Lexikon der Neurowissenschaft: Wernicke-Geschwind-Modell
Wernicke-Geschwind-Modell, das erste differenzierte neurologische Modell der Sprache (Neurolinguistik) und eines der wissenschaftshistorisch wichtigsten Hirnmodelle überhaupt; 1874 von dem deutschen Nervenarzt Carl Wernicke aufgestellt und in den 1960er Jahren von Norman Geschwind weiterentwickelt. Es basierte auf der Analyse von Läsionen und besteht aus sieben Hauptkomponenten: Gesprochene Wörter werden vom primären auditorischen Cortex (Heschl-Windungen) wahrgenommen; geschriebene Wörter werden vom primären visuellen Cortex wahrgenommen; gelesene Wörter werden im Gyrus angularis in einen auditorischen Code übersetzt; Zentrum des Sprachverständnisses ist das Wernicke-Areal (Areal 22); Programme zur Artikulation sind im Broca-Areal enthalten; Signale vom Wernicke- zum Broca-Areal werden über den linken Fasciculus arcuatus übertragen; die Artikulationsmuskulatur wird vom primären Motorcortex kontrolliert. Das Modell gibt folgende Erklärungen ( siehe Abb. ): 1) Das Sprachverstehen erfolgt durch die Verarbeitung gehörter Wörter in den Brodmann-Arealen 41 und 42 sowie im Wernicke-Areal und dem damit verbundenen Assoziationscortex. 2) Das Sprechen wird von kognitiven Prozessen in polymodalen Assoziationsarealen der Großhirnrinde über das Wernicke-Areal, das Broca-Areal, das Gesichtsareal in der somatosensorischen und motorischen Rinde beidseitig der Zentralfurche sowie die Hirnnerven ausgelöst. Vom Wernicke- zum Broca-Areal gibt es eine "Einbahnstraßen-Verbindung", den Fasertrakt Fasciculus arcuatus. 3) Das Lesen erfolgt durch die visuelle Verarbeitung in den Brodmann-Arealen 17 (primärer visueller Cortex), 18 und 19 (sekundärer visueller Cortex), 39 (Gyrus angularis) und im Wernicke-Areal. Schreiben erfolgt über den prämotorischen Cortex (Exner-Region) oberhalb des Broca-Areals. – Das Modell war ein wichtiger Ansatz zur Erklärung von Sprache und Aphasien und hat viele weitere Untersuchungen angeregt, ist aber unzureichend, um alle heute bekannten Fakten zu erklären. Die Funktionen der Broca- und Wernicke-Areale sind nicht so eindeutig, wie früher angenommen wurde. Aphasische Patienten zeigen fast immer expressive und rezeptive Symptome, die Begriffe Broca-Aphasie und Wernicke-Aphasie beschreiben nur die überwiegende Störung. Der Fasciculus arcuatus ist eine bidirektionale Leitungsbahn und verbindet auch andere corticale Areale (sensorische Regionen mit Bereichen der präfrontalen und prämotorischen Rinde). Die lineare Anordnung der Informationsflüsse ist der Vorstellung paralleler Verschaltungen (Mehrwegmodelle) gewichen. Außerdem sind mehrere andere Hirnregionen bei der Verarbeitung von Sprache beteiligt, auch subcorticale Bereiche. Sprache.
Wernicke-Geschwind-Modell
Die an der Sprache beteiligten Hirnrindenregionen nach dem Wernicke-Geschwind-Modell (siehe Grundtext)
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