Lexikon der Neurowissenschaft: Zebrafisch
Zebrafisch m, Zebrabärbling, Danio rerio, E zebrafish, ein kleiner, tropischer Knochenfisch ( siehe Abb. 1 ), dessen Embryonalentwicklung derjenigen der höheren Wirbeltiere (wie z.B. Maus und Mensch) ähnelt und der zu einem wichtigen Modellorganismus für Entwicklungsbiologen geworden ist. Vorteile bieten dabei die große Anzahl durchsichtiger Embryonen ( siehe Abb. 2 ), die sich synchron und sehr schnell außerhalb des Mutterleibs entwickeln, sowie die Geschwindigkeit der Entwicklung: Nach 24 Stunden sind die wichtigsten Entwicklungsschritte abgeschlossen, und die Anlagen des Gehirns, der Augen, Ohren und der Chorda dorsalis sind gebildet. Zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung können einzelne Zellen gefärbt und deren Migration (Nervenzellwanderung) und Differenzierung verfolgt werden. Einzigartig unter Wirbeltieren ist, daß einzelne Nervenzellen – z.B. Motoneurone im Rückenmark, die definierte Muskelregionen innervieren – im lebenden Tier identifiziert und markiert werden können. Dies ermöglicht den gezielten Vergleich identischer Nervenzellen und ihrer charakteristischen Projektionen nach verschiedenen Manipulationen am Embryo. Einzelne Zellen oder Zellgruppen können spezifisch deletiert oder transplantiert werden. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Transplantationen zwischen Mutanten und Wildtyp-Embryonen. Dadurch zeigt sich, ob der beobachtete Phänotyp einer Mutation zellautonom ist oder durch die Umgebung beeinflußt wird. Mit Hilfe solcher Manipulationen am lebenden Embryo konnten grundlegende Mechanismen des zielgerichteten axonalen Wachstums aufgezeigt werden (axon guidance). Beispielsweise finden Axone von Motoneuronen zum richtigen Zielorgan durch die spezifische Verteilung von Glykoproteinen der Extrazellulärmatrix (vor allem Fibronectin), durch die Position ihres Zellkörpers und durch das Zielorgan selbst bzw. von ihm ausgesendete Signale. – Obwohl die größten Vorteile des Zebrafisch-Modellsystems in seiner Embryologie liegen, wurde bereits in den 1980er Jahren gezeigt, daß diese embryologischen Untersuchungen mit molekularen und genetischen Methoden kombiniert werden können. So ist es z.B. möglich, haploide und homozygot-diploide Embryonen zu produzieren; Spermien lassen sich isolieren, einfrieren und mit Mutagenen behandeln. In den letzten Jahren wurden bei Zebrafischen umfangreiche Serienuntersuchungen nach Mutagenese ("Mutagenese-Screens") in der Hoffnung durchgeführt, grundlegende Schritte der Wirbeltierembryologie auf genetischem Niveau verstehen zu lernen. Als Mutagen wird vor allem N-Ethyl-N-Nitroso-Harnstoff eingesetzt, der vorwiegend Punktmutationen induziert. Mehr als 6000 Mutanten wurden bereits isoliert, die spezifische Defekte im embryonalen oder larvalen Stadium aufweisen. Mehr als 50 dieser Mutanten konnten mit Defekten in der Entwicklung des Nervensystems assoziiert werden. Dazu gehören Mutationen in Genen, die die neurale Induktion, die anteroposteriore Anlage, die Neurogenese oder das Überleben von einzelnen Nervenzellen beeinflussen. Eine Reihe dieser Mutanten erlauben grundlegende Einblicke in genetische Abläufe der Ontogenese des Nervensystems von Wirbeltieren. – Die Einteilung des Rautenhirns (Rhombencephalon) der Wirbeltiere in Segmente (Rhombomere; Neuromere) ist wesentlich für den korrekten Aufbau und die Innervation des Kopfes. Die Segmentierung und Differenzierung der caudalen Rhombomere wird durch das Valentino-Genprodukt gesteuert. Der Valentino(val)-Mutante fehlen Segmente im Rautenhirn. Im Gegensatz zum segmentierten, caudalen Teil des Rautenhirns stellt der rostrale Teil und das Mittelhirn eine Einheit dar, die allgemein als "midbrain hindbrain boundary" (MHB) bekannt ist. Diese auch Isthmus genannte Verbindung des Mittel- und des Rautenhirns induziert die Bildung und Differenzierung der angrenzenden Hirnregionen. Mehrere Mutationen führen zu Defekten in der MHB-Region. Eine davon ist no isthmus (noi), dessen Genlocus als pax-2.1 identifiziert wurde (Pax-Gene). In noi-Embryonen ist die Entwicklung der MHB-Region stark eingeschränkt, was zum fast vollständigen Fehlen des Tectum opticum und des Kleinhirns führt. – Eine Vielzahl von Studien belegt, daß die Chorda dorsalis entscheidend an der Bildung des Nervensystems beteiligt ist. Allgemein wird angenommen, daß sie als organisierende Struktur des darüberliegenden Gewebes agiert und die Differenzierung der Bodenplatte und des ventralen Neuroektoderms induziert. Als induzierender Faktor gilt besonders sonic hedgehog (shh), ein von der Chorda dorsalis synthetisiertes und sekretiertes Protein. Überraschenderweise stellen mehrere Zebrafisch-Mutanten diese Theorie in Frage. Es wurden Mutanten isoliert, in denen Bodenplattenzellen unabhängig von der Chorda dorsalis entstehen können. So bildet no tail (ntl), eine Mutation, die zu einer fehlenden oder defekten Chorda dorsalis führt, eine Bodenplatte aus. Auch zeigt sonic you (syu), eine Nullmutation für sonic hedgehog, eine mehr oder weniger intakte Bodenplatte und bildet Motoneurone. Weitere Mutanten sind bekannt, die in Gegenwart einer intakten Chorda dorsalis Fehler in der Entwicklung, Morphologie und Aufrechterhaltung der Bodenplatte und des ventralen Neuroektoderms aufweisen. Zu erwähnen sind hier vor allem cyclops (cyc) und one-eyed pinhead (oep; siehe Abb. 3 ). In beiden Fällen ist die Differenzierung von ventralen Zelltypen im Neuralrohr beeinträchtigt, und das prächordale Mesoderm ist stark reduziert. Der Phänotyp beider Mutationen (fusionierte Augenanlagen, die zu einem mittleren Auge führen) wird als Cyclopia bezeichnet. Mögen diese Befunde im Moment noch verwirrend erscheinen, so zeigen sie doch, daß die Organisation des ventralen Nervensystems komplizierter als bisher angenommen ist und daß möglicherweise mehrere kompensatorische und/oder redundante Prozesse an dessen Bildung beteiligt sind. – Ein besonders eleganter und aussagekräftiger Screen identifizierte Mutanten mit aberrantem axonalem Wachstum. Die Axone von retinalen Ganglienzellen wachsen entlang eines stereotypen Wegs ins Tectum opticum, wo sie sich gemäß einem klar definierten Schema aufteilen und Synapsen bilden. Fluoreszierende Farbstoffe wurden verwendet, um die Axone von retinalen Ganglienzellen anterograd anzufärben. Mehrere Mutanten zeigten Fehler in der retinotectalen Projektion. Diese bilden nicht nur die Basis für die Isolation und Charakterisierung von spezifischen Genen, die für die Bildung des primären visuellen Systems verantwortlich sind, sondern sind auch ein genetischer Beweis dafür, daß das zielgerichtete, axonale Wachstum von spezifischen Genen kontrolliert wird. Die meisten dieser Mutationen sind teilweise redundant, und fehlgeleitete Axone können immer noch richtige Verbindungen im Tectum opticum knüpfen. Dies deutet darauf hin, daß Axone unabhängig von früheren Fehlentscheidungen auf spätere "Wegleiter" reagieren können. – Interessant sind auch Mutationen, die zu verändertem Verhalten der Larven führen. Viele davon beeinträchtigen die elektrische Aktivität von Nervenzellen oder die Kontraktion von Muskelzellen (Muskelkontraktion). Sie versprechen einen vertieften Einblick in die genetischen Grundlagen der neuromuskulären Signalübertragung. – Der Zebrafisch wird auch in Zukunft als wichtiges Wirbeltier-Modellsystem dienen, um die molekular-genetischen Mechanismen der ontogenetischen Entwicklung des Nervensystems besser verstehen zu lernen. Jedoch wird nur der Vergleich mit komplementären Studien in anderen Wirbeltieren ein vollständiges Verständnis dieser Entwicklungsvorgänge erlauben.
E.R./L.R.
Lit.: Sonderausgabe Development 123 (1996).
Abb. 2: Zebrafischembryo, ca. 1 Tag alt
Zebrafisch
Abb. 3: Ein Vergleich der Kopfregion von ca. 24 Stunden alten normalen (wild type, oep+, links) und homozygoten one eyed pinhead-Embryonen (oep-, rechts) in Seitenansicht zeigt, daß die Mutante nur ein einziges (anterio-medial gelegenes) Auge besitzt. Außerdem fehlen anteriore Teile des Vorderhirns.
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