Lexikon der Mathematik: statistische Physik
Teilgebiet der theoretischen und mathematischen Physik, in dem makroskopische Eigenschaften von Systemen vieler gleichartiger Teilchen mit Hilfe von statistischen Methoden bestimmt werden, ohne die Bewegungsgleichungen mit ihren Anfangsbedingungen für das Vielteilchensystem zu lösen.
Die Erscheinungen können nach folgenden Gesichtspunkten katalogisiert werden: Zeitabhängige Phänomene (etwa die Herausbildung eines Gleichgewichts) werden in der kinetischen Theorie be trachtet. Dem steht die Gleichgewichtsstatistik oder die eigentliche statistische Thermodynamik gegenüber.
Ist die Wechselwirkung in einem Vielteilchensystem vernachlässigbar, dann sind die einzelnen Teilchen die Objekte der Statistik. Jedes Teilchen wird gedanklich durch eine Bahn im Phasenraum beschrieben, dessen Dimension 2f von der Zahl der Freiheitsgrade f des einzelnen Teilchens bestimmt wird. Hier spricht man von μ-Raum-Statistik (Maxwell-Boltzmann-Statistik). Ist dagegen die Wechselwirkung nicht zu vernachlässigen, werden in der Γ-Raum-Statistik die Vielteilchensysteme selbst zu den Objekten der Statistik (Gibbsscher Formalismus). Schließlich gibt es eine Unterscheidung in klassische und Quantenstatistik in Abhängigkeit davon, ob die Objekte der Statistik nach den Gesetzen der klassischen Mechanik oder Quantenphysik zu behandeln sind.
Die makroskopischen Größen werden in der klassischen Statistik durch Mittelwertbildung aus der Verteilungsfunktion bestimmt. Die Hauptfrage ist dabei, ob man Zeitmittel durch Scharmittel ersetzen kann (Ergodenhypothese, Quasi-Ergodenhypothese). Zeitmittelwerte würden die Lösung der Bewegungsgleichungen bedeuten, was hier aus rein rechentechnischen Gründen nicht möglich ist. In der Quantenstatistik tritt an die Stelle der Verteilungsfunktion der Dichte-Operator (Phasenraummethode). Die Verteilungsfunktion gibt die Wahrscheinlichkeit dafür an, ein Objekt der Statistik zu einem Zeitpunkt t im Einheitsvolumen um einen Punkt des Phasenraums zu finden. Ist sie zeitabhängig, dann muß man zu ihrer Bestimmung beispielsweise die Boltzmann-Gleichung lösen.
In der μ-Raum-Statistik (Gleichgewichtsstatistik) wird der Phasenraum in Zellen eingeteiltund die Verteilungsfunktion mit Hilfe von einfachen Abzählmethoden bestimmt. Diese Verfahren für die klassische Statistische Mechanik (Maxwell-Boltzmann-Statistik) und Quantenstatistik (Bose-Einstein-Statistik, Fermi-Dirac-Statistik) unterscheiden sich im wesentlichen dadurch, daß nach der Quantenphysikdie Unterscheidbarkeit der mikrophysikalischen Objekte aufgegeben werden muß.
Durch die Verbindung von physikalischen Gesetzen für die einzelnen Teilchen und Wahrscheinlichkeitsaussagen wird der Zustandsbegriff der statistischen Physik komplexer: Der Makrozustand eines Vielteilchensystems ist nicht mehr eindeutig durch den Mikrozustand der einzelnen Teilchen bestimmt. Ein Makrozustand wird durch eine Anzahl von Mikrozuständen realisiert (z. B. gehen sie in der klassischen statistischen Mechanik allein durch Vertauschung der Teilchen auseinander hervor, was makroskopisch nicht feststellbar ist).
Die Charakteristika von realisierten Makrozuständen liegen oft in der Nähe von Mittelwerten, weil die Verteilungsfunktion oft ein ausgeprägtes Maximum hat. Die Untersuchung der zugehörigen Schwankungen bildet ein Bindeglied zwischen Gleichgewichtsstatistik und kinetischer Theorie.
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