Lexikon der Neurowissenschaft: Bewegungssehen
Bewegungssehens, Emotion vision, Registrierung eines sich bewegenden Objekts mit den Augen. Ab einer Winkelgeschwindigkeit von etwa 0,02°/s bis 0,2°/s, abhängig vom Hintergrundkontrast, kann ein Mensch Bewegung erkennen. Die zeitliche Abfolge der durch einen Bewegungsreiz verursachten Reizung der Photorezeptoren auf der Netzhaut löst ein bestimmtes Erregungsmuster sowohl bei retinalen Ganglienzellen als auch bei Nervenzellen im Corpus geniculatum laterale aus. Die Erregung wird von dort über eine spezifische Faserleitung (magnozelluläre Bahn) zum visuellen Cortex weitergeleitet. – Ein sich in das Sehfeld hinein bewegendes Objekt erregt die Aufmerksamkeit des Betrachters. Im peripheren Bereich des Gesichtsfelds kann der Mensch lediglich Bewegungen bemerken, nicht aber das bewegte Objekt identifizieren. Dies löst eine schnelle Reaktion, eine Augensaccade (Augenbewegungen), hin zum Zielobjekt aus, das nun über die hohe Rezeptordichte in der Fovea centralis identifiziert werden kann. Durch Folgebewegungen stabilisiert der Betrachter das sich bewegende Objekt in der fovealen Umgebung der Netzhaut. Bis zu einer Winkelgeschwindigkeit von 100°/s kann das menschliche Auge die Bewegung kompensieren. Bei höheren Winkelgeschwindigkeiten des Objekts bleibt die Augenbewegung relativ zur Objektbewegung zurück, d.h., trotz Augenfolgebewegung verschiebt sich das Bild auf der Netzhaut. Das visuelle System des Menschen integriert bei normalem Tageslicht visuelle Informationen über eine Zeitspanne von etwa 120 ms. Würde man mit einer Fotokamera und einer solchen Belichtungsdauer eine bewegte Szene fotografieren, erhielte man ein unscharfes Bild. Das Sehsystem verwendet Gegenmechanismen, die ein solches Verschmieren von Bewegungsreizen kompensieren. Dadurch vermag der Mensch relativ schnell über die Netzhaut bewegte Objekte zu registrieren und identifizieren. – Für niedere Wirbeltiere (z.B. Frösche) und Wirbellose (z.B. Gottesanbeterinnen) sind unbewegte Objekte selbst bei Fixierung nicht interessant und werden nicht registriert. Sowohl ein Beutetier als auch ein Freßfeind kann erst bei Bewegung wahrgenommen werden. Diese Organisation eines visuellen Systems ist funktionell der Reizverarbeitung im menschlichen peripheren Gesichtsfeld vergleichbar. Für das Bewegungssehen im Komplexauge vom Gliederfüßern sind benachbarte Ommatidien miteinander verschaltet. Hier registriert das Auge eine Bewegung, ohne daß dies mit einer Erkennung des sich bewegenden Objekts verknüpft ist, wie es z.B. beim Menschen der Fall ist. Bewegungswahrnehmung, Bildwahrnehmung.
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