Lexikon der Neurowissenschaft: visuelle Deprivation
visuelle Deprivation [von latein. videre, visum = sehen, de- = ent-, weg-, privare = berauben],Evisual deprivation, Experimente zur Plastizität im Nervensystem, die v.a. mit Katzen und Affen durchgeführt wurden und bei denen den Tieren ein oder beide Augen während eines bestimmten Zeitraums in der frühen Entwicklung verschlossen wurden. Sie haben gezeigt, daß das visuelle System zur vollen funktionellen Ausbildung in einer bestimmten Entwicklungsphase notwendig auf adäquate Umgebungsreizung angewiesen ist. Diejenige Phase, in der sensorische Deprivation in dramatischen funktionellen Einbußen, teilweise auch anatomischen Veränderungen resultiert, wird als kritische Periode bezeichnet. Wird dem Versuchstier in der postnatalen Phase für zwei (Katzen) bzw. sechs (Affen) Monate ein Auge verschlossen, so bleibt das Auge auch nach seiner Öffnung lebenslänglich funktionslos. Während Reize, die auf das zuvor verschlossene Auge fallen, normale Rezeptorantworten in der Netzhaut und unauffällige neuronale Antworten im Corpus geniculatum laterale erzeugen, bleibt eine Erregung der Nervenzellen im visuellen Cortex zum größten Teil aus. Dabei ist neben der Physiologie der corticalen Neurone auch ihre Morphologie verändert: Augendominanzsäulen, die den Input des nicht verschlossenen Auges verarbeiten, werden überdurchschnittlich breit, während die Dominanzsäulen des verschlossenen Auges schrumpfen. Binokulare sensorische Deprivation durch den Verschluß beider Augen während der kritischen Periode führt zu einem Funktionsverlust beider Augen und damit zu einer lebenslangen Blindheit. Dabei ist die physiologische Aktivität der Neurone im visuellen Cortex stark verringert, ihre Morphologie jedoch nicht verändert. Werden die Versuchstiere in der kritischen Periode des visuellen Systems in einer Umgebung mit selektiver Stimulation aufgezogen, beispielsweise in Räumen mit ausschließlich vertikalen Streifenmustern, büßen sie die Fähigkeit ein, andere (im Beispiel: horizontale) Muster adäquat zu verarbeiten. Über längere Zeiträume andauernde sensorische Deprivation außerhalb der kritischen Periode sowie (mit Einschränkung) nur kurz andauernder Entzug adäquater Reizung während dieser Periode haben keine funktionellen und anatomischen Konsequenzen. Deprivation.
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