Lexikon der Neurowissenschaft: Tastsinn
Tastsinn m, Berührungssinn, Fühlsinn, Tactus, Etactile sense, mechanischer Sinn (Sinne), der bei Tieren und Mensch zur Orientierung in der Umwelt und zum Erkennen von Oberflächenstrukturen oder speziellen Objekten dient. Die die Berührungsreize vermittelnden Tastsinnesorgane (Fühlorgane) sind im allgemeinen über den ganzen Körper verteilt, liegen aber in bestimmten Körperregionen besonders konzentriert, z.B. an den Fingerspitzen beim Menschen oder an den Antennen bei Gliederfüßern. Sie können bei Wirbeltieren freie Nervenendigungen oder spezialisierte Organe sein, wie die Meißner-Körperchen oder die Pacini-Körperchen (Mechanorezeptoren). Bei Gliederfüßern treten vor allem cuticuläre Haarsensillen und campaniforme Sensillen als Tastsinnesorgane auf. Sie finden sich oft in Kombination mit Geschmacksorganen. – Dem Tastsinn kommt eine wichtige Funktion bei der Auslösung von Reflexbewegungen zu. Der Totstellreflex vieler Insekten wird durch starke mechanische Berührung ausgelöst; bei tarsalem Kontakt stellen Fliegen die Flugbewegung ein, umgekehrt führt eine Aufhebung dieses Kontaktes (Tarsalreflex) zum sofortigen Beginn der Flugbewegung. Auf den Rücken gefallene Tiere (z.B. Seesterne, Insekten) beginnen wegen fehlenden Berührungskontaktes der Extremitäten sofort mit Umkehrbewegungen (Dorsalreflex). Der Klammerreflex männlicher Frösche und Kröten wird durch Berührung der Bauchhaut ausgelöst. Der Wischreflex derselben Tiere setzt ebenfalls nach mechanischer Reizung der Haut ein. – Auf molekularer Ebene war der Tastsinn bei Wirbeltieren bislang noch wenig verstanden. Kürzlich (2000) wurde jedoch zum ersten Mal ein Gen nachgewiesen, das für den Tastsinn bei Wirbeltieren verantwortlich ist: Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans reagiert nicht mehr auf Berührungen, wenn ein Gen mutiert ist, das für einen natriumspezifischen Ionenkanal codiert, der Berührungsreize in elektrische Signale umwandelt. Das nun neu charakterisierte BNC1-Gen von Mäusen hat eine große Ähnlichkeit mit dem C. elegans-Gen; sein Genprodukt ist ebenfalls ein natriumspezifischer Ionenkanal. Er befindet sich in den Nervenendigungen von Nervenzellen, die um die Haarwurzeln der Mäuse gruppiert sind (Nagetiere nehmen mechanische Reize hauptsächlich über die Haare wahr). Nach Ausschalten des BNC1-Gens werden insbesondere leichte mechanische Reize nicht mehr in entsprechende elektrische Nervenimpulse umgewandelt, die das Gehirn als Berührung registrieren könnte, d.h., die knock-out Mäuse sind für mechanische Reize weniger empfänglich. Falls es ein entsprechendes Tastsinn-Gen auch beim Menschen gibt, könnte es z.B. beim Unterscheiden verschiedener Oberflächen durch Tasten oder auch beim Lesen von Blindenschrift eine wichtige Rolle spielen. Drucksinn.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.