Lexikon der Neurowissenschaft: intuitives Elternprogramm
intuitives Elternprogramms, Eintuitive parenting, nicht durch Erfahrung oder Überlegung, sondern durch unmittelbares Erfassen des kindlichen Befindens gesteuertes Elternverhalten (Eltern-Kind-Beziehung). Es gibt inzwischen eine Reihe empirischer Nachweise für ein intuitives Elternprogramm als evolutionsbiologische Anpassungsleistung, die komplementär zu den soziokommunikativen Kompetenzen des Säuglings entstanden ist. So besteht z.B. komplementär zur Entwicklung der kindlichen Voraussetzungen zum Blickkontakt bei den Eltern ein verstärktes Bemühen, Blickkontakt herzustellen ( siehe Zusatzinfo ). Mit dem evolutionär angelegten intuitiven Elternprogramm gelingt es Eltern, ihren Kindern die Grundlage der für ihre Sozialisation erforderlichen Entwicklungsbedingungen zu bieten. Die zum intuitiven Elternprogramm zählenden Verhaltenskomponenten werden in der psychologischen Literatur als Zeichen elterlicher Sensitivität oder Responsivität gewertet. Hierzu gehört die einfühlsame, immer jeweils gleichartige und prompte Antwortreaktion der Eltern auf kindliche Verhaltenssignale. Nur wenn kindliche Aktion und elterliche Reaktion zeitlich direkt aufeinander folgen, mit nur maximal einer Sekunde Abstand dazwischen, kann das Kind beide Verhalten als zusammengehörig (kontingent) wahrnehmen und sein gezeigtes Verhalten als beantwortet empfinden. Dem Einhalten zeitlicher Kontingenzen kommt somit zentrale Bedeutung innerhalb des intuitiven Elternprogramms zu. Empirische Arbeiten zeigen, daß die Eltern mit ihren Reaktionen intuitiv das optimale Zeitfenster einhalten, das dem Säugling eine Kontingenzwahrnehmung ermöglicht, nämlich in der Regel in einem Bereich von 200-800 ms antworten. Diese Reaktionszeit liegt oberhalb der Reflexgrenze, aber unterhalb der Grenze, die den Eltern bewußte Entscheidungen ermöglichen würde.
intuitives Elternprogramm
Die Evidenz für eine biologische Grundlage dieses elterlichen Verhaltens wird aus der intuitiven, nicht bewußten oder rational gesteuerten Qualität dieser Verhaltensweisen abgeleitet. So versuchen selbst diejenigen Eltern aktiv, Blickkontakt mit ihren Kindern herzustellen und ihr Gesicht immer von neuem zentral in das Blickfeld des Kindes zu bringen, die eigentlich davon überzeugt sind, daß es sie noch nicht visuell wahrnehmen kann. Eltern betrachten beim Wickeln das Kind aus ihrer für das Scharfstellen optimalen Sehentfernung, nämlich aus 40-50 cm Abstand. Sobald sie mit dem Säugling ein Zwiegespräch beginnen, pendelt sich die Entfernung auf durchschnittlich 22,5 cm ein – ein Abstand, der nun an die optimale Sehentfernung des Neugeborenen angepaßt ist.
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