Lexikon der Neurowissenschaft: Autoimmunkrankheiten
Autoimmunkrankheiten [von griech. autos = selbst], Autoaggressionskrankheiten, Autoaggressionssyndrome, autoallergische Krankheiten, Autoantikörperkrankheiten, Autoimmunopathien,E autoimmune diseases, durch Autoantikörper oder autoreaktive Lymphocyten hervorgerufene Krankheiten ( siehe Tab. ). Autoimmunität beruht auf einer spezifischen, adaptiven (erworbenen) Immunantwort gegen körpereigene Antigene. Sie läßt sich als Ergebnis eines Zusammenbruchs der Toleranz gegenüber körpereigenen Stoffen und/oder eines defekten Kontroll- und Regulationsmechanismus des Immunsystems auffassen. Die genauen Ursachen für die Entstehung von Autoimmunkrankheiten sind bisher weitgehend unbekannt. Man nimmt an, daß neben umweltbedingten auch erbliche Faktoren (z.B. der Genotyp der Haupthistokompatibilitätskomplexe) eine Rolle spielen. T-Lymphocyten scheinen an der Auslösung essentiell beteiligt zu sein, da sie sowohl als cytotoxische T-Lymphocyten als auch durch die Aktivierung von Makrophagen Gewebeschädigungen verursachen können. Zudem sind autoreaktive T-Zellen für die Stimulation autoreaktiver B-Lymphocyten notwendig. – Autoimmunkrankheiten lassen sich in gewebe- oder organspezifische sowie systemische (nicht-organspezifische) Autoimmunkrankheiten einteilen. Ein Beispiel für eine organspezifische, T-Zell-vermittelte Autoimmunerkrankung beim Menschen ist die multiple Sklerose. Die Gewebeschädigungen bei Autoimmunkrankheiten werden zum größten Teil durch dieselben Mechanismen herbeigeführt, die auch bei der normalen Immunantwort gegen körperfremde Antigene Anwendung finden. Oberflächenrezeptoren auf Zellen können beispielsweise durch agonistische Autoantikörper stimuliert oder durch antagonistische Autoantikörper inhibiert werden. So bilden Patienten, die an Myasthenia gravis erkranken, Autoantikörper gegen die α-Kette des Acetylcholinrezeptors, welche die Signalleitung dieses Rezeptors an den neuromuskulären Endplatten inhibieren. Im Gegensatz dazu führt die permanente Aktivierung von Rezeptoren für das schilddrüsenstimulierende Hormon (TSH) durch Autoantikörper zu einer Überproduktion an Schilddrüsenhormonen und den klinischen Symptomen der Basedowschen Krankheit (Hyperthyreose). – Diagnostisch lassen sich, sofern das Antigen bekannt ist, Autoantikörper mittels Immunfluoreszenz nachweisen. Zudem können humane Autoantikörper nach adoptivem Transfer in Versuchstieren ähnliche Krankheitssymptome hervorrufen wie in den Patienten. Der Nachweis von Autoimmunkrankheiten, die durch autoreaktive T-Lymphocyten verursacht werden, ist hingegen schwieriger. Insbesondere sind die Isolierung und Charakterisierung der entsprechenden antigenen Peptide problematisch; zudem kann die Krankheit nicht durch adoptiven Transfer humaner T-Lymphocyten auf Versuchstiere übertragen werden, da die T-Zell-Erkennung MHC-abhängig ist und sich humane und tierische MHC-Allele voneinander unterscheiden. – In der Praxis ist das therapeutische Vorgehen limitiert durch den chronischen, langsam fortschreitenden Charakter der meisten Autoimmunkrankheiten. Zu Teilerfolgen führte der Einsatz von Immunsuppressiva und Corticosteroiden. Für viele Autoimmunkrankheiten sind mittlerweile experimentelle Tiermodelle etabliert worden, die helfen sollen, die Ursachen dieser Krankheiten aufzuklären. Beispiele: EAE (experimentelle allergische Encephalomyelitis), EAMG (experimentelle autoimmune Myasthenia gravis). Allergie, Diabetes mellitus (juveniler), Immunopathien, multiple Sklerose, Neuroimmunologie.
Autoimmunerkrankungen
Autoimmunerkrankungen des Nervensystems
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Zentralnervensystem | multiple Sklerose | basisches Myelinprotein (MBP) | |
akute disseminierende Encephalomyelitis | |||
Stiff-Man-Syndrom | Glutamat-Decarboxylase (GAD) | ||
Rasmussen-Encephalitis | Glutamatrezeptor (Glu R3) | ||
Neuropathien bzw. Neuronopathien | Guillain-Barré-Syndrom - demyelinisierend - axonal | Myelin-Antigene P0 und P2 | |
Miller-Fisher-Syndrom | Gangliosid GQ1b | ||
chronisch inflammatorische demyelinisierende Polyradikuloneuropathie (CIDP) | |||
Mononeuritis multiplex | |||
paraproteinämische Neuropathie | |||
sensible Neuropathie | |||
Motoneuron-Erkrankungen (teilweise) | |||
motorische Endplatte | Myasthenia gravis | Acetylcholinrezeptor | |
Lambert-Eaton-Syndrom | Synaptotagmin in spannungsabhängigen Calciumkanälen | ||
Neuromyotonie (Isaacs-Syndrom) | spannungsabhängige Kaliumkanäle | ||
Myopathien | Polymyositis | ||
Dermatomyositis | |||
Einschlußkörpermyositis | |||
paraneoplastische Syndrome | Kleinhirndegeneration | ||
limbische Encephalitis | |||
Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom | |||
POEMS Syndrom |
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