Lexikon der Neurowissenschaft: Harlow-Versuche
Harlow-Versuche, berühmt gewordene Versuche des Psychologen-Ehepaars Harlow und seiner Mitarbeiter in den 1950er Jahren, die erstmals die Behauptung widerlegten, daß die Zuwendung eines Jungtieres (auch des menschlichen Säuglings) zur Mutter durch eine Assoziation zwischen Mutter und Befriedigung des Hungerantriebs zustande käme. In den Versuchen bot man isoliert aufgezogenen Rhesusaffenjungen eine Drahtattrappe, die Nahrung spenden konnte, und eine weiche Stoffattrappe zur Wahl, wobei sich das Jungtier stets an die kuschelige Attrappe anklammerte. Die Beobachtungen ergaben schwere Störungen und Schäden im Entwicklungsverlauf der isoliert aufgezogenen Tiere, wie Bewegungsstereotypien, Apathie, zwanghafte Gewohnheiten, aggressive Reaktionen (Aggression), gestörtes Erkundungs- und Spielverhalten (Spielen). Die meisten Tiere waren später paarungsunfähig; falls Weibchen Junge gebaren, vernachlässigten oder mißhandelten sie diese. Eine normale Mutter-Kind-Bindung ist demnach eine Voraussetzung auch für spätere Sozialisationsprozesse. Jüngere ethologische und neurobiologische Untersuchungen haben die Bedeutung der Ergebnisse der Harlow-Versuche unterstrichen ( siehe Zusatzinfo ). Lernen, Deprivation, Ontogenese des Nervensystems, Prägung, Kaspar-Hauser-Versuch.
Harlow-Versuche
Die postnatale, frühkindliche und auch juvenile Phase ist bei höheren Wirbeltieren generell, insbesondere jedoch bei Primaten und beim Menschen, von größter Wichtigkeit für die individuelle Verhaltensentwicklung. Zwar existiert eine genetische "Vorprogrammierung", jedoch entwickelt sich die vollständige (adaptive) Ausbildung des individuellen Verhaltensrepertoires erst frühkindlich unter den gegebenen sozialen bzw. artspezifischen Bedingungen (Mutter-Kind, Geschwister, Familie usw.). In dieser Phase laufen eine Fülle komplexer Lernprozesse ab, deren Verhaltensrelevanz vielfach erst zu späteren Entwicklungszeitpunkten zum Tragen kommt, wie z.B. phasenbedingtes Sozialverhalten, Sexual- bzw. Fortpflanzungsverhalten u.a. Parallel zur Verhaltensentwicklung scheint die vollständige Reifung und Ausbildung insbesondere der phylogenetisch jüngeren Hirnstrukturen (z.B. Neocortex) abzulaufen. Tierexperimentelle Untersuchungen haben deutlich gemacht, daß die Komplexität der Verschaltungen und besonders die Anzahl funktioneller Synapsen von den Aufzuchtbedingungen (deprived or enriched environment) abhängig sind.
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