Lexikon der Neurowissenschaft: Sinnesphysiologie
Sinnesphysiologiew, Esensory physiology, Teilgebiet der Physiologie, das sich mit den allgemeinen Funktionsprinzipien befaßt, welche den Sinnesleistungen zugrunde liegen. Die Prozesse, die bei der Aufnahme von Reizen in den Sinnesorganen ablaufen und in den nachgeschalteten zentralnervösen Strukturen die Auswertung des Reizes ermöglichen, werden von der objektiven Sinnesphysiologie mit physikalischen und (bio-)chemischen Methoden untersucht. Meist führen die nachfolgenden Verarbeitungsprozesse im Gehirn zu subjektiven Empfindungen und Wahrnehmungen, die sich in vielen Fällen der physikalischen Messung entziehen, jedoch durch die Aussagen von Versuchspersonen zugänglich sind. Die subjektive Sinnesphysiologie befaßt sich daher mit den durch Psychophysik und Wahrnehmungspsychologie gewonnenen Grundlagen von Empfindungen und Wahrnehmungen. – Die physiologischen Vorgänge in Rezeptor- oder Sinneszellen sind für viele Reizmodalitäten gut untersucht. Durch spezialisierte Strukturen werden aus der Umwelt die für den Organismus wichtigen adäquaten Reize herausgefiltert. Die meist geringe Reizenergie wird verstärkt und in ein bioelektrisches Signal umgewandelt (Transduktion). Das so gebildete Rezeptorpotential wird zur Weiterleitung der Reizinformation über afferente Nerven (Afferenz) an das Zentralnervensystem in eine Frequenz von Aktionspotentialen umcodiert (Frequenzmodulation). In den primären Sinneszentren findet die Verrechnung der Informationen vieler Rezeptoren aus einem Sinnesorgan statt. Auch die grundlegenden Verschaltungsmechanismen, die dazu dienen, die Leistungen von Sinnesorganen zu verbessern, wurden an vielen sensorischen Systemen erforscht. Sie dienen z.B. der Erhöhung der Empfindlichkeit oder der Auflösung (Auflösungsvermögen) des Sinnesorgans. Oft können spezifische Eigenschaften eines Reizes (z.B. Tonhöhe, Wellenlänge) erst durch die Verrechnung der Antworten verschiedener Rezeptoren oder Rezeptortypen bestimmt werden. Zur Anpassung der Empfindlichkeit eines Sinnessystems an die Reizstärke (Adaptation) tragen verschiedene physiologische Mechanismen bei. Höhere zentralnervöse Zentren verrechnen die Reize verschiedener Sinnesmodalitäten (multimodale Neurone) und leisten somit die sensorische Integration. Sie bilden die Basis für Verhaltensreaktionen (Verhalten), die an die gesamte Reizsituation angepaßt sein müssen. Trotz der großen Fortschritte der Sinnesphysiologie und obwohl sich die Grenzen zwischen objektiver und subjektiver Sinnesphysiologie durch die fortschreitende Analyse der zentralnervösen Mechanismen kontinuierlich zugunsten der objektiven Sinnesphysiologie verschieben, können Empfindungen und Wahrnehmungen heute noch nicht mit physikalischen und chemischen Methoden vollständig erklärt werden.
Ro.K.
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