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Lexikon der Neurowissenschaft: Expertensysteme

Expertensysteme, Eexpert systems, in der künstlichen Intelligenz verwendete Systeme (Programme), die spezifisches Wissen (Expertenwissen) und Schlußfolgerungsfähigkeiten (von der Art "Wenn X – Dann Y"; Deduktion) enthalten und anwenden können, um Probleme zu lösen. Mit Hilfe der Expertensysteme läßt sich selbst diffuses, unformalisiertes Wissen (Fuzzy-Menge) verarbeiten, und formlose Anfragen können in konkrete Problemstellungen umformuliert werden. Anwendung finden die Expertensysteme vor allem in der technischen Diagnostik (z.B. zur Wartung oder Überwachung komplizierter Geräte), aber auch in der medizinischen Diagnostik, wo sie als sogenannte "Diagnoseprogramme" zur Unterstützung der ärztlichen Entscheidung eingesetzt werden.

Expertensysteme simulieren die Schlußfolgerungen eines menschlichen Experten bei der Lösung von Problemen mit Hilfe von Spezialwissen. Im Unterschied zu allgemeinen Ansätzen der künstlichen Intelligenz gibt es bei Expertensystemen keinen Anspruch auf eine allgemeine Gültigkeit der Erklärung für die menschliche Intelligenz. Expertensysteme arbeiten aufgrund von Wissen, sie unterscheiden sich von den übrigen wissensbasierten Systemen dadurch, daß das Wissen von einem Experten stammt. Die Motivation zur Arbeit an Expertensystemen stammt aus der Beobachtung über die Natur der menschlichen Intelligenz beim Schlußfolgern auf einem eng begrenzten Aufgabengebiet. Menschliche Expertise ist von dem Gebiet abhängig, auf dem sie erstellt wird. Menschliche Experten wissen mehr, sie denken jedoch weder schneller noch auf eine andere Art und Weise wie Nichtexperten. Expertensysteme werden durch die Aufgaben definiert, die sie lösen sollen. Ihre Performanz ergibt sich aus Erfolgen beim Finden von Lösungen dieser Aufgaben. Eines der wichtigsten Merkmale der Architekturen von Expertensystemen ist die Trennung zwischen der Wissensbasis, in der das Wissen dargestellt wird, und den dazugehörenden Schlußfolgerungsmethoden. Das Wissen, welches die menschlichen Experten gebrauchen, muß durch Gespräche und Lektüre von entsprechenden Fachbüchern extrahiert sowie formuliert werden. Diese Aufgabe wird von Wissensingenieuren (knowledge engineer) durchgeführt. Das extrahierte und formulierte Wissen liefert ein detailliertes Modell der Wissensbasis der menschlichen Experten. Meistens ersetzen Expertensysteme nicht die menschlichen Experten, sondern liefern ihnen zusätzliche Empfehlungen oder dienen zur Schulung des entsprechenden Wissensgebiets.
Menschliche Intelligenz beim Schlußfolgern auf einem eng begrenzten Aufgabengebiet: Ein menschlicher Experte ist jemand, der sich spezielle Fertigkeiten und Wissen eines bestimmten Gebiets angeeignet hat. So sind Ärzte, Anwälte, Mineralogen, Paläontologen, Psychoanalytiker oder Systematiker menschliche Experten. Falls diese Experten ihre Fertigkeiten in der Öffentlichkeit anwenden, sieht dies so mühelos aus, das man versucht ist, ihnen besondere Fertigkeiten und Talente zu zuschreiben. Als jedoch Psychologen begannen, die allgemeine Intelligenz der Experten mit Hilfe psychologischer Tests zu messen, fanden sie keine allgemeine Überlegenheit gegenüber den Nichtexperten. Die Überlegenheit der Experten bezieht sich oft auf ein sehr beschränktes Gebiet, die Übertragung der Expertise auf andere Gebiete ist beschränkt oder kaum möglich. Allgemein wird angenommen, daß Experten mehr Wissen über ein Gebiet besitzen als Nichtexperten. Die Performanz der menschlichen Experten steigert sich durch Erfahrung, wobei das angeeignete Wissen eine zentrale Rolle spielt. Die Annahme der Leistungssteigerung durch Aneignung des Wissens aus Erfahrung trifft jedoch oft nicht zu. Manchmal sind Anfänger genauso gut wie oder sogar besser als Experten, falls sie entsprechendes Wissen, z.B. in Form von Anleitung, zur Verfügung haben. Anfänger, die mit ihrer Erfahrung auf einem Gebiet beginnen, verändern ihr Verhalten und steigern ihre Leistung für eine bestimmte Zeit, bis sie ein akzeptiertes Niveau erreichen. Über diesen Zustandspunkt hinaus kann man jedoch keine Vorhersage machen, ob eine Leistungssteigerung eintritt oder nicht. Die menschliche Kapazität, Wissen aufzunehmen und zu organisieren, scheint begrenzt zu sein. Experten extrahieren vor allem die wichtigsten Informationen aus dem Gedächtnis und codieren sie entsprechend. Ein Unterschied zwischen einem Anfänger und einem Experten besteht nicht nur in der Menge des angeeigneten Wissens, sondern auch in der Art und Weise wie dieses Wissen organisiert ist. Das Wissen eines Experten ist um zentrale Begriffe eines Gebiets organisiert, um einen schnellen Zugriff auf relevante Information zu gewährleisten. Bei weniger geübten Personen ist das Wissen um alltägliche Begriffe angeordnet, wodurch das Finden von bestimmten Wissensinhalten erschwert wird. Diese Beobachtungen führten zu der Annahme, daß die Vorgehensweise der menschlichen Experten mechanischer Natur sei, das heißt, daß sich entsprechende Vorgänge mit Hilfe von Computerprogrammen automatisieren lassen. Dazu soll das Wissen, welches der menschliche Experte gebraucht, extrahiert sowie durch ein Programm repräsentiert und die dazugehörenden Schlußfolgerungsmethoden simuliert werden.
Softwarearchitektur der Expertensysteme: Die Softwarearchitektur der Expertensysteme wird durch die Trennung des Wissens und der Schlußfolgerungsmechanismen definiert. Das Wissen wird in einer sogenannter Wissensbasis dargestellt, die Schlußfolgerungsmechanismen werden durch eine Inferenzmaschine realisiert (Inferenzalgorithmus). Durch diese Trennung kann man das Wissen in natürlicher Form darstellen, die Pflege der Wissensbasis wird erleichtert. In der Wissensbasis wird das Wissen mit Hilfe von deklarativen Sprachen definiert. In einer prozeduralen Sprache, wie z.B. C oder Pascal, gibt es keinen physikalischen Unterschied zwischen dem Teil des Programms, der das Wissen repräsentiert, und dem Teil, der die Daten manipuliert; in einer deklarativen Sprache werden beide Teile getrennt. Während beim anweisungsbasierten Programm Anweisungen einer Programmiersprache in einer fest vorgegebenen Reihenfolge abgearbeitet werden, bestimmt beim Expertensystem die Inferenzmaschine, abhängig von momentanen Zustand, was in einer bestimmten Situation getan werden soll. – Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, das Wissen deklarativ zu repräsentieren. Die bekanntesten unter ihnen arbeiten mit Hilfe von semantischen Netzen oder Frames, der Prädikatenlogik (Logik) sowie Regeln. Abhängig von den gewählten Repräsentationen gibt es spezielle Methoden, mit dem Wissen umzugehen, die als Schlußfolgerungsmechanismen durch die Inferenzmaschine realisiert werden.
Vererbung bei semantischen Netzen und Frames, Resolution bei Prädikatenlogik sowie Suche bei den Regeln mit Hilfe eines Regelinterpreten: Am gebräuchlichsten ist die Darstellung des Wissens in Form von einfachen Regeln. Diese Regeln sind näher an der Darstellungsweise, die von menschliche Experten verwendet wird, z.B. Regeln in der Form "Wenn X dann Y". In welcher Reihenfolge diese Regeln während der Problemlösung verwendet werden, entscheidet der Regelinterpret der Inferenzmaschine. Die Softwarearchitektur wird durch eine sogenannte Expertensystem-Shell realisiert. Diese besteht aus verschiedenen Modulen, die einerseits die Erstellung und Pflege der Wissensbasis durch den Wissensingenieur, andererseits Dialoge mit dem Benutzer während des Problemlösens ermöglichen. Die Wissenskomponente dient zur Erstellung und Überprüfung der Konsistenz der Wissensbasis sowie ihrer Modifikation und Pflege. – Die Problemlösungskomponente interpretiert das Wissen, welches zu der Lösung von durch den Benutzer spezifizierten Problemen nötig ist. Die Interviewkomponente führt Dialoge mit dem Benutzer oder liest automatisch erhobene Daten ein. Die Erklärungskomponente macht die Vorgehensweise des Expertensystems transparent, d.h., daß das Expertensystem bis zu einem gewissen Grad sein Verhalten erklären und begründen kann. Der Benutzer hat die Möglichkeit die Fragen Wie (HOW) und Warum (WHY) an das System während des Dialogs zu stellen. Auf HOW antwortet das Expertensystem, wie es einen bestimmten Zustand erreicht hat, auf die Frage WHY, warum es eine bestimmte Frage an den Benutzer gestellt hat.
Unsicheres Wissen: Oft beinhaltet das Wissen des Experten sowie des Benutzers Unsicherheiten, die entsprechend modelliert werden müssen, was Auswirkungen auf die entsprechende Repräsentation hat. In der Logik wird zum Beispiel das nichtmonotone Schließen verwendet, um unsicheres Wissen darzustellen. Bei der Repräsentation des Wissens mit Regeln und Gewißheitsfaktoren(E certainty factors) ist der mathematische Hintergrund nicht so rigoros wie bei der Wahrscheinlichkeitsrechnung: Die entsprechende Algebra stützt sich nicht auf mathematische Axiome, sondern wurde aus dem Stegreif definiert, die Bedeutung der Gewißheitsfaktoren ist nicht rigoros begründet. Doch durch ihre Einfachheit und die Möglichkeit, einzelne Glaubenswerte ad hoc zuzuweisen, ist sie eine der erfolgreichsten Methoden auf dem Gebiet der Expertensysteme. Sie ist genauso "ad hoc", wie das Vertrauen des Experten in das Wissen und seine Resultate approximativ, intuitiv und informal ist. Die Dempster-Shafer-Theorie, Fuzzy-Logik und die Bayes-Theorie hingegen basieren auf einem fest fundierten mathematischen Hintergrund. In der Dempster-Shafer-Theorie unterscheidet man zusätzlich zwischen dem Unwissen sowie der Unsicherheit selbst. Die Fuzzy-Logik erlaubt die Repräsentation von kontinuierlichen Werten zwischen den Aussagen wahr und falsch. Die Bayes-Theorie erlaubt die Berechnung von komplexeren Wahrscheinlichkeiten ausgehend von bekannten Ergebnissen. In den 1980er Jahren wurden Belief-Netzwerke entwickelt, die es erlauben, Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Ereignissen und ihren Wahrscheinlichkeiten graphisch darzustellen. Belief-Netzwerke (andere Namen in der deutschsprachigen Literatur Bayes-Netzwerke oder Wahrscheinlichkeits-Netzwerke) erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit beim Modellieren komplexer Abhängigkeiten. – Verbale Kategorisierung ist eine psychologisch motivierte Repräsentation von unsicherem Wissen. In ihr macht man keine Unterscheidung zwischen den Regeln einerseits und der dazugehörigen Algebra andererseits. Das Wissen über einzelne Objekte wird durch Merkmale unterschiedlicher Gewichtung repräsentiert. Das Vertrauensmaß in das Vorhandensein einer verbalen Kategorie ergibt sich aus der verteilten Darstellung und der daraus resultierenden Ähnlichkeit.
Vorgehensweise bei der Entwicklung eines Expertensystems: Grundvoraussetzung für ein Expertensystem ist die Expertensystem-Shell, die unabhängig von dem eigentlichen Expertensystem entwickelt wird. Bei der Entwicklung eines Expertensystems muß zuerst das entsprechende Problem identifiziert und die passende Expertensystem-Shell gewählt werden. Ein Expertensystem kann im Gegensatz zum menschlichen Experten nicht aus Erfahrung lernen, das entsprechende Wissen muß codiert werden. Das Problem muß konzeptualisiert, formalisiert und strukturiert werden. Ein schwieriges Problem bildet dabei die Erhebung, Organisation und schließlich die Übertragung des notwendigen Wissens durch den Wissensingenieur mit Hilfe von Fachbüchern und der Kommunikation mit dem menschlichen Experten. Während der Entwicklung der Wissensbasis wird das Wissen durch den Wissensingenieur überprüft, nicht jedoch der Programmiercode. Allgemein kann man bei der Entwicklung eines Expertensystems drei verschiedene Gruppen unterscheiden: Entwickler der Expertensystem-Shell, Wissensingenieur sowie die eigentlichen Experten, deren Wissen extrahiert wird.
Beispiele für Anwendungen von Expertensystemen: Anwendung finden die Expertensysteme in: Kategorisierung von Wissen, Konfiguration, Entwurf, Überwachung von Systemen (wie z.B. Kernkraftwerke), Fehlersuche, Prognose, Diagnose sowie Lehre und Ausbildung. – Eines der bekanntesten Expertensysteme ist MYCIN, ein Expertensystem zur Behandlung von Blutinfektionen. Das System bestimmt Antibiotika zur Bekämpfung von Bakterien und schlägt somit eine Therapie bei Infektionskrankheiten vor. Seine Wissensbasis wurde durch 450 Regeln ausgedrückt, Unsicherheit wird mit Hilfe der Gewißheitsfaktoren repräsentiert. Ein Beispiel eines kommerziell eingesetzten Expertensystems ist ein System zur Kreditprüfung, welches über eine Kreditvergabe entscheidet, um einen möglichen Kreditmißbrauch zu verhindern. Das System besteht aus 1200 Regeln, die dem Inhalt eines Handbuchs für Kreditprüfung entsprechen. Das Expertensystem Jurassic ist ein Beispiel für eine psychologisch motivierte Repräsentation von Wissen. Die Wissensbasis besteht aus 423 verbalen Kategorien, die hierarchisch angeordnet sind. Das System hilft einem Paläontologen, fossile Arten mit unsicherem Wissen zu bestimmen. Expertensysteme aus dem täglichen Leben sind z.B. die Hilfsassistenten moderner Computerprogramme, wie etwa bestimmter Textverarbeitungsprogramme. Das Expertensystem versucht, die Handlungen des Benutzers vorherzusagen, um ihm gegebenenfalls geeignete Tips zu geben. Dabei werden Belief-Netzwerke verwendet, um den Benutzer zu modellieren.

A.W.

  • Die Autoren
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