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Lexikon der Neurowissenschaft: Neurochirurgie

Neurochirurgie w [von griech. neuron = Nerv, cheirurgos = Wundarzt], Eneurosurgery, eine eigenständige Disziplin in der Medizin, die sich mit der operativen Behandlung von Krankheiten des Zentralnervensystems befaßt. Es handelt sich hierbei insbesondere um Tumoren (hirneigene Tumoren, Tumoren der Hirnhäute, Metastasen, spinale Tumoren), Gehirnblutungen, Fehlbildungen der Hirngefäße, andere Fehlbildungen des Nervensystems und Traumata, aber auch um funktionelle Störungen wie Bewegungsstörungen, Epilepsie und Schmerz. Obwohl bereits seit dem Altertum viele operative Versuche unternommen wurden und schon in der Frühzeit dieser Disziplin ein hohes technisches Geschick vorlag, konnten bis zum 19. Jh. keine entscheidenden Fortschritte in der Neurochirurgie erreicht werden. Dies basierte auf einem Mangel an Kenntnissen über das Zentralorgan und fehlenden Untersuchungsverfahren. Eine Weiterentwicklung war, wie in der Allgemeinchirurgie, erst möglich, nachdem man die Bedeutung der Asepsis (Keimfreiheit) erkannt hatte und Blutstillungsmethoden sowie Anästhesieverfahren (Anästhesie) eingeführt wurden. Erst die rasche technische Entwicklung in der Neuroradiologie, vor allem durch die Kernspindiagnostik (Kernspinresonanzspektroskopie), bei der sich die Krankheit genau in Bezug zur Anatomie des Gehirns darstellen läßt, wie auch der Einsatz des Operationsmikroskops haben die Voraussetzungen und Grundlagen der funktionserhaltenden Neurochirurgie der Gegenwart geschaffen. – Die Entwicklung der Neurochirurgie läßt sich in drei Phasen unterteilen: 1) Die ältere Neurochirurgie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Bereits in vorgeschichtlicher Zeit wurden Trepanationen (Schädelbohrungen) durchgeführt. Diese frühen Eingriffe zeigen, daß bereits technische Voraussetzungen bestanden, um Eingriffe am zentralen Nervensystem durchzuführen. Die neurologischen Kenntnisse, die die Voraussetzung für eine gezielte Indikationsstellung sind, fehlten natürlich noch. So wurden vor allem Epilepsien (Krampfanfälle) und Schädel-Hirn-Traumen, insbesondere Impressionsfrakturen, behandelt. Bis ins 19. Jh. war die Indikation zu Eingriffen am Gehirn hauptsächlich deshalb nicht zu stellen, weil man die neurologischen Herdhinweise noch nicht kannte. Dies veränderte sich jedoch innerhalb weniger Jahre, als sich die Neurologie (Lehre von den Nerven und ihren Erkrankungen) entwickelte. – 2) Die konventionelle moderne Neurochirurgie, die vom Ende des 19. Jh. bis Mitte der 1960er Jahre reicht. Der erste Hirntumor in der "modernen" Zeit wurde 1884 operiert. Allerdings reichte die neurologische Diagnostik bei weitem nicht aus, um intracranielle Prozesse nach Lokalisation und Artdiagnose ausreichend abklären zu können. Dazu mußten erst Zusatzverfahren entwickelt werden, insbesondere morphologische Vorgehensweisen wie die Angiographie (Gefäßdarstellung), die Ende der 1920er Jahre entwickelt wurde. Manche der damals bei komplizierten Operationen entwickelten Strategien ähnelten bereits überraschend den aktuellen Methoden, die bei mikrochirurgischen Operationen heutzutage verwendet werden. – 3) Die durch die Mikrochirurgie geprägte, moderne Neurochirurgie. Die Entwicklung der diagnostischen Methoden, insbesondere die Computertomographie und die Kernspinresonanztomographie, sowie die Einführung des Operationsmikroskops haben Operationen möglich gemacht, die mit konventionellen Methoden bislang nicht durchzuführen waren. Die genaue Darstellung der Anatomie des Gehirns und die exakte Lokalisierung eines Krankheitsprozesses wird heutzutage durch moderne Bildgebung möglich gemacht. Nach Einführung der Mikrochirurgie mit schonender Behandlung der Hirngefäße ging die Mortalität (Sterblichkeit während der Operation) deutlich zurück, auch die postoperative Morbidität (Zustandsverschlechterung nach der Operation) wurde geringer. Die Bedeutung der Arachnoidea (hauchdünne, überdeckende Haut des Gehirns), die Arachnoidalschichten und die daraus entstehenden natürlichen Spalträume konnten inzwischen erkannt und lokalisiert werden. So ist es möglich, praktisch an jeder Stelle, auch in der Tiefe des Gehirns, über natürliche Zugangswege zu operieren, ohne daß das gesunde Gehirn, Hirnnerven oder Hirngefäße beschädigt werden. Auch Prozesse, die früher als inoperabel galten, können jetzt mit niedrigem Risiko operiert werden. In diesem Zusammenhang liegen fast keine technischen Beschränkungen mehr vor, beinahe alles ist operativ möglich geworden. Da sich die Krankheiten manchmal übergreifend in den Bereich von Nachbardisziplinen ausdehnen (Neuroradiologie, Neurologie, Augenheilkunde, Hals-Nasen-Ohren-Chirurgie, Kieferchirurgie), ist die enge Zusammenarbeit mit den anderen Abteilungen um so notwendiger geworden. Darüber hinaus entwickeln sich neue sogenannte "Subspezialitäten", wie z.B. die Schädelbasischirurgie, die Kinderneurochirurgie, die Epilepsiechirurgie, die Schmerztherapie sowie die Stereotaxie. – Für die Zukunft wird angesichts der großen technischen Möglichkeiten vor allem die Frage der Operationsindikation im Vordergrund stehen und die Überprüfung dieser Indikationsstellungen vordringlich sein. Diese Überprüfung kann an Hand von vorliegenden statistischen retrospektiven und vor allem prospektiven Studien durchgeführt werden. Zudem ist natürlich der individuellen Situation des einzelnen Patienten, insbesondere seinem physischen, aber vor allem auch seinem psychischen Zustand Rechnung zu tragen. Einer Prognose mit oder ohne neurochirurgische Operation sollte sehr gründlich nachgegangen werden, um die Lebensqualität des Patienten gewährleisten zu können. Bildgebung in der Neurowissenschaft, Fehlbildungen des Nervensystems, Neurologie, Psychochirurgie.

V.V.

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