Lexikon der Neurowissenschaft: Botulinustoxin
Botulinustoxins [von latein. botulus = Wurst, griech. toxikon = (Pfeil-)Gift], Botulinusneurotoxin,Botulismustoxin, Botulinumtoxin, Botulin, Ebotulinus toxin, Bezeichnung für thermolabile Neurotoxine aus dem Bakterium Clostridium botulinum (ein gram-positiver Anaerobier), mehrere einander ähnliche Proteine, die zu schweren, oft tödlichen Vergiftungen führen. Sie blockieren die Ca2+-abhängige Freisetzung von Neurotransmittern (Catecholamine, GABA, Acetylcholin), Neurohormonen (Oxytocin, Vasopressin) und Neuromodulatoren aus präsynaptischen Nervenendigungen. Dies führt zu einer irreversiblen Hemmung der neuronalen Übertragung. Gelangt Botulinustoxin über die Blutbahn z.B. an motorische Endplatten der peripheren quergestreiften Muskulatur, wird dort vor allem die Freisetzung von Acetylcholin gehemmt. Damit fehlen Signale zur Kontraktion, Lähmungserscheinungen sind die Folge. Oral sind für den Menschen bereits 0,1 μg tödlich (andere Literaturangaben sprechen von 1-10 μg oder auch 0,01 μg/kg als letale Dosis). Bei intravenöser und aerogener Aufnahme beträgt die tödliche Menge sogar nur 0,001μg. – Es werden 7 immunologisch unterscheidbare Botulinustoxine produziert; die Gene für BotC1 und BotD liegen auf Bakteriophagen, BotG auf einem Plasmid, BotA und BotE auf chromosomaler DNA. Die Genorte von BotB und BotF sind unbekannt. Botulinustoxine und das ebenfalls von Clostridien stammende Tetanustoxin sind in Struktur und biochemischer Wirkung sehr ähnlich: 1) sie binden an Rezeptoren der Plasmamembran von Nervenzellen, 2) sie werden durch Rezeptor-vermittelte Endocytose aufgenommen, 3) sie verhindern die Freisetzung von Neurotransmittern, 4) es sind Proteine, die sich aus einer N-terminalen (50 kDa) L-Kette und einer C-terminalen (100 kDa) H-Kette, verbunden über eine Disulfidbrückenbindung, zusammensetzen. Die große H-Kette (H=heavy) ist verantwortlich für die Bindung des Toxins an Rezeptoren der Plasmamembran, für die Aufnahme in die Nervenzelle und für die weitere intrazelluläre Prozessierung des Neurotoxins. In Lipidmembranen bilden die hydrophoben H-Ketten Poren aus. Diese kanalbildende Eigenschaft und damit verbundene Depolarisationsmöglichkeit ist bei der Translokation der Toxine von Endosomen ins Cytosol beteiligt. Die toxische Wirkung liegt alleine auf der kurzen L-Kette (L=light), die als Zink-haltige Protease wirkt. Angriffspunkt der Botulinustoxine B, D, F und G ist Synaptobrevin, ein Protein auf der Oberfläche synaptischer Vesikel, die mit der Plasmamembran verschmelzen müssen, um Neurotransmitter per Exocytose freizusetzen. Spaltung, d.h. Inaktivierung des Rezeptors Synaptobrevin durch Botulinustoxine blockiert die Freisetzung der in Vesikeln gespeicherten Moleküle. Syntaxin ist Substrat des Botulinustoxins C, während die Serotypen A und E SNAP25 (SNARE) spalten. – Botulinustoxine oder Fragmente davon werden heute rekombinant durch Expression der entsprechenden Gene hergestellt. Verwendung finden sie zur Produktion von Antikörpern (Impfschutz) und in niedriger Dosierung zur Behandlung von Dystonien (als Spasmolytikum oder Muskelrelaxans; siehe Zusatzinfo ). In der neurobiologischen Forschung wird Botulinustoxin zur gezielten Lähmung von Muskeln in Versuchstieren und – markiert – zur selektiven Visualisierung von synaptischen Strukturen verwendet. – Botulinustoxine gehören zu den potentesten B-Waffen heutiger Kriegsführung. Antikörper inaktivieren die Botulinustoxine nur, solange diese noch an die Rezeptoren der Plasmamembran gebunden sind. Bereits in die Nervenzellen aufgenommene Toxine benötigen zur Neutralisation Antikörper, die an Transferrin oder andere Träger konjugiert sind. Botulismus, Clostridienneurotoxine.
Botulinustoxin
Botulinustoxin wird therapeutisch bei sogenannten craniocervikalen Dystonien (unheilbare, nicht zu kontrollierende Muskelverkrampfungen) eingesetzt. Dabei wird gerade so viel Botulinustoxin in die betroffenen Muskeln injiziert, daß die Funktionstüchtigkeit erhalten bleibt, Krämpfe aber nicht mehr ausgelöst werden können. Die Wirkung hält ca. 3 Monate an. Wichtig bei einer Behandlung mit dem Toxin ist die individuell abgestimmte Dosierung, um eine normale Funktion der (z.B. beim Schielen, Gesichtskrämpfen, Schiefhals) betroffenen Muskulatur zu gewährleisten. Nebenwirkungen wurden bei korrekter Anwendung bisher nicht beobachtet. Auch ein Wirkungsverlust des Toxins aufgrund von Antikörperbildung durch den Organismus des Patienten wurde bisher nicht festgestellt. Das Botulinustoxin A wird außerdem seit kurzem erfolgreich für die Behandlung spastischer Muskelkrankheiten genutzt. Durch Injektion des Toxins kann auch hier die Dauerkontraktion der Muskeln so weit vermindert werden, daß kontrollierbare Bewegungen wieder möglich sind. Die Wirkung einer solchen Injektion dauert mehrere Monate an und wird vor allem in der Kinderheilkunde mit gutem Erfolg angewandt. Es wird ferner untersucht, ob Botulinustoxin auch bei Spannungskopfschmerz oder zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose eingesetzt werden kann.
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