Lexikon der Mathematik: Teichmüller-Raum
ein zentraler Begriff in der Theorie der quasikonformen Abbildungen.
Zur genauen Definition seien H := {z ∈ ℂ : Im z > 0} die obere Halbebene und f eine quasikonforme Abbildung von H auf sich mit f(∞) = ∞. Dabei bedeutet f(∞) = ∞, daß zu jedem M > 0 ein r > 0 existiert derart, daß | f(z)| >M für alle z ∈ H mit |z| >r. Dann kann f in eindeutiger Weise zu einem Homöomorphismus \(\hat{f}\) von \(\bar{H}\) auf sich fortgesetzt werden.
Es sei \({\mathcal{F}}\) die Familie aller quasikonformen Abbildungen von H auf sich mit \(\hat{f}(0)=0\), \(\hat{f}(1)=1\) und \(\hat{f}(\infty)=\infty \). Zwei Abbildungen f, g ∈ \({\mathcal{F}}\) heißen äquivalent, falls \(\hat{f}(x)=\hat{g}(x)\) für alle x ∈ ℝ. Hierdurch wird eine Äquivalenzrelation auf \({\mathcal{F}}\) definiert, und die Menge aller Äquivalenzklassen heißt (universeller) Teichmüller-Raum. Er wird üblicherweise mit \({\mathcal{T}}\) bezeichnet. Für f ∈ \({\mathcal{F}}\) bezeichne wie üblich [f] ∈ \({\mathcal{T}}\) diejenige Äquivalenzklasse mit f ∈ [f].
Es gibt zwei weitere Modelle für \({\mathcal{T}}\). Dazu sei \({\mathcal{B}}\) die offene Einheitskugel in L∞(H), d. h.
Ordnet man jedem f ∈ \({\mathcal{F}}\) die komplexe Dilatation µf ∈ L∞(H) zu, so liefert dies eine bijektive Abbildung von \({\mathcal{F}}\) auf \({\mathcal{B}}\). Man erhält daher eine Äquivalenzrelation auf \({\mathcal{B}}\), indem man zwei Elemente µ1, µ2 ∈ \({\mathcal{B}}\) äquivalent nennt, falls die zugehörigen Funktionen f1, f2 ∈ \({\mathcal{F}}\) in obigem Sinne äquivalent sind. Die Menge dieser Äquivalenzklassen ist dann ein Modell für \({\mathcal{T}}\).
Ist f ∈ \({\mathcal{F}}\), so ist die Einschränkung \(h:=\hat{f}|{\mathbb{R}}\) von \(\hat{f}\) auf ℝ eine normalisierte quasisymmetrische Funktion. Sind f1 und f2 ∈ \({\mathcal{F}}\) äquivalent, so gilt h1 = h2. Bezeichnet man mit \({\mathcal{X}}\) die Menge aller normalisierten quasisymmetrischen Funktionen, so wird durch [f] ↦ h eine bijektive Abbildung ϕ von \({\mathcal{T}}\) auf \({\mathcal{X}}\) definiert. Also ist \({\mathcal{X}}\) das dritte Modell für \({\mathcal{T}}\).
Sind f, g ∈ \({\mathcal{F}}\), so auch f−1 ∈ \({\mathcal{F}}\) und f ∘ g ∈ \({\mathcal{F}}\). Daher ist \({\mathcal{F}}\) bezüglich der Komposition von Abbildungen eine Gruppe. Definiert man auf \({\mathcal{T}}\) eine Verknüpfung durch
so wird \({\mathcal{T}}\) in natürlicher Weise zu einer Gruppe. Da \({\mathcal{X}}\) bezüglich der Komposition von Funktionen ebenfalls eine Gruppe ist, liefert ϕ einen Gruppenisomorphismus von \({\mathcal{T}}\) auf \({\mathcal{X}}\).
Zur Definition einer Metrik (Abstandsfunktion) auf \({\mathcal{T}}\) bezeichne Kf die maximale Dilatation einer Abbildung f ∈ \({\mathcal{F}}\). Setzt man für p, q ∈ \({\mathcal{T}}\)
so wird hierdurch eine Metrik τ auf \({\mathcal{T}}\) definiert, und damit ist (\({\mathcal{T}}\), τ) ein metrischer Raum. Man nennt τ auch Teichmüller-Abstand. Man kann zeigen, daß (\({\mathcal{T}}\), τ) sogar ein vollständiger metrischer Raum ist. Weiter ist (\({\mathcal{T}}\), τ) ein wegzusammenhängender Raum. Allerdings ist (\({\mathcal{T}}\), τ) keine topologische Gruppe.
Eine Anwendungsmöglichkeit des Teichmüller-Raums ist z. B. die Herleitung eines Schlichtheitskriteriums mit Hilfe der Schwarzschen Ableitung. Dazu sei G ⊂ ℂ ein einfach zusammenhängendes Gebiet, G ≠ ℂ, und λG die Dichtefunktion der hyperbolischen Metrik von G. Für eine holomorphe Funktionφ in G ist die hyperbolische Supremumsnorm definiert durch
wobei es vorkommen kann, daß ∥φ∥G = ∞ ist. Bezeichnet SG die Menge aller schlichten Funktionen in G und ist φ ∈ \({\mathcal{S}}\)G, so ist die Schwarzsche Ableitung Sφ von φ holomorph in G, und es gilt ∥Sφ∥G< ∞.
Weiter sei A(G) die Menge aller reellen Zahlen a ≥ 0 mit folgender Eigenschaft: Für jede holomorphe Funktion φ in G mit ∥Sφ∥G ≤ a gilt φ ∈ \({\mathcal{S}}\)G. Offensichtlich ist 0 ∈ A(G) und daher A(G) ≠ ∅. Die Zahl
heißt innerer Schlichtheitsradius von G. Aus der Theorie der quasikonformen Abbildungen ist bekannt, daß σI(G) > 0 genau dann gilt, wenn ∂G eine quasikonforme Kurve ist. Ist G eine Kreisscheibe oder Halbebene, so ist σI(G) = 2.
Mit Hilfe der Eigenschaften des Teichmüller-Raums ist es möglich, genauere Aussagen über σI(G) herzuleiten. Diese Methode wird im folgenden skizziert. Es sei H′ := {z ∈ ℂ : Im z< 0} die untere Halbebene und \({\mathcal{Q}}\) die Menge aller holomorphen Funktionen φ in H′ mit ∥φ∥H′ < ∞. Man beachte, daß
Es ist \({\mathcal{Q}}\) ein Banachraum.
Nun wird ein Homöomorphismus von \({\mathcal{T}}\) auf eine Teilmenge von \({\mathcal{Q}}\) wie folgt konstruiert. Für µ ∈ \({\mathcal{B}}\) sei fµ diejenige Funktion in \({\mathcal{F}}\), deren komplexe Dilatation gleich µ ist. Die Funktion µ wird in die gesamte Ebene ℂ zu einer Funktion \(\hat{\mu}\) fortgesetzt, indem man \(\hat{\mu}(z):=\mu (z)\) für z ∈ H und \(\hat{\mu}(z):=0\) für \(z\in \overline{{H}^{\prime}}\) definiert. Dann existiert genau eine quasikonforme Abbildung fµ : ℂ → ℂ mit fµ(0) = 0, fµ(1) = 1 und fµ(∞) = ∞. Die Einschränkung fµ|H′ von fµ auf H′ ist schlicht in H′. Bezeichnet sµ die Schwarzsche Ableitung von fµ|H′, so ist sµ ∈ \({\mathcal{Q}}\). Dann wird durch
eine Abbildung ϕ: \({\mathcal{T}}\) → \({\mathcal{Q}}\) definiert. Es stellt sich heraus, daß ϕ sogar ein Homöomorphismus von \({\mathcal{T}}\) auf \({\mathcal{T}}\) (1) := ϕ(\({\mathcal{T}}\)) ist. Setzt man \({\mathcal{U}}\) := {Sφ : φ ∈ SH′}, so gilt
Man beachte, daß \({\mathcal{U}}\) eine abgeschlossene Teilmenge von \({\mathcal{Q}}\) ist. Weiter ist \({\mathcal{T}}\) (1) eine offene Teilmenge von \({\mathcal{Q}}\), und zwar stimmt \({\mathcal{T}}\) (1) mit der Menge der inneren Punkte von \({\mathcal{U}}\) überein, während der Abschluß von \({\mathcal{T}}\) (1) eine echte Teilmenge von \({\mathcal{U}}\) ist.
Für r > 0 sei
und \({\overline{{\mathcal B}}}_{r}\) der Abschluß von \({\mathcal{B}}\)r in \({\mathcal{Q}}\). Dann gilt
Nun setzt man
wobei f eine konforme Abbildung von G auf H′ ist. Diese Zahl ist unabhängig von der speziellen Wahl von f. Es gilt δ(G) ≤ 6, und δ(G) = 0 genau dann, wenn G eine Kreisscheibe oder Halbebene ist, d. h. δ(G) „mißt“ sozusagen die „Abweichung“ von G von einer Kreisscheibe.
Ist δ(G) < 2, so ist ∂G eine quasikonforme Kurve. Aus der obigen Inklusion erhält man dann für den inneren Schlichtheitsradius von G die Abschätzung
Genauer gilt sogar σI(G) ≤ 2, wobei σI(G) = 2 genau dann, wenn G eine Kreisscheibe oder Halbebene ist. Weiter ist σI(G) ∈ A(G) und daher σI(G) = max A(G).
Schließlich noch drei Beispiele:
(1) Für 0 < k< 2 sei G = Wk der Winkelraum
Dann gilt
(2) Ist G ein Dreieck und α ∈ (0, π) der kleinste Winkel, so gilt
(3) Ist n ∈ ℕ, n ≥ 3 und G ein reguläres n-Eck, so gilt
Für einen differentialgeometrischen Zugang vgl. auch Teichmüller-Theorie.
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