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Lexikon der Neurowissenschaft: Gehörorgane

Gehörorgane, Hörorgane, E auditory organs, dem Gehörsinn dienende Organe zur Wahrnehmung von Luft- oder Wasserschall ( siehe Tab. ); sie sind im Tierreich weit verbreitet (Gliederfüßer, Wirbeltiere). – Bei den Insekten haben mehrere Ordnungen unabhängig voneinander Gehörorgane entwickelt, die in drei Grundtypen unterschieden werden können: Hörhaare, das Johnston-Organ und Tympanalorgane ( siehe Abb. 1 ). Die Hörhaare von Insekten sind in der Regel lang, leicht beweglich und an exponierten Körperstellen lokalisiert (z.B. Becherhaar). Sie werden aufgrund ihrer leichten Beweglichkeit von schnell schwingenden Luftteilchen in Resonanz versetzt (Schallschnelleempfänger), reagieren jedoch auch auf anderweitige mechanische Reize, so daß häufig eine eindeutige Zuordnung dieser Sinnesorgane nicht möglich ist. Hörhaare reagieren am besten auf niederfrequente Töne von höchstens etwa 1 kHz (bei den Raupen einiger Schmetterlinge zu finden). Ebenfalls als Schallschnelleempfänger arbeitet das Johnston-Organ, das bei allen antennentragenden Insekten anzutreffen ist. Es liegt im zweiten Segment der Basis der Antennen; dort ist die Grundplatte des Antennen-(Geißel-)schafts mit den dreidimensional angeordneten Rezeptorzellen (Scolopidien, z.B. bei den Stechmücken 30000 pro Antenne) verbunden. Bei Abbiegung des Antennenschafts durch Schallwellen oder Luftdruck wird ein sehr spezifisches Erregungsmuster erzeugt. Bei einigen Tieren (z.B. männlichen Stechmücken, Zuckmücken und Taumelkäfern) reagiert das Organ besonders empfindlich auf Frequenzen zwischen 100 und 500 Hz, den Frequenzbereichen der Fluglaute weiblicher Tiere. Es registriert jedoch auch die relativen Bewegungen der Antennen gegenüber deren Basis und dient so zur Messung der Fluggeschwindigkeit wie auch der Orientierung im Raum (infolge der Schwerkraft erfahren die Antennen bei verschiedener Lage des Körpers im Raum eine verschieden starke Auslenkung). Tympanalorgane sind unabhängig voneinander in verschiedenen Insektenfamilien (z.B. Schmetterlinge, Heuschrecken, Zikaden) entstanden und besitzen ausschließlich Hörfunktion. Die Schallwellenperzeption erfolgt in der Regel über ein, bei den Singschrecken und Grillen über zwei Trommelfelle auf jeder Körperseite, die vom Schalldruck in Schwingung versetzt werden; Tympanalorgane sind sogenannte Druckgradientenempfänger. Sie finden sich an der Basis der Vorderbein-Tibiae (Grillen, Laubheuschrecken) oder im Grenzbereich zwischen Thorax und Abdomen (Schmetterlinge). Die Schallwellenperzeption erfolgt stets über Scolopidien, die dem Trommelfell (Tympanum) direkt anliegen und primäre Mechanorezeptoren mit langen Cilien enthalten. Dem Trommelfell unterlagert sind in der Regel Tracheenblasen, die die Schallresonanz besser ausnutzbar machen. Die größte Empfindlichkeit der Tympanalorgane liegt in dem Frequenzbereich, den auch die arteigenen Laute aufweisen. Frequenzanalysen können mit diesen Organen nur begrenzt durchgeführt werden, die Determination der Schallrichtung ist aber gut ausgeprägt: Dies hat eine besondere Bedeutung für die Arterhaltung, da sich die einzelnen Individuen in der Paarungszeit durch Gesang ausfindig machen ( siehe Zusatzinfo ). Die meisten Vertreter der Nachtfalter gehören zu den wenigen Tieren, die zwar zur Lautwahrnehmung, aber nicht zur Lauterzeugung befähigt sind. Die größte Empfindlichkeit ihrer Gehörorgane liegt im Ultraschallbereich, wobei noch Frequenzen bis zu etwa 150 kHz wahrgenommen werden können. In diesem Frequenzbereich liegen auch die Peillaute ihrer größten Feinde, der Fledermäuse (Echoorientierung). In diesem Fall dienen die Gehörorgane nicht der innerartlichen Kommunikation, sondern der Feinderkennung. – Die Gehörorgane der Wirbeltiere gehen einheitlich auf Teile des Labyrinths zurück und arbeiten als Schalldruckempfänger. Bei den Knochenfischen haben die Macula sacculi und die Macula lagenae Hörfunktion. Hier befinden sich durch Gallerte fest verbackene Ohrsteinchen, auch Otolithen genannt, über einigen tausend Haarzellen. Die Schalleitung zum Labyrinth erfolgt bei Fischen entweder direkt (Blauhai) oder über Ausstülpungen der Schwimmblase (Mormyriden) bzw. über die Weber-Knöchelchen (Karpfenfische), welche Endolymphräume (s.u.) des Labyrinths mit der Schwimmblase verbinden. Das Hörvermögen der Fische beschränkt sich im allgemeinen auf tiefere Töne, die obere Hörgrenze liegt bei 1000-2000 Hz. Es gibt aber Ausnahmen (z.B. den Hering, Alosa sapidissima), die Töne bis 180 kHz wahrnehmen können. – Bei Landwirbeltieren dient ein zusätzlicher schlauchförmiger Anhang, der sich nahe der Macula lagenae entwickelt, als Gehörorgan. Dieses Organ wird als Papilla basilaris (Reptilien), Lagena (Vögel) oder Cochlea (Säugetiere) bezeichnet. Es besteht aus 3 durch Membranen voneinander getrennten Gängen, der Scala tympani, Scala media (auch Ductus cochlearis) und Scala vestibuli. Bei Vögeln, Amphibien und Reptilien ist das Gangsystem des Gehörorgans geradlinig ausgestreckt, und im Gegensatz zu Säugern verfügen diese Tiere nur über ein Gehörknöchelchen (Columella) im Mittelohr für die Leitung des Schalls vom Trommelfell zum Innenohr. Der Hörbereich von Vögeln, Reptilien und Amphibien liegt im allgemeinen unterhalb von 8 kHz. Ausnahme ist die Schleiereule, die Frequenzen bis zu 11 kHz wahrnimmt. – Am besten untersucht ist bisher das Gehörorgan (Ohr) der Säugetiere. Bei den Säugetieren reicht das hörbare Tonspektrum im allgemeinen bis zu deutlich höheren Frequenzen als bei anderen Wirbeltieren. Während der Hörbereich des jungen Menschen zwischen etwa 15 Hz und 20 kHz liegt (im Alter sinkt die obere Grenze auf 12-5 kHz), können viele Säuger auch Frequenzen im Ultraschallbereich wahrnehmen; manche echoortende Säuger (Fledermäuse, Delphine) können noch Frequenzen bis 200 kHz auflösen (Echoorientierung). Bei Säugern (Ausnahme: Kloakentiere) windet sich das Gangsystem des Innenohrs schraubig auf und bildet die Schnecke (Cochlea). Die Scala media, gefüllt mit Endolymphe, wird von der Scala tympani durch die Basilarmembran (Membrana basilaris) und das ihr aufliegende Corti-Organ (das eigentliche Sinnesorgan) getrennt. Zwischen Scala media und Scala vestibuli ist die Reissner-Membran gelegen. Am Helicotrema, der "Spitze" der Cochlea, stehen Scala tympani und Scala vestibuli miteinander in Verbindung. Die Schallwellen werden vom Außenohr aufgenommen und durch den Gehörgang zum Trommelfell geleitet. Die durch die Schallwellen erzeugten Schwingungen des Trommelfells werden von den Gehörknöchelchen auf die Membran des ovalen Fensters übertragen, das an der Basis des Innenohrs die Scala vestibuli gegenüber dem Mittelohr abgrenzt. Durch die Hebelwirkung der Gehörknöchelchen wird eine sensitive Auslenkung des ovalen Fensters erreicht. Ohne den Trommelfell-Gehörknöchelchen-Apparat würden mehr als 99% der Energie des Luftschalls am flüssigkeitsgefüllten Innenohr reflektiert. Schwingungen des ovalen Fensters breiten sich als Flüssigkeitsschall in der angrenzenden Scala vestibuli und durch die akustisch transparente Reissner-Membran in der Scala media aus. Wegen der Inkompressibilität sowohl dieser Flüssigkeiten als auch der die Cochlea umgebenden Knochenkapsel erfolgt der Ausgleich dieser Schwingungen in Abhängigkeit von deren Frequenz über die Basilarmembran – und für sehr tiefe Frequenzen über das Helicotrema – in die Scala media und von dort über die Membran des runden Fensters in das Mittelohr. Die Schwingungen auf der Basilarmembran bewirken nun ihrerseits eine frequenzabhängige Erregung der Rezeptoren (Haarzellen) im Corti-Organ. Von den Rezeptoren ziehen Nervenfasern (beim Menschen 30000-40000), die in ihrer Gesamtheit den Hörnerv (Cochlearis) bilden, zum Gehirn. Jede dieser Fasern kommt von einem eng umschriebenen Bereich des Corti-Organs bzw. einer inneren Haarzelle. Da nach der Wanderwellenhypothese (Ortstheorie) jeder Ort der Basilarmembran einer bestimmten Frequenz zugeordnet ist, folgt, daß jede Nervenfaser nur durch die entsprechende Frequenz optimal erregt werden kann. Man bezeichnet diese als die charakteristische Frequenz, auch Bestfrequenz, der Nervenfaser. Auf dem Weg zum primären auditorischen Cortex des Gehirns durchziehen die Nervenbahnen mehrere Kerngebiete, wo sowohl eine Verschaltung der Fasern des einen Ohrs als auch eine mit denen des anderen Ohrs stattfindet. In diesen Kernen erfolgt die erste neuronale Analyse und Verarbeitung der aufgenommenen akustischen Reize. – Eine Schallwelle muß, um gehört zu werden, d.h. um im Hörbereich zu liegen, nicht nur eine bestimmte Frequenz, sondern auch einen definierten Schalldruckpegel aufweisen ( siehe Abb. 2 ). Dieser Schwellenwert (Hörschwellenkurve) ist frequenzabhängig und für das menschliche Ohr in den Bereichen von 2000-4000 Hz am niedrigsten. Dort liegt auch ein Großteil der Frequenzen der menschlichen Stimme, wobei das geübte Ohr noch Tonhöhenunterschiede von 3 Hz, das entspricht einer Frequenzunterschiedsschwelle von etwa 0,3%, wahrnehmen kann. Ist der entsprechende Schwellenwert einmal überschritten, so wird, unabhängig von der Frequenz, mit zunehmendem Schalldruck ein Ton immer lauter empfunden. Bei kontinuierlich weiter steigendem Schalldruck wird zunächst eine Schmerzempfindung (Schmerzschwelle) ausgelöst, die schließlich in Taubheit übergeht. Diese kann bei nur kurzer Schalleinwirkung reversibel sein. Mit steigender Einwirkungszeit führen über der Schmerzschwelle liegende Schalldruckpegel aber immer zu einer irreversiblen Schädigung des Gehörorgans (Gehörschäden). akustische Kommunikation, mechanische Sinne.

Gehörorgane

Hörbereich, in Zahl der Schwingungen pro Sekunde (Hz):

Stechmücke um 380
Zikaden 1000-5000
Heuschrecken 1000-90000
Nachtfalter bis etwa 150000
Schwanzlurche unter 250
Froschlurche 50-10000
Aal 16-500
Elritze 16-7000
Hering 100-180000
Eidechsen bis 8000
Huhn 40-3500
Taube 40-6000
Schleiereule 40-11000
Hunde bis 35000
Ratten bis 100000
echoortende Säuger bis 200000
Mensch:
– Kind 16-21000
– 35jähriger 16-15000
– Greis 16-5000

Vögel und Säuger sind innerhalb ihres Hörbereichs erheblich sensitiver (z.T. um 40 dB) als die anderen Tiergruppen.



Gehörorgane

Abb. 1: 1a Lage der Tympanalorgane im Vorderbein einer Laubheuschrecke; 1b Querschnitt durch das Tympanalorgan im Vorderbein der Laubheuschrecke Decticus (Warzenbeißer). 2 Schema der Antenne einer Stechmücke (Culicidae) mit Johnston-Organ. 3 Schalleitungsapparat bei Karpfenfischen.

Bn Beinnerv, Bo Borsten, Cl Chitinlamelle, Cp Chitinplatte, Fe Femur, Fg Fühlergeißel, Fz Fettzelle, Gn Geißelnerv, Hs Hörspalt (Öffnungsschlitz der Tympanalhöhle), Hz Hüllzelle. KS Kerne der Sinneszellen, La Lagena, Mf Muskelfaser, NJ Nerven des Johnston-Organs, Pe Pedicellus (2. Fühlerglied), Sb Schwimmblase, Sc Scapus (1. Fühlerglied), Sk Skolops, Sp Skolopidium, St Stift, Sz Sinneszelle, Th Tympanalhöhle, Ti Tibia, Tn Tympanalnerv, Tr Trachee, Ty Tympanum, Wk Weber-Knöchelchen

Gehörorgane

binaurale Ortung:
Eine wichtige Leistung der Gehörorgane von Insekten und Wirbeltieren besteht in der akustischen Lokalisation einer Schallquelle. Diese wird mit beiden Ohren (binaural) durchgeführt. Zur "Berechnung" der Schallrichtung werden folgende Kriterien herangezogen: 1) Die zeitliche Differenz, d.h. die Zeitspanne, die zwischen dem Ankommen einer Schallwelle am linken bzw. rechten Ohr liegt, wenn sich die Schallquelle seitlich des Hörers befindet. Diese Zeitdifferenz Δ t berechnet sich nach der Formel Δ t =sin α/v (d = Ohrenabstand, α = seitlicher Einfallswinkel der Schallwellen, v = Schallgeschwindigkeit). Dieses Kriterium gilt vermutlich aber nur für Tiere mit hinreichend großem Ohrabstand. Unter günstigen Bedingungen können Mensch und Katze noch Zeitdifferenzen von 10-5 s auswerten, was einer Winkelauflösung von 1° entspricht. 2) Die Differenz des Schalldrucks. Die von einer seitlich vom Hörer befindlichen Schallquelle ausgesandten Schallwellen werden auf dem Wege zu dem der Schallquelle abgewandten Hörorgan beim Durchtritt durch den Schädel gedämpft. 3) Unterschiede in der Klangfarbe. Diese resultieren daraus, daß beim Durchtritt durch den Schädel höhere Töne stärker gedämpft werden als tiefere. binaurale Hörsynthese, Richtungshören.



Gehörorgane

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