Lexikon der Neurowissenschaft: Psychochirurgie
Psychochirurgie w [von griech. psyche = Hauch, Seele; cheirurgos = Wundarzt],Epsychosurgery, Zerstörung von – anscheinend nicht geschädigten – Gehirnregionen, um schwere und anderweitig unbehandelbare psychiatrische Störungen zu beheben ( siehe Zusatzinfo ). Die moderne Psychochirurgie entstand in den 1930er Jahren, nachdem entdeckt wurde, daß bestimmte Läsionen im Schläfenlappen (Klüver-Bucy-Syndrom) und im Frontallappen das Verhalten und die Affektivität von Affen verändern. Dies veranlaßte den portugiesischen Neurologen A.E. Moniz (1874-1955) zu der Behauptung, daß ähnliche Läsionen bei Menschen eine Reihe von Verhaltensproblemen lindern könnten. Dies wurde dann im großen Maßstab unternommen, anfangs mit Hilfe von Alkohol-Injektionen in den Frontallappen, bald darauf mittels präfrontaler Leukotomie, zuweilen sogar Lobotomien. 1948 wurde von Hugh Cairns als Alternative die anteriore Cingulotomie, eine Läsion im vorderen Gyrus cinguli, erstmals durchgeführt, die schwere Zwangsstörungen zuweilen lindern kann. Allein in den USA wird die Zahl der psychochirurgischen Eingriffe bis Ende der 1970er Jahre auf rund 35000 Fälle geschätzt. Doch erst ab den 1960er Jahren wurden die Auswirkungen von Frontallappenläsionen bei Tieren systematisch untersucht. Sie bewiesen, daß deren Sozial- und Affektverhalten schwerwiegend beeinträchtigt ist. Diese Erkenntnisse und die Einführung von Neuroleptika Mitte der 1950er Jahre führte zu einer deutlichen Abnahme der Anzahl psychochirurgischer Operationen. Doch auch heute werden psychochirurgische Eingriffe noch durchgeführt, wenn Medikamente, Elektrokrampftherapien oder Psychotherapien erfolglos sind, z.B. bei emotionalen Störungen, starken Depressionen, Zwangsstörungen, Phobien und intensiven, permanenten, unerträglichen und nicht lokalisierbaren Schmerzen, aber auch bei "gemeingefährlichem unkontrollierbarem Triebverhalten" ( siehe Abb. ). Ethische Fragen in der Neurowissenschaft, Psychiatrie.
Lit.:Adler, M., Saupe, R.: Psychochirurgie. Stuttgart 1979. Valenstein, E.S. (Hrsg.): The Psychosurgery Debate. San Francisco 1980. Valenstein, E.S.: Great and Desperate Cures. New York 1986.
Psychochirurgie
Der Glaube, daß mentale Störungen mit beeinträchtigten Gehirnfunktionen in Beziehung stehen, reicht Jahrtausende zurück: Schon in der Steinzeit, vor mindestens 7000 Jahren, wurden aus mystischen oder medizinischen Gründen Schädel geöffnet (Trepanation). Erste Versuche des schweizerischen Psychiaters G. Burckhardt Ende des 19. Jahrhunderts, Psychosen mit Hilfe hirnchirurgischer Eingriffe zu therapieren, fanden keine Resonanz.
Psychochirurgie
Gehirnstrukturen, die derzeit noch Ziel psychochirurgischer Eingriffe sind.
Am Amygdala, aT anteriorer Thalamus, Ba Balken, Bo Bulbus olfactorius, Gc Gyrus cinguli, Gh Gyrus hippocampalis, Hi Hippocampus, Ht Hypothalamus, oC orbitaler Cortex, Se Septum
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