Lexikon der Neurowissenschaft: Farbwahrnehmung
Farbwahrnehmungw, E chromatopsy, colour perception, die Fähigkeit, Licht nicht nur nach seiner Intensität in Helligkeitsstufen, sondern auch aufgrund seiner Zusammensetzung aus verschiedenen Wellenlängen durch neuronale Leistungen in Farbarten differenzieren zu können. Dabei wird die Farbwahrnehmung durch Farbton, Sättigung und Helligkeit bestimmt. Die Wahrnehmung von Farben erhöht die visuelle Diskriminationsfähigkeit beim Menschen von den 500 Helligkeitsstufen beim achromatischen Sehen multiplikativ durch 4000 zusätzlich unterscheidbare Farbarten auf insgesamt 2 Millionen ( siehe Zusatzinfo ). – Drei Typen von Zapfen mit Sehfarbstoffen für kurz-, mittel- und langwelliges Licht (Farbrezeptoren) bilden die retinale Grundlage (Netzhaut) für das menschliche Farbensehen. Die Wahrnehmung von Farben beruht auf der neuronalen Verarbeitung der Signale, die von den verschiedenen Zapfentypen als Antwort auf Licht verschiedener Wellenlängen erzeugt werden. Allerdings ist die Zuordnung der wahrgenommenen Farbe zur spektralen Zusammensetzung des Lichts nicht immer eindeutig, z.B. läßt sich Licht von 570 nm (Gelb) nicht von einer Mischung aus 500 nm (Grün) und 650 nm (Rot) unterscheiden. Diese sogenannten metameren Farben reizen trotz unterschiedlicher physikalischer Wellenlängenzusammensetzung die Rezeptoren auf gleiche Weise. Diese Verarbeitung in Form der (physiologischen) additiven Farbmischung weicht in ihren Regeln grundsätzlich von der (physikalischen) subtraktiven Farbmischung ab, die beim Blick durch verschiedene Farbfilter oder beim Mischen von Malerfarben zur Wirkung kommt. Die additive Farbmischung beruht auf der Interaktion von Licht verschiedener Wellenlängen an einem Netzhautort. Die Signale der verschiedenen Zapfentypen werden in antagonistisch organisierten rezeptiven Feldern von Nervenzellen in der Netzhaut, im Thalamus(Gegenfarbenzellen) und im visuellen Cortex (Doppelgegenfarbenzellen) weiterverarbeitet. Die Gegenfarbenzellen gibt es als Hell-Dunkel, Rot-Grün und Blau-Gelb antagonistisch organisierte Kanäle. Der blau-wahrnehmende Teil der Blau-Gelb-Neurone erhält Informationen von den Blauzapfen, der gelbe dagegen erhält seine Signale als Summe der grünen und roten Zapfen. Die Farbwahrnehmung folgt also auf retinaler Ebene zuerst den Regeln der trichromatischen Farbentheorie von Young, Maxwell und Helmholtz, jedoch danach der Gegenfarbentheorie von Hering (Zonentheorie). Die Farbe wird getrennt von anderen Merkmalen wie Form und Bewegung über das parvozelluläre "interblob"-System analysiert. Dabei erfolgt die eigentliche Farbwahrnehmung cortical, erst die Doppelgegenfarbenneurone sind wirklich farbspezifisch. – Neben der Wellenlängenzusammensetzung des Lichts ist die Farbwahrnehmung abhängig von der Farbe der unmittelbaren Umgebung (Farbsimultankontrast). Eine grüne Fläche mit blauer Umgebung erscheint gelblicher, während dieselbe Fläche mit gelber Umgebung bläulicher wahrgenommen wird. Licht von 570 nm erscheint einmal gelb bei dunkel oder braun bei hell angrenzender Fläche. Zudem beeinflußt der Adaptationszustand, also die zuvor gesehene Farbe, die Farbwahrnehmung (sukzessiver Farbkontrast), z.B. erscheint nach längerer Betrachtung von Rot die Umwelt grünlich (negative Nachbilder). Auch die Farbintensität übt einen Einfluß auf die Wahrnehmung aus; so erscheint bei deren Steigerung, z.B. von Rot oder Grün, die Farbe mehr gelblich (Bezold-Brücke-Phänomen). – Wahrnehmung von Farbkontrast und Gewährleistung von Farbkonstanz sind die wichtigsten corticalen Leistungen bei der Farbwahrnehmung. Farbkonstanz beschreibt die Fähigkeit, die Farben einer Szene trotz völlig anderer Wellenlängenzusammensetzung (z.B. in der Mittags- oder Abendsonne) gleich wahrnehmen zu können. Anhand der Farbkonstanz kann man erkennen, daß Farbwahrnehmung nicht auf der Messung von Wellenlängen im Auge, sondern auf der corticalen Verarbeitung im Gehirn beruht. Einen ersten Beitrag zur Farbkonstanz liefern die farbkontrastspezifischen Doppelgegenfarbenzellen, bei denen die Zu- oder Abnahme der Intensität einer Wellenlänge durch den Zentrum-Umfeld-Antagonismus kompensiert wird. Bei der Farbkonstanz werden jedoch noch weiterreichende Interaktionen über ein gesamtes Bild hinweg wirksam. Diese Eigenschaft findet man bei Zellen in der farbspezifischen Region V4, die in einer bisher unbekannten Weise die Informationen von Doppelgegenfarbenzellen aus V1 und V2 über einen großen Gesichtsfeldbereich hinweg nutzen, um Farbkonstanz in einer gesehenen Szene zu gewährleisten. Experimentelle Schädigung der Region V4 bei Affen führt tatsächlich zum Verlust der Farbkonstanz bei erhaltener Fähigkeit zur Wellenlängendiskrimination. Farbkonstanz wurde nicht nur bei Primaten, sondern auch bei der Honigbiene und beim Goldfisch nachgewiesen, was bei diesen Tieren ebenfalls Doppelgegenfarbenzellen zwingend voraussetzt. – Zumindest für den Menschen hat Farbe eine starke emotionale Komponente; z.B. verbindet man kurzwellig dominierte Farben wie Blau mit Kälte, wogegen langwellige wie Rot oder Gelb als warm empfunden werden. Außerdem werden dunkle, gesättigte Farben eher als schwer empfunden. Subjektive Farben entstehen ohne Einfluß der dazugehörigen Wellenlängen. Die sogenannten Fechner-Benham-Farben nimmt man bei bestimmten Schwarz-Weiß-Flickerreizen wahr, z.B. bei Drehung einer Scheibe mit einem bestimmten Schwarz-Weiß-Muster.
U.Ey./F.St.
Farbwahrnehmung
Farbwahrnehmung bei Tieren:
Die Farbwahrnehmung bei einzelnen Tierarten ist optimiert auf die jeweilige Signifikanz in ihrer Umwelt. Ein Affe muß eine reife Frucht (rot) von einer unreifen (grün) unterscheiden und sie von der Umgebung (grüne Blätter) ausgliedern können. Viele Blüten von Blumen sind für Bienen hochattraktiv, da sie zusätzlich das für den Menschen nicht sichtbare UV-Licht abstrahlen und damit neue Farbeigenschaften erhalten. Viele Beeren, die für uns schwer zu sehen sind, strahlen ebenfalls UV-Licht ab, das für viele Vögel leicht wahrnehmbar ist.
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