^{2}+\mathrm{\ldots}+{x}_{n,}^{2}n\ge 1,k\gt 0\\ {D}_{k} & {x}_{1}^{2}{x}_{2}+{x}_{2}^{k+1}+{x}_{3}^{2}+\mathrm{\ldots}+{x}_{n,}^{2}n\ge 2,k\ge 4\\ {E}_{6} & {x}_{1}^{3}+{x}_{2}^{4}+{x}_{3}^{2}+\mathrm{\ldots}+{x}_{n}^{2}\\ {E}_{7} & {x}_{1}^{3}+{x}_{1}{x}_{2}^{3}+{x}_{2}^{3}+\mathrm{\ldots}+{x}_{n}^{2}\\ {E}_{8} & {x}_{1}^{3}+{x}_{2}^{5}+{x}_{3}^{2}+\mathrm{\ldots}+{x}_{n}^{2}\end{array}\end{eqnarray}

Die gleiche Liste erhält man bei der Klassifikation nach Rechtslinksäquivalenz und auch nach Isomorphie von Raumkeimen.

Die einfachen Hyperflächensingularitäten erhält man auch mit Hilfe algebraischer Methoden, so etwa die einfachen zweidimensionalen Hyper- flächensingularitäten, indem man die Quotientensingularitäten ℂ2/G, G eine endliche Untergruppe von SL (2,ℂ), betrachtet. Bei der Auflösung der einfachen zweidimensionalen Hyperflächensingularitäten werden die singulären Punkte aufgeblasen, um dann eine glatte Mannigfaltigkeit zu erhalten:

Sei X eine analytische Varitetät mit isolierter Singularität in Null. Eine Auflösung von (X, 0) ist eine eigentliche (d.h. Urbilder kompakter Mengen sind kompakt) holomorphe Abbildung π : MX, wobei gilt:

  • M ist eine glatte analytische Mannigfaltigkeit.
  • π : Mπ−1 (0) → X — {0} ist biholomorph.
  • π−1 (0) ist eine echte Untervarietät von M der Kodimension 1.

    Man nennt E := π−1 (0) den exzeptionellen Divisor, nach Hironaka gibt es stets solche Auflösungen. Oft liegt die Situation vor, daß X eine analytische Untervarietät von Y ist. Eine Auflösung π : MY nennt man eine eingebettete Auflösung von X, wenn die strikte Transformierte \begin{eqnarray}\overline{{\pi}^{-1}(X-\{0\})}\end{eqnarray} eine glatte analytische Mannigfaltigkeit ist. Ein konkreter Prozeß, der zu einer eingebetteten Auflösung der Kurvensingularitäten in ℂ2 führt, ist unter dem Stichwort monoidale Transformation beschrieben.

    [1]Bättig, D., Knörrer, H.: Singularitäten. Birkhäuser Verlag Basel Boston Berlin, 1991.

    • Die Autoren
    - Prof. Dr. Guido Walz

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