Lexikon der Neurowissenschaft: Atmungsregulation
Atmungsregulationw,Atemregulation, Econtrol of breathing, Anpassung der Leistung von Atmungsorganen an geänderte Faktoren des inneren Milieus oder des Atemmediums, oft verbunden mit einer zusätzlichen Anpassung des Kreislaufs. Zu den wichtigsten Parametern, die eine Änderung der Atemtätigkeit herbeiführen, gehören der Sauerstoff(O2)- bzw. Kohlendioxid-(CO2)-Partialdruck (pO2 bzw. pCO2) im Organismus oder im Atemmedium, pH-Wert-Verschiebungen (zum Teil hervorgerufen durch gelöstes Kohlendioxid) sowie (von Wirbeltieren bekannt) unspezifische Atmungsantriebe, wie Warm- und Kaltreize, Änderung der Körpertemperatur, Schmerz, Hormone. Bei den meisten Tieren sind die genauen Mechanismen der Atmungsregulation nur unzulänglich bekannt. Ein regelnder Einfluß des pO2 ist für Seewalzen, Polychaeta und Oligochaeta (Borstenwürmer), Weichtiere, Krebstiere und Wirbeltiere nachgewiesen worden; er scheint bei niederen Tieren wichtiger als eine Partialdruckverschiebung des CO2 zu sein. Insekten haben Schließmuskeln an den Tracheenausgängen, die wahrscheinlich durch CO2 beeinflußt werden. Bei hohem pCO2 können sie sich nicht mehr schließen. Auch sinkender pO2 unterbindet den Schließmechanismus. Allerdings sind bisher relativ wenig vergleichende Untersuchungen zur Atmungsregulation der Insekten durchgeführt worden. Genauer bekannt ist die zyklische CO2-Abgabe, die wahrscheinlich aus der Notwendigkeit, Wasserverluste aus den Tracheen zu begrenzen, entstanden ist. Für alle diese Regelmechanismen sind Schrittmacherzentren im Bauchmark wahrscheinlich und zum Teil nachgewiesen worden. Die neurale Kontrolle geht z.B. beim Tintenfisch vom hinteren Teil des Unterschlundganglions aus. Niedrige O2-Partialdrücke ( siehe Zusatzinfo ) erhöhen bei Fischen das Ventilationsvolumen und reduzieren die Schlagfrequenz des Herzens, wobei aber das Schlagvolumen erhöht ist. Hohe CO2-Partialdrücke vertiefen die Atmung bei niedriger Frequenz; sie wird damit der Kußmaul-Atmung der Säuger, die bei stark übersäuertem Blut entstehen kann (s.u.), ähnlich. Das Atemzentrum der Wirbeltiere ( siehe Abb. 1 ) liegt im verlängerten Mark und ist bei Säugern und Vögeln in ein Inspirationszentrum (Inspiration = Einatmung) und Exspirationszentrum (Exspiration = Ausatmung) unterteilt. Zumindest das Inspirationszentrum ist spontanaktiv. Geregelt werden die Atemtiefe, Atemfrequenz und Atemform (letztere z.B. bei Lauterzeugungen), wobei periphere Rezeptoren, die vor allem auf Erniedrigung des pO2, und chemisch empfindliche Strukturen im Nachhirn, die vor allem auf den pCO2 oder die H+-Ionenkonzentration ansprechen, eine wichtige Rolle spielen. Für die Atmungsregulation der Säugetiere ergibt sich damit ein weitgehend überschaubares Regelsystem: Der zentrale Atemrhythmus wird durch eine wechselseitige Entladung inspiratorischer und exspiratorischer Neuronen, die sich gegenseitig hemmen, hervorgerufen. Die Erregung der beiden Neuronentypen wird wahrscheinlich dadurch zeitlich begrenzt, daß zusammen mit der Aktivierung der inspiratorischen Neuronen (Rα-Neuronen) zwischengeschaltete Neuronen (Rβ-Neuronen) aktiviert werden, die über hemmende Synapsen im Sinne eines Rückkopplungsmechanismus mit den Rα-Neuronen verschaltet sind. Je stärker die Rβ-Neuronen aktiviert werden, desto größer wird ihr hemmender Einfluß auf die Rα-Neuronen, womit dann aber wieder die Aktivierung der Rβ-Neuronen vermindert wird. Die Rβ-Neuronen werden zusätzlich über Dehnungsrezeptoren in Luftröhre, Bronchien und Bronchiolen aktiviert, d.h., durch Dehnung der Lungen wird die Atmung gehemmt (Hering-Breuer-Reflex;siehe Abb. 2 ). Damit werden auch die Atemtiefe gesteuert und eine Überdehnung der Lunge verhindert. Die peripheren Chemorezeptoren, die der Atmungsregulation dienen, befinden sich an der Halsschlagader am sogenannten Carotissinus (Glomus caroticum) und an den großen Lungenaorten; sie melden eine Abnahme des pO2 an das Atemzentrum. Dagegen werden die H+-Ionenkonzentration und der pCO2 im wesentlichen direkt an der Medulla gemessen, die dazu mit chemisch empfindlichen Bereichen ausgestattet ist. CO2-Partialdruck und H+-Ionenkonzentration wirken zwar unterschiedlich stark stimulierend auf das Atemzentrum, dennoch ist wahrscheinlich der adäquate Reiz allein die H+-Ionenkonzentration im Extrazellulärraum der entsprechenden Medullabereiche. Da CO2 wesentlich schneller ins (Medulla-)Gewebe diffundiert, reizen die bei der Hydrogencarbonatbildung entstandenen H+-Ionen eher das Atemzentrum als H+-Ionen aus anderen Quellen (saure Stoffwechselendprodukte). Die Antwort auf eine Erhöhung des pCO2(Hyperkapnie) besteht in einer Steigerung des Atemzeitvolumens, das ist die Menge veratmeter Luft in l/min. Ab einer bestimmten pCO2-Zunahme macht sich ein subjektives Gefühl der Atemnot (Dyspnoe) bemerkbar, bei noch höheren pCO2-Werten wird das Atemzentrum gehemmt (Asphyxie). Eine Erniedrigung des pO2(Hypoxie) wird ebenfalls mit einer Erhöhung des Atemzeitvolumens beantwortet, der Effekt ist aber im Gegensatz zur pO2-Wirkung bei niederen Tieren (siehe oben) normalerweise gering. Schließlich hängen Atmungsantrieb und Muskelarbeit eng zusammen. Es wird angenommen, daß Erregungsleitungen von Bewegungszentren zum Atemzentrum ziehen und dieses bei Beginn der Muskeltätigkeit automatisch aktivieren. Die normale Ruheatmung wird unter bestimmten physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen (z.B. Schädigung des Atemzentrums) durch andere, zum Teil irreguläre Atemformen abgelöst. Als solche sind bekannt ( siehe Abb. 3 ): die Cheyne-Stokes-Atmung, charakterisiert durch eine Reihe von tiefen Atemzügen, gefolgt von einem kurzen Atemstillstand (Apnoe), ferner die ähnliche Biot-Atmung, die nach Hirnverletzungen, und die Kußmaul-Atmung, die bei starker Übersäuerung des Blutes (Acidose, z.B. infolge eines Diabetes mellitus) auftritt.
K.G.C./H.H.
Atmungsregulation
Atmung bei niedrigen Sauerstoffpartialdrücken in der Umgebung:
Auf dem Mt. Everest (8872 m ü.M.) ist die Höhe, bei der für den Menschen Atmung ohne Sauerstoffgeräte noch möglich ist, nahezu erreicht. Vögel dagegen können theoretisch noch in Höhen von 12000 m fliegen. Mittels Messungen an Enten in geschlossenen Kammern mit Sauerstoffpartialdrücken, die die entsprechende Höhe simulierten, konnten die besonderen Anpassungen der Vögel an große Höhen studiert werden. Mit abnehmenden Sauerstoffpartialdrücken kommt es zunächst erwartungsgemäß zu einer Ventilationssteigerung, die dann aber weit über das beim Menschen mögliche Maß hinausgeht: der Atemantrieb (Atmungsantriebe) der Vögel ist wesentlich größer. In mäßigen Höhen erleichtert darüber hinaus die spezielle Ausgestaltung der Vogellunge die Sauerstoffausnutzung. Die Unterschiede im Atemantrieb sind in unterschiedlichen Reaktionen des Gehirns auf Sauerstoffmangel (Hypoxie) und Kohlendioxidmangel (Hypokapnie) zu suchen. Bei Säugern hängt die Hirndurchblutung von den Partialdrücken der Atemgase im arteriellen Blut ab. Bei einer Hypoxie kommt es zu einer Vasodilatation der Gehirngefäße, bei einer Hypokapnie dagegen zu einer Vasokonstriktion. Da Höhen-Hypoxie immer mit einer Hypokapnie verbunden ist, besteht die Gefahr der Sauerstoffmangelversorgung des Gehirns. Vögel zeigen zwar die gleiche Reaktion (Vasodilatation) auf Hypoxie wie Säugetiere, dagegen aber keine Vasokonstriktion bei Hypokapnie. Damit kann sich der Vogel eine derart hohe Ventilationssteigerung "leisten", ohne daß sein Gehirn durch Vasokonstriktion mangeldurchblutet wird.
Atmungsregulation
Abb. 1: Spezifische und unspezifische Reize wirken auf das Atemzentrum und beeinflussen Atemfrequenz und -tiefe.
Abb. 3: Atmungsformen unter pathologischen Bedingungen, z.B. bei Schädigungen des Atemzentrums
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