Lexikon der Neurowissenschaft: Polyneuropathie
Polyneuropathie w [von griech. polys = viel, neuron = Nerv, pathos = Leiden], Neuropathie, Abk. PNP, E neuropathy, Bezeichnung für Erkrankungen der peripheren Nerven mit meist distalen und symmetrisch betonten sensiblen, motorischen und vegetativen Symptomen. Die Polyneuropathien sind, da sie oft als Begleit- oder Zweiterkrankung auftreten, nicht immer gut erfaßt; epidemiologische Angaben schätzen ihre Prävalenz auf etwa 4 pro 10000 Einwohner. Polyneuropathien beginnen oft mit Schmerzen und Parästhesien, die distal symmetrisch, meist an den unteren Extremitäten akzentuiert sind sowie mit Vegetativsymptomen. Es können Lähmungen hinzukommen, und auch Hirnnerven können beteiligt sein. Die häufigsten diagnostizierbaren Ursachen für Polyneuropathien sind Diabetes mellitus (diabetische Polyneuropathie) und Alkoholmißbrauch (Alkoholpolyneuropathie). Auch viele Medikamente (medikamentös ausgelöste Polyneuropathien) und manche toxische Substanzen (toxische Polyneuropathien) können Polyneuropathien auslösen. – Polyneuropathiemuster: Die Polyneuropathien werden nach klinischen Verteilungsmustern der Symptome und nach bevorzugtem Befall von Myelinscheiden oder Axonen eingeteilt und je nach Beteiligung der Symptomatologie mit den Zusätzen "sensomotorisch", "motorisch", "sensibel" oder "vegetativ" belegt. Ferner werden die Polyneuropathien auf ätiologischer Basis klassifiziert
( siehe Tab. ). Man unterscheidet die distal symmetrische Form (strumpf- bzw. handschuhförmige Sensibilitätsstörungen und distal betonte Paresen) von der Mononeuritis multiplex mit multifokalem Befall verschiedener peripherer Nerven. Histologisch und elektroneurographisch können Polyneuropathien mit Parenchymschädigung (axonale Degeneration und/oder segmentale Demyelinisierung) von Erkrankungen des Interstitiums differenziert werden. Unter Parenchym versteht man dabei Axone und deren Myelinscheiden, das Interstitium umfaßt das Endo-, Peri- und Epineurium sowie die Gefäße (Nerv). Bei Polyneuropathien mit segmentaler Demyelinisierung kommt es frühzeitig zur Verlangsamung der Nervenleitungsgeschwindigkeit. Zu den primär demyelinisierenden Polyneuropathien gehören das Guillain-Barré-Syndrom, manche Polyneuropathien bei Gammopathie und einige hereditäre Neuropathien. Bei primär axonaler Polyneuropathie bleiben die Nervenleitungsgeschwindigkeiten lange normal, jedoch sind frühe Denervationszeichen (Denervierung) zu finden. Zu den primär axonalen Polyneuropathien gehören die meisten toxischen Polyneuropathien und Polyneuropathien bei Stoffwechselstörungen. Interstitielle Polyneuropathien werden vor allem durch Amyloid-Ablagerungen, Immunvaskulitis (Kollagenose) und Infektionskrankheiten verursacht. – Eine wichtige, weil therapeutisch relevante Untergruppe der Polyneuropathien sind die entzündlichen Polyneuritiden (Polyneuritis); dabei kann das periphere Nervensystem direkt durch eine Reihe von Infektionen (viral, bakteriell) befallen werden. Nicht zu den Polyneuropathien gerechnet werden Primärerkrankungen der Motoneurone wie z.B. die spinalen Muskelatrophien. paraproteinämische Polyneuropathien (Abb.).A.S./H.H.
Polyneuropathie
Klassifikation der Polyneuropathien nach ihren Ursachen
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exogen toxische Störungen | Alkohol, Medikamente, Lösungsmittel, Schwermetalle | |
Entzündungen bzw. Infektionen | Guillain-Barré-Syndrom, paraneoplastisch, Lepra, HIV-Infektion, Borreliose, Hepatitis, Botulismus | |
Mangel- und Fehlernährung | Vitaminresorptionsstörungen, Mangelernährung | |
Kollagenosen | Panarteriitis nodosa und andere | |
Paraproteinämie | Gammopathien, Morbus Waldenström | |
genetisch bedingt | hereditäre motorische und sensible Neuropathien |
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