Lexikon der Neurowissenschaft: Frühförderung
Frühförderungw, Konzept der Entwicklungsförderung: verschiedene Schulen (z.B. Bobath, Vojta) sehen therapeutische Übungsprogramme zur Unterstützung und Beschleunigung schwerpunktmäßig der motorischen Entwicklung eines Kindes zu einem möglichst frühen Zeitpunkt vor. Im 1. Lebensjahr steht hierbei die Unterstützung motorischer Fähigkeiten in Form der klassischen Krankengymnastik im Vordergrund, schwerpunktmäßig Übungen zur Förderung der Rumpfrotation, des Abstützens, des Kriechens und richtiger Ausgangspositionen für neue Bewegungen sowie die Vermeidung tonischer Muster, aus denen heraus keine neuen Bewegungsabläufe möglich sind. Die Vorgehensweise beruht gedanklich auf den Phänomenen Plastizität und Prägbarkeit des Zentralnervensystems (Plastizität im Nervensystem). So werden durch Krankengymnastik im Rahmen der Plastizität Möglichkeiten des Funktionsausgleichs bei hirnorganischen Defekten versucht. Eine bleibende Funktionsfähigkeit sehen Vertreter der Frühförderung unter Beachtung der Prägbarkeit gewährleistet, welche die Eigenschaft des Zentralnervensystems beschreibt, nur während bestimmter kritischer Perioden auf äußere Reize zu reagieren. Während Frühförderungsmaßnahmen für ein durchschnittlich entwickeltes Kind allgemein für unangebracht gehalten werden, da hier eine abwartende Haltung gegenüber Reifungsprozessen (Reifung) und eigeninitiativ durchgeführten Bewegungsabläufen neben den anregenden und responsiven Impulsen aus der normalen Eltern-Kind-Interaktion als durchaus ausreichend stimulierend angesehen werden, wird die Bedeutung einer Frühförderung mit übenden Methoden bei Entwicklungsverzögerung, speziell bei reduzierter Bewegungsqualität, kontrovers diskutiert. Befürworter der Frühförderung halten therapeutische Interventionen für angebracht, um Entwicklungsverzögerungen aufzuholen und eine potentielle Behinderung zu verhindern. Im Gegensatz dazu appellieren Gegner einer schematischen Frühförderung in Therapieeinheiten für eine beratende Begleitung des Kindes und der Eltern im Alltag, um kleinste, eigeninitiativ vom Kind angeregte Entwicklungsfortschritte durch vielfältige Verstärkung hervorzuheben und damit als sicher machende Bewegungserfahrung speichern zu lassen. Auf trainierende Bewegungsangebote von außen wird aufgrund ihrer verunsichernden Wirkung weitgehend verzichtet. Das Hauptargument gegen methodisch festgelegte, krankengymnastische Maßnahmen der Frühförderung stellt jedoch die Tatsache dar, daß bis heute keine Untersuchung zweifelsfrei deren entwicklungsfördernden Effekt nachweisen konnte, wenn auch im Einzelfall eine erhebliche Verbesserung der Entwicklungsstörung herbeigeführt werden konnte. Dieser Erfolg wird vor allem einer Stärkung der Eltern-Kind-Beziehung zugeschrieben. Es gab jedoch auch Fälle einer Verschlechterung des Zustandes der beeinträchtigten Motorik. Der Vorteil einer beratenden Begleitung versus Frühförderung wird auf der Basis biologischer Interaktionserfahrungen der frühen Kindheit a) im natürlichen emotionalen Austausch zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen, b) in der Bedeutung selbständiger Bewegungserfahrung, c) in einer ausreichenden Förderung aller Sinneseindrücke und d) im Wechsel von Aktivität und Ruhe zur eigenen Rhythmusfindung gesehen. Bewegung.
G.H.S.
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