Lexikon der Neurowissenschaft: Agraphie
Agraphiew [von griech. a- = nicht, graphein = schreiben], graphomotorische Aphasie, Schreibaphasie,Eagraphia, Verlust der Schreibfähigkeit aufgrund einer Beeinträchtigung der motorischen Koordination infolge einer Schädigung der sprachdominanten, parietooccipitalen Großhirnhemisphäre. Die Patienten können sich schriftlich nicht mehr ausdrücken, häufig jedoch Worte kopieren und zuweilen auch schreiben, wobei sie dann aber nur ein amorphes Gekritzel produzieren. Das alphabetische Wissen und die phonologische Segmentierung sind nicht beeinträchtigt. Das bildliche Vorstellungsvermögen von Buchstaben ist gestört, ebenso das taktile, nicht jedoch das visuelle Buchstabenverständnis. Schreiben erfordert die Umsetzung von sprachlichen Gedanken (für deren Ursprung das Wernicke-Areal maßgeblich ist) in visuelle Symbole (was im unteren Scheitellappen geschieht), die zur motorischen Verarbeitung ins Broca-Areal gelangen. Läsionen jeder dieser Regionen oder ihrer Verbindungsbahnen verursachen Agraphie. Alle Patienten mit Aphasie zeigen einen gewissen Grad von Agraphie, aber nicht jeder, der unter Agraphie leidet, ist aphasisch. Agraphie kann auch aufgrund einer Diskonnektion der Großhirnhemisphären entstehen, z.B. in Experimenten mit Split-Brain-Patienten. Zuweilen wird Agraphie als modalitätsspezifische Apraxie aufgefaßt. Aufgrund der verschiedenen Ausprägungen der Agraphie, ihrer Assoziation mit unterschiedlichen Formen der Aphasie und großen Unterschieden des Läsionsortes kann Agraphie nicht als eine homogene Störung angesehen werden, sondern wird heute in verschiedene Unterformen unterteilt, z.B. aphasische Agraphien (zusammen mit Wernicke-Aphasie, Leitungsaphasie, anomischer Aphasie, Broca-Aphasie, globaler Aphasie usw., zusammen mit Alexie, Angularissyndrom oder als reine Agraphie) und nichtaphasische Agraphien (apraktische Agraphie, Motor-Agraphie, Balken-Agraphie usw.).
Lit.:Leischner, A.: Die Störungen der Schriftsprache. Stuttgart 1957.
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