Metzler Philosophen-Lexikon: Austin, John Langshaw
Geb. 26. 3. 1911 in Lancaster;
gest. 8. 2. 1960 in Oxford
Der Name A.s ist eng verbunden mit den Bemühungen um die »Philosophie der normalen Sprache« (Ordinary Language Philosophy), die im wesentlichen von ihm – zu nennen wären außerdem noch Ludwig Wittgenstein und Gilbert Ryle – begründet wurde. Dem Oxforder philosophischen Klima gemäß entfaltete A. seine Überlegungen vornehmlich in Vorlesungen sowie in Diskussionen mit Kollegen und Studenten, etwa während der »Saturday Mornings«, wo über Wittgenstein, Gottlob Frege (dessen Grundlagen der Arithmetik A. ins Englische übertragen hatte) und Noam Chomsky diskutiert wurde. Zeit seines Lebens publizierte A. nur einige Aufsätze, die in dem Sammelband Philosophical Papers (1961; Gesammelte philosophische Aufsätze) enthalten sind. Die geringe Anzahl und die Form der von ihm veröffentlichten Schriften zeugen von einem gewissen Unbehagen an großen philosophischen Publikationen. Einer der Aufsätze A.s beginnt mit den Worten: »Er (der Aufsatz) ist in drei Teile gegliedert, und der erste dieser Teile ist der platteste, der zweite der verworrenste; alle drei sind zu lang.« Die anderen Schriften A.s wurden auf der Grundlage von Vorlesungsnotizen (Sense and Sensibilia, 1962; Sinn und Sinneserfahrung) bzw. Vorlesungsmanuskripten (How To Do Things With Words, 1962; Zur Theorie der Sprechakte. Zugrunde liegen hier die von A. 1955 gehaltenen William James Lectures) posthum herausgegeben.
Am Balliol College in Oxford begann A. 1929 klassische Philologie zu studieren; zwei Jahre später wandte er sich der Philosophie zu; als Fellow am All Souls College von 1933 bis 1935 beschäftigte er sich mit Platon, Aristoteles, Leibniz und Kant. 1935 wurde A. Fellow und Tutor für Philosophie am Magdalen College; bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs befaßte er sich hier vor allem mit Problemen der Erkenntnis des Fremdseelischen und Problemen der sinnlichen Wahrnehmung. Kritisch eignete er sich die empiristische Tradition an; er stand unter dem Einfluß George Edward Moores. Nach dem Krieg rückte A. – der 1952 White’s Professor of Moral Philosophy in Oxford wurde und bis zu seinem Tod als Gastprofessor in Harvard und Berkeley las – die »normale« Sprache in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Die Klärung philosophischer Probleme und Fragen sollte erbracht werden durch ein systematisches Studium der normalen Sprache und unter Verzicht auf die traditionelle philosophische Terminologie. In der Schrift How To Do Things With Words erhält die von ihm konzipierte »Sprechakttheorie« eine explizite Form.
Den Ausgangspunkt der Überlegungen A.s bildet eine Kritik an den semantischen Analysen, die im Umfeld des logischen Empirismus (Rudolf Carnap) durchgeführt wurden. A. beklagt die reduktionistische Sprachauffassung der Empiristen, nach denen eine sprachliche Äußerung entweder eine Aussage ist, mit der über die Welt gesprochen, mit der ein Sachverhalt beschrieben wird – es müssen sich Bedingungen angeben lassen, unter denen diese Aussage wahr wird –, oder aber eine sprachliche Äußerung ist sinnlos. Demgegenüber entwickelt A. die Auffassung, daß es Äußerungen gibt, die zwar keine Aussagen, aber dennoch nicht sinnlos sind. Eine Konsequenz dieser Überlegung ist, daß die Bedeutung sprachlicher Ausdrücke nicht mehr nur allein im Rückgang auf Wahrheitsbedingungen rekonstruiert werden kann, sondern daß die Analyse der Bedeutung eines Ausdrucks eines systematischen Studiums der Situationen, in denen er gebraucht wird, bedarf. »Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch« ist ein Slogan, mit dem A.s Position sich etwas verkürzt und programmatisch charakterisieren läßt. A. weist darauf hin, daß es neben den Aussagen – er benutzt hier den Terminus »konstative Äußerungen« – noch Äußerungen gibt, mit denen wir die verschiedensten Arten von Handlungen vollziehen können. Diese Äußerungen nennt A. »performative Äußerungen«. Sie beschreiben nichts und sind daher auch nicht wahr oder falsch, sondern mit ihnen wird eine Handlung ausgeführt. Indem wir diese Äußerungen machen, vollziehen wir »Sprechakte«. Die folgenden Beispiele mögen dies verdeutlichen: »Ich taufe dieses Schiff auf den Namen Joseph Stalin^«; »Ich verspreche dir, morgen zu kommen.« So gibt es eine ganze Reihe von Handlungen, die nur in dem Vollzug eines Sprechaktes bestehen: schwören, danken, sich entschuldigen etc. A. differenziert drei Modi des Handlungscharakters von Äußerungen: er spricht von lokutionären, illokutionären und perlokutionären Akten.
Jede menschliche Äußerung ist zugleich auch eine Handlung, diese Handlung nennt A. den Vollzug des lokutionären Aktes; dieser besteht darin, daß man etwas sagt. Von dem Vollzug eines lokutionären Aktes wird der in der Regel immer mitvollzogene illokutionäre Akt differenziert: Indem etwas gesagt wird, wird etwas getan. So wird z.B. mit einer Äußerung eine Frage gestellt, eine Warnung ausgesprochen oder ein Versprechen gegeben. Die Äußerung spielt eine bestimmte illokutionäre Rolle. Der Vollzug der genannten Akte verbindet sich gewöhnlich mit bestimmten Wirkungen in der Welt. Ist mit einer Äußerung eine Wirkung verbunden, etwa der Adressat einer Warnung eingeschüchtert worden, spricht A. von einem perlokutionären Akt. Ein Beispiel A.s soll diese Unterscheidungen verdeutlichen: »Er hat zu mir gesagt: Das kannst Du nicht tun^«; hier berichtet man darüber, was jemand gesagt hat, man bezieht sich auf den von ihm vollzogenen lokutionären Akt. »Er hat dagegen protestiert, daß ich das täte«; hier berichtet man über den illokutionären Akt, also darüber, was jemand mit seiner Äußerung getan hat. »Er hat mich davon abgehalten, es zu tun«, hier berichtet jemand über die Wirkung, die eine Äußerung auf ihn hatte, er bezieht sich auf den perlokutionären Akt. Aussagen können wahr oder falsch sein, Sprechakte können entweder glücken oder mißlingen. Anhand von sechs typischen Fehlern, die dazu führen, daß ein Sprechakt mißlingt, formuliert A. sechs Regeln, die beachtet werden müssen, wenn ein Sprechakt gelingen soll. Er spricht von möglichen Fehlberufungen, Fehlausführungen und Mißbräuchen. Ein Mißbrauch liegt z.B. dann vor, wenn jemand ein Versprechen gibt, ohne daran zu denken, es zu halten. Im Verlauf seiner Ausführungen gibt A. die strikte Trennung zwischen »konstativen« und »performativen« Äußerungen auf, er zeigt, daß selbst Aussagen den von ihm apostrophierten Regeln unterliegen und als Sprechakte aufgefaßt werden können. (Mit der Aussage »Die Sonne geht auf« wird behauptet, daß die Sonne aufgeht.) In der Tradition wurden die von A. als »performativ« charakterisierten Äußerungen genauso analysiert wie Aussagen; das, was ihm zufolge der Vollzug einer Handlung ist, wurde so betrachtet, als sei es die Beschreibung eines Sachverhalts. »Ich verspreche Dir, morgen zu kommen« wurde aufgefaßt als die Beschreibung eines »inneren Zustands« des Sprechenden. In Analogie zu der in der Philosophie seit George Edward Moore geläufigen Rede von einem »naturalistischen Fehlschluß« (aus einem Sein wird ein Sollen gefolgert) spricht A. in diesem Zusammenhang von einem »deskriptivistischen Fehlschluß«, der durch die grammatische Ähnlichkeit von Aussagen und performativen Äußerungen nahegelegt werde. Die gesamte herkömmliche Semantik beruhe, so A., auf einem »deskriptivistischen Vorurteil«.
A.s Philosophie der normalen Sprache versteht sich nicht nur als eine Philosophie, die sich mit Problemen der Sprache beschäftigt, sondern sie bildet ihrem Selbstverständnis zufolge den Ausgangspunkt, von dem aus alle anderen Probleme der Philosophie, z.B. Probleme des Wissens, der Erkenntnis oder der Freiheit, betrachtet werden. A. selbst hat seine Methode einmal als »linguistische Phänomenologie« bezeichnet. Eine Grundüberlegung, die ein Philosoph anstellen muß, wenn er sich einem bestimmten Problem nähert, besteht darin, daß er sich fragen muß, wie die im Zusammenhang mit diesem Problem relevanten Wörter in bestimmten, konkreten Situationen verwendet werden. Die Umgangssprache wird zu einem ausgezeichneten Medium der philosophischen Reflexion. Hierbei werden dann nicht nur die Bedeutungen der Ausdrücke studiert, sondern es werden ebenso die Phänomene betrachtet, von denen diese Ausdrücke handeln. In dem Aufsatz Ein Plädoyer für Entschuldigungen formuliert A. die wichtigsten Argumente für diese Methode. A.s Konzeptionen erlangten einen weitreichenden Einfluß, sie schufen ein fruchtbares Feld der Auseinandersetzung zwischen Philosophie und Linguistik. In der Philosophie wurde sein Ansatz vor allem von Peter Frederick Strawson und John R. Searle weitergeführt, in der Linguistik kritisierte insbesondere Manfred Bierwisch die Vermengung der Semantik mit Fragen sozialer Interaktion. Anfang der 70er Jahre kam es in der Gruppe der »Berliner Sprechaktlinguistik« zu interessanten Bemühungen, die Sprechakttheorie sozialpsychologisch und marxistisch zu fundieren. Akzentuiert wird hier vor allem das komplexe Zusammenwirken von sprachlichem und nichtsprachlichem Handeln. In den Arbeiten von Dieter Wunderlich und Jochen Rehbein wird die linguistische Analyse von Sprechakten auf der Grundlage einer allgemeineren handlungstheoretischen Konzeption durchgeführt, wobei gerade den nichtsprachlichen Aspekten des menschlichen Handelns eine für die Sprechakte bedeutungskonstitutive Funktion zugewiesen wird. Die Sprechakte werden als standardisierte Formen einer gesellschaftlichen Praxis begriffen; eine sprachwissenschaftliche Analyse der Sprechakte hat nicht nur deren linguistische Struktur zu explizieren, sondern ebenso die ideologischen Verzerrungen der jeweils zugrundeliegenden Praxis freizulegen. Eine prominente Rolle spielt der Ansatz A.s auch in der Sozialphilosophie von Judith Butler. Im Hintergrund ihrer Überlegungen zur gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht bzw. Gender steht eine Theorie der Performanz, die verschiedene Formen gesellschaftlicher Einteilungs- und Ausgrenzungsphänomene als Folgen performativen Handelns deutet.
Butler, Judith: Haß spricht. Zur Politik des Performativen. Berlin 1998. – Wörner, Markus H.: Performative und sprachliches Handeln. Ein Beitrag zu J. L. Austins Theorie der Sprechakte. Hamburg 1978. – Rehbein, Jochen: Komplexes Handeln. Elemente zur Handlungstheorie der Sprache. Stuttgart 1977.
Christoph Demmerling
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