Lexikon der Neurowissenschaft: Viruskrankheiten
Viruskrankheiten [von latein. virus = Schleim, Gift], Eviral diseases, Erkrankungen, die durch in den Organismus eingedrungene Viren hervorgerufen werden. Virusinfektionen (Virosen) des Zentralnervensystems äußern sich als Hirnhaut- und Gehirnentzündung (Meningitis, Encephalitis), oft liegt gleichzeitig eine Entzündung des Rückenmarks, also eine Encephalomyelitis, vor. Viren gelangen meist auf dem Blutweg (hämatogen), entlang der peripheren Nerven und Nervenwurzeln oder auch entlang des Olfactorius und des olfaktorischen Trakts in das Zentralnervensystem. Die Viren rufen eine immunologisch vermittelte Verletzung der Kapillarwände hervor, die eine Überwindung der Blut-Liquor-Schranke im Adergeflecht in den Hirnventrikeln oder der Blut-Hirn-Schranke in kleinsten Kapillaren ermöglicht. Im Gehirn breiten sich die Viren in den Nervenzellen bzw. in den sie umgebenden Gliazellen aus. Die Aggressivität und Vulnerabilität ist vom jeweiligen Virus und der Immunitätslage des Betroffenen abhängig. Die Zellschädigung erfolgt durch den direkten Virusbefall, durch Zerfallsprodukte der Viren oder auf Grund immunologischer Reaktionen des Befallenen (parainfektiös). Die ätiologische Diagnose ist oft schwierig: verschiedene Erreger können ganz ähnliche neurologische Symptomatiken hervorrufen, andererseits kann derselbe Erreger zu einem breiten Spektrum von Krankheitsverläufen führen, die dem Bild einer Meningitis, Encephalitis oder Meningomyelitis entsprechen ( siehe Zusatzinfo ). Die Möglichkeiten für eine gezielte antivirale Chemotherapie sind zur Zeit noch begrenzt. Verhütung (Prophylaxe) und Bekämpfung von Viruskrankheiten ist bei einer Reihe von Virusinfektionen von Mensch und Tier durch die Anwendung von Impfstoffen zur aktiven oder passiven Immunisierung möglich. – Für einige neurotrope Viren ist eine Viruslatenz bzw. -persistenz charakteristisch: sie bleiben nach der ursprünglichen Infektion inaktiv erhalten, z.B. Varicella-Zoster-Viren im Trigeminusganglion und in den Hinterwurzelganglien, Herpes simplex-Viren Typ I ebenfalls im Trigeminusganglion, bis sie unter dem Einfluß noch nicht bekannter Stimuli zu weiteren Erkrankungen führen. – Die akute virale lymphocytäre Meningitis, die häufigste entzündliche Krankheit des Nervensystems, wird durch eine Reihe von Viren hervorgerufen (z.B. Echo-, Coxsackie-, Polio-, Zoster-, Arbo- und Adenoviren). Die wichtigsten Viren, die eine akute Encephalitis hervorrufen, sind Enteroviren (Echo-, Coxsackie-, Polioviren), Paramyxoviren (Mumps-, Masern-, Parainfluenzaviren), das Virus der lymphocytären Choriomeningitis, die Gruppe der Arboviren (Frühsommer-Meningoencephalitis) und die Gruppe der Herpesviren (einschließlich des Varicella-Zoster-Virus). Eine Encephalomyelitis kann auch para- bzw. postinfektiös als immunologische Reaktion auf eine virale Allgemeinkrankheit, z.B. Masern, Windpocken, Influenza oder Röteln, oder nach einer Schutzimpfung (Pocken, Tollwut, FSME) auftreten. Weitere charakteristische Virusinfektionen mit direkten oder opportunistischen ZNS-Manifestationen sind die Poliomyelitis und die HIV-Infektion (etwa die Hälfte der an HIV erkrankten Patienten entwickelt neurologische Auffälligkeiten; AIDS). Unter dem Begriff Slow-Virus-Infektionen (Slow-Viren) faßt man eine Gruppe von chronischen, langsam verlaufenden, meist tödlichen Erkrankungen zusammen, die erst nach monate- bis jahrelanger Inkubationszeit auftreten. Hierzu gehören Krankheiten, die als Folge einer Infektion mit dem Jc-Virus (ein Papovavirus), dem Masernvirus oder dem Rötelnvirus entstehen. Bis vor wenigen Jahren wurden auch die Prion-Krankheiten, z.B. die Creutzfeld-Jakob-Krankheit, für Slow-Virus-Erkrankungen gehalten. Virusencephalitis, Virusmeningitis.
S.K.
Viruskrankheiten
Die Diagnose von Viruskrankheiten (Virusdiagnostik) erfolgt entweder 1) direkt durch Nachweis von Virus oder Virusantigen im Untersuchungsmaterial (Faeces, Cerebrospinalflüssigkeit, Abstriche, Biopsiematerial, u.a.) oder nach Virusvermehrung (in Zellkulturen, Organkulturen, Hühnerembryonen, Versuchstieren) oder 2) indirekt durch Nachweis der gegen ein Virus gerichteten Antikörper im Serum oder 3) durch histologische Untersuchung des infizierten Gewebes.
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