Lexikon der Neurowissenschaft: amyotrophe Lateralsklerose
amyotrophe Lateralsklerosew, amyotrophische Lateralsklerose, myatrophe Lateralsklerose,Charcot-Syndrom, Lou-Gehrig-Krankheit (umgangssprachliche Bezeichnung), Abk. ALS,E amyotrophic lateral sclerosis, eine unheilbare, degenerative und meistens rasch fortschreitende Erkrankung motorischer Nervenzellen (Motoneurone), verbunden mit einer Lähmung der von ihnen versorgten Muskulatur (daher: a-myo-troph). Die Mehrzahl der Fälle tritt sporadisch auf, aber in ca. 10% der Fälle ist die Erkrankung familiär (familiäre amyotrophe Lateralsklerose, Abk. FALS). Die abgestorbenen Nervenzellen werden durch eine Vermehrung der ortsständigen Gliazellen im Sinne einer Narbe (Sklerose) ersetzt. Es können sowohl die ersten corticalen Motoneurone (im Gyrus praecentralis des Frontallappens) als auch die zweiten Motoneurone im Vorderhorn des Rückenmarks und in den motorischen Kernen des Hirnstamms betroffen sein ( siehe Abb. ). Der Krankheitsbeginn liegt meist im 5. Lebensjahrzehnt und trifft Männer etwas häufiger als Frauen (Verhältnis Männer:Frauen etwa 3:2). Er ist gekennzeichnet durch Muskelzuckungen und erste Lähmungserscheinungen. Der fortschreitende Muskelschwund führt meist in einem Zeitraum von 2-10 Jahren zum Tod durch Atemlähmung und/oder Pneumonien. Die Sinnesfunktionen und der Intellekt bleiben bis zuletzt vollständig erhalten. Schätzungsweise 60000-70000 Menschen sind weltweit von der Krankheit betroffen. Bekanntestes Beispiel ist der britische Physiker und Kosmologe Stephen Hawking (*1942), bei dem die Krankheit äußerst langsam verläuft. – Ein Anteil der Patienten weist Mutationen im Gen für die Superoxid-Dismutase (SOD) auf. Der genaue Wirkungsmechanismus dieser Mutationen ist unbekannt: eine gängige Hypothese besagt, daß die verminderte enzymatische Wirksamkeit der SOD, die unter normalen Umständen in Motoneuronen besonders stark exprimiert ist, zu einer Zunahme von Sauerstoffradikalen (freie Radikale, reaktive Sauerstoffspezies) führt. Dies könnte durch eine verstärkte Oxidation der Membranlipide zu einem Untergang der Nervenzellen führen. Neuere Erkenntnisse scheinen dies wieder in Frage zu stellen; dafür gibt es Hinweise, daß die Mutationen im SOD-Gen den langsamen axonalen Transport und damit die Lebensfähigkeit der Neuronen beeinträchtigen könnten. Die Ursache für die Mehrheit der Erkrankungen bleibt aber nach wie vor unklar; auch die Hypothesen über Viren und Schwermetalle als Auslöser konnten nicht erhärtet werden. Als mögliche Therapieformen stehen neben stützenden Maßnahmen und der Physiotherapie die Gabe von Vitamin E (Tocopherol) und Riluzol (einem Glutamat-Antagonisten; Glutaminsäure) in der Evaluation. Vitamin E und Riluzol zielen darauf ab, den oxidativen Streß bzw. die Excitotoxizität zu verringern. Berechtigte Hoffnungen werden auch in rekombinante trophische Faktoren wie ciliary neurotrophic factor (CNTF) und leukemia inhibiting factor β (LIF) gesetzt. Charcot.
A.A./G.H.
amyotrophe Lateralsklerose
neuropathologische Befunde:
A Demyelinisierung der corticospinalen Bahnen (gestrichelt markiert) als Folge der Degeneration des ersten Motoneurons (Luxol-Nissl-Färbung)
B gesunde Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks eines Kontrollfalles (Hämatoxylin-Eosin-Färbung)
C Verlust von Motoneuronen im Vorderhorn des Rückenmarks bei ALS, begleitet von reaktiver Gliazellvermehrung (Ausschnitt aus A, Hämatoxylin-Eosin-Färbung)
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