Lexikon der Neurowissenschaft: neuraler Darwinismus
neuraler Darwinismusm,Eneural darwinism, Selektion von überschüssigen Nervenzellen durch programmierten Zelltod (Apoptose) während der Ontogenese des Nervensystems (ontogenetischer Zelltod) und Selektion von Nervenzellverbindungen abhängig vom Gebrauch. Zunächst findet im Nervensystem eine Überproduktion von Synapsen statt, der eine Reduktion folgt. Im Gegensatz zu den genetisch mehr oder weniger eindeutig determinierten neuronalen Schaltplänen von Insekten oder Mollusken (Arthropoden-Nervensystem, Mollusken-Nervensystem) sind die der Wirbeltiere relativ variabel. Wichtig ist jedoch auch hier, daß bestimmte Neuronengruppen aufeinandertreffen. Dies wird aber von den Genen eher reguliert als fest vorherbestimmt, trophische Faktoren haben dabei einen lenkenden Einfluß. Die anfängliche Verknüpfung scheint sich zufällig zu entwickeln, während die Elimination selektiv erfolgt. Dies gilt nicht nur für Synapsen im Gehirn, sondern auch für die Innervation von Muskeln. Nach der Geburt sind bei Säugetieren meist mehrere Neurone mit einer Muskelzelle verschaltet; später projiziert in der Regel nur noch ein einziges Motoneuron. Somit scheint auch auf der neuronalen Ebene eine von Zufall und Notwendigkeit vorangetriebene Selbstorganisation analog zu evolutionären Prozessen (Evolution) stattzufinden. – Der entscheidende Faktor für die Selektion der Elimination ist die Gebrauchsabhängigkeit der synaptischen Bahnung, funktionslose Verbindungen gehen nach einiger Zeit zugrunde. Eine Ursache dafür scheint die Abgabe von Wachstumsfaktoren der postsynaptischen Zelle zu sein, die von der präsynaptischen Zelle nur aufgenommen werden können, wenn diese aktiv ist (wenn sie nach der Transmitter-Ausschüttung die Vesikel-Membran wieder einstülpt; Endocytose). Auf diese Weise werden die synaptischen Kontaktflächen auch vergrößert, denn eine Zelle mit größerer Fläche erhält wiederum mehr Wachstumsfaktoren. Hierbei könnte ein Einstrom von Calcium in die postsynaptische Zelle über NMDA-Rezeptoren (Glutamatrezeptoren) notwendig sein. Umgekehrt wirkt auch das präsynaptische Neuron auf die nachgeschaltete Zelle ein, indem es deren Entwicklung und Rezeptoren-Ausprägung durch die Freisetzung bestimmter Polypeptide stimuliert. – Für Gerald Edelman ist der neurale Darwinismus ein Mechanismus, um bestimmte Gruppen von Nervenzellen und deren Aktivitäten abhängig von den Reizen aus der Umwelt und rückgekoppelten Interaktionen mit anderen Nervenzellgruppen selektiv zu stärken oder zu schwächen. Und dies ist eine Voraussetzung für die höheren Hirnleistungen bis hin zum Bewußtsein, ohne daß eine "zentrale Instanz" im Gehirn zur Bündelung der Wahrnehmungen und zur Steuerung der Handlungen notwendig wäre.
Lit.:Edelman, G.M.: Neural Darwinism. New York 1987.
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