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Lexikon der Neurowissenschaft: Borreliose

Borreliosew,Lyme-Borreliose, Lyme-Krankheit, Neuroborreliose, ELyme disease, Infektionskrankheit, die durch das Bakterium (Spirochäte) Borrelia burgdorferi sensu lato hervorgerufen wird und zu verschiedenen neurologischen Erscheinungen führen kann (siehe unten). Derzeit sind mindestens vier Genuspecies von Borrelia (B.) burgdorferi sensu lato (Oberbegriff für alle vier Subtypen) bekannt: B. burgdorferisensu stricto (kommt in Amerika und Europa vor), B. garinii, B. afzelii und B. japonica. Unterschiede in den Oberflächenstrukturen der einzelnen Subtypen erklären gewisse Schwierigkeiten in der serologischen Diagnostik und bei der Herstellung eines Impfstoffes. Der Erreger wird hauptsächlich durch Zecken und nur selten auch durch andere blutsaugende Insekten übertragen. – Vermutlich der erste Fall einer Borreliose mit "idiopathischer Hautatrophie" wurde bereits 1883 von Buchwald in Deutschland publiziert. Ein "Erythema migrans" (wandernde Hautrötung; EM) nach Zeckenstich wurde 1909 von Afzelius in Schweden und 1914 von Lipschütz in Österreich beschrieben. Über eine schmerzhafte Meningopolyneuritis und ein Erythema migrans nach Zeckenstich wurde 1922 von Garin und Bujadoux berichtet. 1975 fiel bei anamnestischen Recherchen in der Gemeinde Lyme (Connecticut, USA) eine Häufung von Gelenkentzündungen nach Zeckenstich und Erythema migrans auf. Vier Jahre später folgten erste Berichte über neurologische Symptome bei Patienten mit einer Lyme-Erkrankung. Die gemeinsame Ätiologie der durch Zecken übertragenen Meningopolyneuritis und der Lyme-Erkrankung konnte schließlich 1983 durch die Isolierung von Borrelia burgdorferi sensu lato aus den Zecken Ixodes dammini (USA) und Ixodes ricinus (Europa) sowie aus Haut- und Gelenkbiopsaten und Cerebrospinalflüssigkeit amerikanischer und europäischer Patienten geklärt werden. – Die Erkrankung kann akut oder chronisch verlaufen und verschiedene Organe schädigen. Das häufigste Symptom ist das Erythema migrans, eine sich ausbreitende Hautrötung, die sich meist wenige Tage nach einem Zeckenstich entwickelt und das sicherste klinische Zeichen für eine Borreliose darstellt. Ein weiteres häufiges Zeichen ist die Lymphadenosis benigna cutis, eine rötliche bis bläuliche, umschriebene Schwellung von weicher Konsistenz, die sich wenige Wochen bis Monate nach einem Zeckenstich meist am Ohrläppchen, Skrotum oder im Bereich der Brustwarze manifestiert. Eine sogenannte Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) entwickelt sich erst viele Monate bis Jahre nach der akuten Infektion, meist asymmetrisch und oft einseitig, bevorzugt an den Streckseiten von Beinen (Knie und Unterschenkel) oder Armen (Ellbogen und Unterarm). Die Haut ist im frühen Stadium bläulich-rot und ödematös verdickt, nach Monaten wird sie blaß, verdünnt und unelastisch (knittrig wie Zigarettenpapier). Eine auch auftretende Karditis führt meist zu Rhythmusstörungen des Herzens, vor allem in Form von atrioventrikulären Überleitungsstörungen bis zum kompletten AV-Block. Deutlich seltener sind Vorhoftachykardien, Vorhofflimmern, ventrikuläre Extrasystolen oder Tachykardien. Wenige Tage bis Wochen nach einer Borrelieninfektion berichten viele Patienten über wandernde, zum Teil nur Tage anhaltende Arthralgien (Gelenkschmerzen) und weichteilrheumatische Beschwerden, meist ohne Gelenkschwellung. Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich können aber auch Mono- und Oligo-Arthritiden (Gelenkentzündungen) auftreten, die sich meist durch Schmerzen, Schwellung, Rötung, Ergußbildung und Bewegungseinschränkungen äußern. Betroffen sind überwiegend die großen Gelenke, am häufigsten die Knie-, Sprung- und Handgelenke. In etwa 10% der Fälle kommt es zu einem chronischen Verlauf. – Eine Meningoradikulitis mit oder ohne Paresen der Hirnnerven stellt in Europa nach dem Erythema migrans die häufigste klinische Manifestationsform der akuten Borrelieninfektion dar. Eine isolierte Meningitis ist bei den erwachsenen europäischen Patienten selten, bei Kindern dagegen häufig. Symptome einer Radikulitis entwickeln sich durchschnittlich 4-6 Wochen (1-12 Wochen) nach dem Zeckenstich. Zunächst treten nächtlich betonte, an den Extremitäten radikulär, am Rumpf gürtelförmig betonte z.T. wandernde Schmerzen auf, die auf einfache Analgetika kaum ansprechen. Bei den meisten Patienten treten nach ein bis vier Wochen weitere neurologische Reiz- und Ausfallserscheinungen auf (Lähmungen und Mißempfindungen). Etwa 60% der Patienten mit einer Meningoradikulitis weisen Hirnnervenparesen auf. Mit Abstand am häufigsten ist der Nervus facialis (Facialis) betroffen. Eine Polyneuritis als Folge einer Borrelieninfektion findet sich bei den europäischen Patienten überwiegend in Assoziation mit einer ACA. Meningitis, Hirnnervenlähmungen und Polyradikuloneuritis werden zusammen auch als Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom bezeichnet. – Klinische Symptome im Zentralnervensystem werden bei der Borreliose nur selten beobachtet, meist beim chronischen Verlauf. Als häufigste Manifestation findet sich die Rückenmarksentzündung (Myelitis) mit spastisch-ataktischer Gangstörung und Blasenentleerungsstörung. Bei etwa 60% der Patienten mit einer Myelitis bestehen zusätzlich Zeichen einer Encephalitis (Encephalomyelitis), bei etwa 40% außerdem Hirnnervenparesen. Die Encephalitis weist bei der Borreliose keine Charakteristika auf, welche spezifisch für den Erreger wären. Beschrieben wurden Bewußtseinsstörungen, Anfälle, Lähmungen, Sprach- und Sprechstörungen, Koordinationsstörungen und in Einzelfällen auch Bewegungsstörungen. Nach wie vor kontrovers ist die Zuordnung der vorwiegend in der amerikanischen Literatur beschriebenen Symptome einer "diffusen Borrelienencephalopathie". Unter dieser Diagnose werden eine Vielzahl unspezifischer Beschwerden zusammengefaßt, wie z.B. verminderte Leistungsfähigkeit, vermehrte Müdigkeit, Reizbarkeit und emotionale Labilität sowie Schlaf-, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Nur in Assoziation mit anderen typischen Zeichen einer Borreliose und dem Nachweis von Entzündungszeichen im Liquor können diese Beschwerden als Folge einer Borrelieninfektion gedeutet werden. In äußerst seltenen Fällen kann sich die Borreliose auch als Erkrankung der Muskeln und der Augen manifestieren. – Die Diagnose einer Borreliose beruht auf der typischen klinischen Symptomatik, dem Nachweis spezifischer Antikörper im Blut und – bei bestimmten Organmanifestationen – auch in anderen Körperflüssigkeiten (Nervenwasser, Gelenkpunktat) oder dem Nachweis der Erreger-DNA mittels Polymerase-Ketten-Reaktion (PCR). Zur Behandlung der Borreliose werden je nach Manifestationsform verschiedene Antibiotika eingesetzt. Von großer Bedeutung für den Therapieerfolg ist sowohl eine ausreichend hohe Dosierung der Antibiotika als auch eine entsprechend lange Behandlungsdauer. Der alleinige Nachweis von Borrelienantikörpern ohne assoziierte Krankheitszeichen ist keine Indikation zur Antibiotikatherapie. In bestimmten Regionen sind 10-20% der gesunden Einwohner antikörper-positiv, ohne jemals erkrankt zu sein. Da die Infektionsrate der Zecken mit B. burgdorferi sensu lato je nach Region erheblich variiert, wird keine prophylaktische Antibiotikagabe nach Zeckenstich empfohlen. Eine wirksame Impfung gegen Borreliose ist in Europa derzeit noch nicht verfügbar. Frühsommer-Meningoencephalitis.

R.K.

Ein in den USA eingeführtes Impfmedikament zur aktiven Immunisierung (LYMERix) enthält ein Oberflächenprotein von Borrelia burgdorferi, das "outer surface protein" (OspA). In Europa gibt es jedoch mehrere unterschiedliche Formen von OspA, so daß die Entwicklung eines Impfmedikaments für Europa noch einige Zeit dauern wird.

  • Die Autoren
Redaktion

Dr. Hartwig Hanser, Waldkirch (Projektleitung)
Christine Scholtyssek (Assistenz)

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Prof. Manfred Spitzer, Ulm

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