Lexikon der Neurowissenschaft: Polyneuritis
Polyneuritis w [von griech. polys = viel, neuron = Nerv], Epolyneuritis, i.e.S. entzündliche Erkrankung eines oder mehrerer peripherer Nerven (Nerv) oder Hirnnerven, i.w.S. auch entzündliche Erkrankung der Nervenwurzeln (Polyradikulitis) bzw. der Wurzeln und zugehörigen Nervenabschnitte (Polyradikuloneuritis). Der Begriff überschneidet sich mit dem der Polyneuropathie, der neben entzündlichen auch nichtentzündliche Ursachen einer Schädigung peripheren Nerven umfaßt. Bei Entzündung eines einzelnen Nervs spricht man von Mononeuritis, bei Erkrankung der Hirnnerven von Polyneuritis cranialis, bei asymmetrischem Befall räumlich weit auseinanderliegender Nerven liegt eine Polyneuritis vom Multiplex-Typ (auch Mononeuritis multiplex) vor. Klinisch bestehen sensible, motorische und gemischte Ausfallssymptome, teilweise auch vegetative Symptome. – Man unterscheidet die selteneren, direkt erregerbedingten Erkrankungen (z.B. durch Borrelien, Brucellen, verschiedene Viren oder auch durch bakteriotoxische Schädigung bei Tetanus, Diphtherie, Botulismus) von immunvermittelten, sogenannten "allergischen" Polyneuritiden: diese gehören mit einer Häufigkeit von ca. 2 pro 100000 Einwohner zu den häufigsten Erkrankungen des peripheren Nervensystems. Ganz überwiegend handelt es sich dabei um demyelinisierende Prozesse. Die Pathomechanismen sind noch unklar, man kann sich nur auf tierexperimentelle Untersuchungen zur experimentellen allergischen Neuritis stützen. In zeitlichem Zusammenhang mit Infektionen oder Impfungen kann eine para- oder postinfektiöse bzw. postvaccinale Polyneuritis auftreten. – Wichtigster Vertreter ist die akute Polyneuritis Guillain-Barré (Guillain-Barré-Syndrom), die allerdings auch idiopathisch oder nach anderen körperlichen Belastungen vorkommen kann. Sie verläuft als aufsteigende symmetrische (senso-)motorische Lähmung und beteiligt öfters auch Hirnnerven; Störungen des vegetativen Nervensystems sind häufig. Sonderformen der akuten Polyradikulitis sind das Miller-Fisher-Syndrom, das Elsberg-Syndrom und die mit axonalen Veränderungen einhergehende akute motorisch-sensible axonale Neuropathie sowie die akute motorische axonale Neuropathie (Guillain-Barré-Syndrom). Chronisch wiederkehrende Verläufe kommen in ca. 5% der Fälle vor. Bei primär chronischem Verlauf liegt eine chronisch entzündliche demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) vor. Polyneuropathien im Rahmen entzündlicher Prozesse treten weiterhin bei Kollagenosen und Vaskulitiden (Gefäßentzündungen) auf und werden durch eine Entzündung kleiner und mittlerer Gefäße des Epineuriums verursacht. Diese verlaufen oft (sub-)akut oder schubförmig mit Bevorzugung der unteren Extremität unter dem Bild einer Neuritis vom Multiplex-Typ bzw. Schwerpunktspolyneuritis. Dieser Verlauf kommt zudem oft bei Sarkoidose (Boeck-Sarkoidose), postvaccinaler und serogenetischer Polyneuritis (nach Injektion von Fremdproteinen) vor. Vermutlich ebenso immunvermittelt ist die Neuritis des Plexus brachialis (neuralgische Amyotrophie, neuralgische Schulteramyotrophie, Parsonage-Turner-Syndrom), seltener des Plexus lumbalis oder sacralis. Granulomatös-entzündliche Prozesse wie Sarkoidose (oft als Polyneuritis cranialis) und das Melkersson-Rosenthal-Syndrom können ebenfalls immunologisch vermittelte Polyneuropathien verursachen. Polyneuropathie.
S.M.
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