Lexikon der Neurowissenschaft: Phantomglied
Phantomglied s [von franz. fantôme = Trugbild],E phantom limb, Bezeichnung für Körperglieder, die im Erleben des Patienten nach ihrer operativen Entfernung weiterhin existieren. Diese Erscheinung tritt meist dann auf, wenn nicht schon bald nach der Amputation eine Prothese angepaßt und genutzt wird. Das Phantomglied ist ein Bestandteil der mentalen Repräsentation des Körperschemas, dessen Existenz während des gesamten vorangegangenen Lebens durch Nutzung und reafferente Informationen bestätigt wurde, d.h., es handelt sich dabei um ein dauerhaft im Zentralnervensystem eingeprägtes Körperbild, das wahrscheinlich auf übererregbaren und spontanaktiven Nervenzellen beruht. Beim Gehen, Sitzen und Hinlegen wird das Phantomglied in der gleichen Weise "mitbewegt", wie sich das gesunde Glied früher bewegt hätte. Auch können darin Empfindungen (Phantomgefühle) verschiedenster Art wahrgenommen werden, z.B. Phantomschmerzen, die meist von den Nerven im Stumpfbereich ausgelöst werden. Bei visueller oder taktiler Eigenkontrolle ist das Phantomglied natürlich nicht vorhanden, es bleibt jedoch integrierter Bestandteil des subjektiven Erlebens des Körperschemas. Da das Phantomglied objektiv nicht existiert und die im Nervensystem vorhandene mentale Repräsentation seiner "Bewegungen" und "Wahrnehmungen" keine Bestätigung durch afferente Impulse über seine tatsächliche Stellung, sein Aussehen und seine Bewegung erhält, können sich die Verschaltungen der im neuronalen Netzwerk gespeicherten Information zunehmend verändern. Dies geschieht in ganz unterschiedlicher Form und mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Es kann allmählich verschwimmen oder schrumpfen ("Telescoping"), frei in der Luft hängen (wobei es sich trotzdem "mitbewegt") oder auch in den Amputationsstumpf hineinprojiziert werden ( siehe Abb. ). Die vor der Amputation als Bestandteile komplexer Programme in der mentalen Repräsentation gespeicherten Innervations- und Wahrnehmungsmuster des amputierten Gliedes lösen sich dabei zunehmend aus den selbstorganisierenden Gesamtsystemen geordneter Handlungsvollzüge und werden in der mentalen Repräsentation zu selbstorganisierenden Teilsystemen, die rein zufälligen Veränderungen unterliegen. Organismus-Umwelt-Beziehungen, Selbstorganisation.
Phantomglied
Phantomglieder der linken bzw. rechten Unterextremität nach den Schilderungen verschiedener Patienten. Die lebhaft und meist stark emotional empfundenen amputierten Teile sind durch Schraffierung markiert, die "Phantom-Verbindung" zum Stumpf durch punktierte Linien. Einige Phantomglieder werden in den Stumpf projiziert (unten links und rechts).
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