Lexikon der Neurowissenschaft: psychophysisches Grundproblem
psychophysisches Grundproblem, in der Philosophie als Leib-Seele-Problem bekannte Frage nach dem Zusammenhang von seelischen (subjektiven, phänomenalen, psychischen) und körperlichen (objektiven, materiellen, physikalischen) Tatbeständen. Seit der Begründung der Psychophysik durch Fechner (1860) ist dieses Problem zusätzlich Gegenstand experimenteller Untersuchung geworden. Je nach Wertung der intuitiv meist als zusammengehörig empfundenen, bei analytischer Betrachtung sich jedoch als wesensfremd und unvereinbar darstellenden seelisch-körperlichen Tatbestände lassen sich verschiedene Grundauffassungen unterscheiden. Der Idealismus sieht in der seelisch-geistigen Welt das Primäre, von dem das Körperliche abhängig ist (ein "Schatten" in Platons Ideenlehre). Umgekehrt wird im Materialismus das Seelische zu einem bloßen Begleitphänomen (Widerspiegelung) körperlicher Vorgänge. Die Wechselwirkungstheorie schließlich geht von einer engen wechselseitigen Abhängigkeit körperlicher und seelischer Vorgänge aus. Im Gegensatz dazu verneint die Identitätstheorie die Existenz von seelischen und körperlichen Tatbeständen im Sinne zweier unabhängiger Substanzen und nimmt vielmehr an, daß beide lediglich Teilaspekte oder verschiedene Erscheinungsformen desselben Grundgeschehens darstellen. Schließlich vertritt der psychophysische Parallelismus eine faktische Entsprechung seelischer und körperlicher Prozesse im Sinne quantitativ aufzeigbarer psychophysischer Korrelationen, ohne sich in Spekulationen über deren qualitative Verschiedenheit zu verlieren. – Während idealistische und materialistische Theorien bis heute Anlaß zu oft dogmatisch-ideologischen Auseinandersetzungen bieten und die Wechselwirkungs- wie auch die Identitätstheorie erkenntnistheoretisch große Schwierigkeiten bereiten, hat sich die Annahme des psychophysischen Parallelismus für die neurowissenschaftliche Forschung als äußerst fruchtbar erwiesen.
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