Metzler Philosophen-Lexikon: Albertus Magnus
Geb. um 1200 (1193?) in Lauingen an der
Donau; gest. 15. 11. 1280 in Köln
Der Nachwelt ist er nicht ganz geheuer. Schon bald nach seinem Tod im Alter von »achtzig und mehr Jahren« ranken sich phantastische Gerüchte um seine Fähigkeiten. In ihnen erscheint er als Zauberer, der über die verborgenen Naturkräfte gebietet. Im Besitz des Steins der Weisen soll er etwa gewesen sein, sprechende Automaten hat er angeblich verfertigt, und auch die Erfindung des Schießpulvers wird ihm zugetraut. Grundlage solcher unfrommen Legenden um den 1931 Heiliggesprochenen sind A.’ ungewöhnliche naturkundliche Kenntnisse. Mit Nachdruck vertritt er einen empirischen Ansatz, der der Immanenz und der Vernunfterkenntnis ihre Eigengesetzlichkeit zuerkennt: ohne religiöse Vorbehalte nämlich gelte es »zu erforschen, was im Bereich der Natur durch natureigene Kräfte auf natürliche Weise alles möglich ist«. Nicht die »Theorie«, sondern die »Erfahrung aus wiederholter Beobachtung« sei »die beste Lehrmeisterin in der Naturkunde«. Dabei nimmt A. sich selbst beim Wort. In Schriften, die beispielsweise Über den Himmel und die Welt handeln, Über Entstehen und Vergehen, Über die Ursachen der Eigentümlichkeiten der Elemente, Über die Steine und Mineralien, Über die Pflanzen oder Über die Tiere und die jeweils das zeitgenössisch verfügbare Wissen aufbereiten, berichtet er stets auch von eigenen Beobachtungen und Experimenten. Vor allem aber wertet er sorgfältig Erkenntnisse der Antike sowie der den Lateinern neu zugänglichen islamischen und jüdischen Gelehrsamkeit aus. In beiden Fällen ist Aristoteles der überragende Gewährsmann. Gegen teilweise bestehende kirchliche Verbote und nicht unangefeindet erschließt A. dessen Werke erstmals vollständig für den christlichen Kulturkreis, wo bis dahin der platonische Idealismus das philosophische Denken bestimmt hatte. Sein Verfahren ist die kommentierende Paraphrase der Vorlagen. »Des weiteren«, schreibt er zu Beginn der Physik, »fügen wir erläuternde Abschnitte ein; darin stellen wir uns den möglicherweise auftauchenden Zweifeln, um sie zu klären, und suchen die Lücken in der Darstellung des Aristoteles, die manchen Leuten das Verständnis seiner Lehre erschwert haben, etwas aufzufüllen«. Zentrale Punkte, in denen A. den Philosophen von dessen eigenen Voraussetzungen her kritisiert, zielen auf die Legitimation der These ab, »daß die Welt durch Schöpfung angefangen habe«, mithin nicht unendlich sei, sowie auf die Vorstellung der individuellen Unsterblichkeit der menschlichen Seele.
A.s Behauptung der grundsätzlichen Vereinbarkeit aristotelischer Philosophie mit dem christlichen Glauben – dessen letzte Wahrheit allerdings »über Vernunft und Natur hinausgeht« – begründet das Paradigma der hochmittelalterlichen Scholastik. Ihr umfassendster Systementwurf stammt von seinem Schüler Thomas von Aquin. 1252 empfiehlt A. dessen Berufung an die Pariser Universität, wo er selbst sieben Jahre zuvor zum Magister der Theologie promoviert worden war. Unterrichtet hat der »doctor universalis«, wie er angesichts der enzyklopädischen Weite seines Horizonts genannt wird, dort jedoch nur kurze Zeit. Sein umfangreiches Gesamtwerk – das seit 1951 in der kritischen »Kölner Edition« erscheint – entsteht neben der zeitraubenden Beanspruchung durch verschiedene Ämter und Pflichten.
Als Student der »freien Künste« an der Universität von Padua war der Sohn aus schwäbischer Ministerialenfamilie 1223 in den jungen Orden der Dominikaner eingetreten, ein Zweig der innerkirchlichen Reformbewegung, deren Lebensweise und Spiritualität sich radikal an den neutestamentlichen Weisungen ausrichtet. Nach dem Noviziat und der theologischen Ausbildung in Köln wirkt er bis in die frühen 40er Jahre als Lektor an einigen deutschen Konventen. Seine Pariser Professur endet im Sommer 1248: Er wird nach Köln geschickt, um das erste theologische »studium generale« in Deutschland aufzubauen. Vier Jahre später vermittelt er erstmals erfolgreich in Rechtsstreitigkeiten zwischen dem aufstrebenden Stadtbürgertum und der kirchlichen Hierarchie. Bis zuletzt ist er von nun an ein weithin berühmter und vielgesuchter öffentlicher Schlichter. Im Juni 1254 zum Provinzial gewählt, führen ihn zahlreiche Visitationsreisen – zu Fuß – quer durch die Ordensprovinz »Teutonia«. Auf der päpstlichen Kurie in Anagni verteidigt er die Bettelorden gegen Angriffe ihrer Gegner. Nach drei Jahren gestattet ihm das in Florenz tagende Generalkapitel der Dominikaner, sein Amt niederzulegen. A. kehrt zur wissenschaftlichen Tätigkeit an seinen Heimatkonvent zurück, bis er Anfang 1260, erneut bis zum freiwilligen Ausscheiden, für zwei Jahre den Regensburger Bischofssitz übernimmt. Mit der Kreuzzugspredigt in den deutschsprachigen Ländern hält 1263 in Orvieto der Papst den nächsten Sonderauftrag für ihn bereit. Von Ende 1264 bis 1267 lebt A. in der Würzburger Niederlassung seines Ordens, in den späten Jahren dann wieder in Köln: als »lector emeritus«, der sich oft darüber beklagt haben soll, daß ihm selbst jetzt noch zu wenig Zeit zu Studium und Gebet gelassen werde.
Müller, Jörn: Natürliche Moral und philosophische Ethik bei Albertus Magnus. Münster 2001. – Senner, Walter/Anzulewicz, Henryk (Hg.): Albertus Magnus. Zum Gedenken nach 800 Jahren. Neue Zugänge, Aspekte und Perspektiven. Berlin 2001. – Hoenen, Maarten J.F.M.: Albertus Magnus und der Albertismus. Deutsche philosophische Kultur des Mittelalters. Leiden u. a. 1995. – Entrich, Manfred (Hg.): Albertus Magnus. Sein Leben und seine Bedeutung. Graz/Wien/Köln 1982. – Meyer, Gerbert/Zimmermann, Albert (Hg.): Albertus Magnus. Doctor universalis. 1280/1980. Mainz 1980.
Hans-Rüdiger Schwab
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