Lexikon der Neurowissenschaft: Philosophie des Geistes
Philosophie des Geistes,E philosophy of mind, philosophische Disziplin, die sich mit Problemen des Bewußtseins und der Kognition befaßt. Die zentralen Fragen kommen bereits in der Antike zur Sprache; in der Neuzeit beschäftigen sie seit Descartes praktisch alle maßgebenden Schulen und Autoren. Als eigenständige Disziplin hat sich die Philosophie des Geistes jedoch erst in der zweiten Hälfte des 20. Jh. vor allem in der analytischen Philosophie etabliert. Die wichtigsten Themen betreffen 1) die Bestimmung von Begriffen wie Bewußtsein, Subjektivität oder Willensfreiheit; 2) Grundsatzfragen insbesondere bezüglich des Verhältnisses von geistigen und physischen Prozessen (Leib-Seele Problem); 3) wissenschaftstheoretische Probleme, wie sie sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Wissenschaften bei der Erforschung von Gehirn und Bewußtsein ergeben; 4) die praktischen und theoretischen Konsequenzen dieser Forschung. Waren empirische Erkenntnisse in der Philosophie des Geistes zunächst nur am Rande zur Kenntnis genommen worden, so hat sich in den letzten Jahren die Einsicht durchgesetzt, daß eine enge Zusammenarbeit mit den Neuro- und Kognitionswissenschaften unerläßlich ist, ohne daß damit theoretische Überlegungen und begriffliche Klärungen überflüssig würden. Nachdem der Leib-Seele-Dualismus ebenso an Bedeutung verloren hat wie der um die Mitte des 20. Jh. dominierende Behaviorismus, gehen die meisten derzeit relevanten Theorien davon aus, daß mentale Prozesse mit physischen Prozessen identifiziert werden können, versuchen aber gleichzeitig dem besonderen Charakter mentaler Phänomene gerecht zu werden. Während der Typen-Identitätstheorie zufolge jeweils ein Typ mentaler Prozesse (z.B. Schmerz) mit einem Typ neuronaler Zustände identifiziert werden kann, postuliert die Token-Identitätstheorie, daß die einzelnen Exemplare (Token) eines Typs mentaler Ereignisse durch physische Prozesse mehrerer Typen "realisiert" sind. In diesem Zusammenhang wird meist unterstellt, daß mentale Prozesse über ihre funktionale Rolle im Verhältnis zu Reizen und Reaktionen eines Organismus bestimmt werden können. Als Realisierungen eines solchen Zustands gelten dann alle physischen Prozesse, die die entsprechende funktionale Rolle besetzen. Weitere Schwerpunkte der neueren Diskussion betreffen die naturwissenschaftliche Erklärbarkeit von spezifischen Erfahrungsqualitäten wie etwa Schmerzen, die Frage, ob das Bezogensein z.B. von Gedanken und Überzeugungen auf externe Sachverhalte (Intentionalität) naturwissenschaftlich erklärt werden kann und muß, das Problem der Willensfreiheit und schließlich die kognitiven und neuronalen Mechanismen, die der Entstehung von Subjektivität zugrunde liegen. Ziel philosophischer Überlegungen ist dabei keine abschließende Antwort, sondern vielmehr die Präzisierung von Problemstellung und Lösungsoptionen, die dann in den empirischen Wissenschaften bearbeitet werden müssen. Geist und Gehirn.
M.P.
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