Metzler Philosophen-Lexikon: Bacon, Francis
Geb. 22. 1. 1561 in London;
gest. 9. 4. 1626 in Highgate bei London
B. gilt als einer der bedeutendsten Naturphilosophen und Propagatoren der empirischen Wissenschaften in der Frühen Neuzeit, der in seiner als Riesenwerk in sechs Teilen konzipierten Instauratio Magna einen neuen Rahmen für die naturwissenschaftliche Erkenntnis, ihre Theorie, Methode und Anwendung formulieren wollte. Es gelang B. während seines Lebens nur, Teile dieses Projekts fertigzustellen, vor allem sein Novum Organum Scientiarum (1620) und De augmentis scientiarum (1623).
Aufgewachsen ist B. in einem Kontext, der von politischer Macht ebenso bestimmt war wie von gediegener humanistischer Bildung und von protestantisch reformierter Religiosität. Sein Vater, Sir Nicholas B., war Lordsiegelbewahrer Elizabeths I., seine Mutter, Lady Ann, war die Tochter des gelehrten Humanisten und Erziehers Edwards VI. Sir Anthony Cooke. B. studierte in Cambridge (Trinity College), dessen scholastische Lehrmethoden er scharf kritisierte. Seine drei Jahre dauernde Tätigkeit als Botschaftsassistent in Paris mußte B. wegen des frühen Todes von Sir Nicholas (1579) vorzeitig beenden. Er absolvierte dann eine juristische Ausbildung in Gray’s Inn in London, wurde zum plädierenden Rechtsanwalt berufen und zum Dozenten an seiner Juristenschule (Reader). Da B. schon als junger Mann darauf aus war, ein neues System der Wissenschaften mit empirischen Methoden und dem Ziel allgemeiner Anwendbarkeit der Erkenntnisse (»scientia operativa«) zu begründen, aber gleichwohl eine politische Karriere in den Fußstapfen seines Vaters anstrebte, hat er sich schon in seinen Anfängen überlastet.
B.s Ideen zur Wissenschaftsreform stießen bei Elizabeth I. und ihrem Ersten Staatssekretär, Lord Burleigh (B.s Onkel mütterlicherseits) auf wenig Verständnis, so daß geringe Aussichten auf ein juristisches Staatsamt B. dazu brachten, die Laufbahn eines Parlamentariers zu wählen. Er saß von 1584 bis 1617 (Erhebung zum Lord) im Unterhaus. Nachdem B. 1593 die Gunst der Königin verloren hatte, weil er im Unterhaus gegen ihr Subsidiengesetz vorging, wählte er den Earl of Essex zum Patron. Er diente ihm als politischer Berater, wandte sich aber von ihm ab, als Essex wegen seines Versagens im Feldzug gegen die rebellischen Iren in Ungnade fiel und 1601 einen Rebellionsversuch unternahm, der mit einem Todesurteil endete. Erst unter James I. war B.s Zeit für die große Karriere gekommen, die ihn auf den Stuhl des Lordkanzlers führte. Auch wurde er zum Baron of Verulam, sodann zum Viscount of St. Albans erhoben.
Die Günstlings- und Monopolpolitik der Krone mißfiel der bürgerlichen Mehrheit im Unterhaus, deren Aggressionen sich gegen den Favoriten des Königs, den Duke of Buckingham, richtete. Da Buckingham für eine Verurteilung »nicht zur Verfügung stand«, hielt man sich an B. schadlos. Sein Sturz im Jahr 1621 wird heute nicht mehr als klare Folge nachgewiesener passiver Bestechung gesehen. B., der seine Titel behielt, aber alle Ämter verlor, hat sich in seinen letzten Lebensjahren energisch darum bemüht, seine Instauratio Magna voranzutreiben, wohl wissend, daß er sie nicht würde vollenden können.
Bereits in B.s erster Veröffentlichung, den Essayes von 1597, scheint durch die politische und gesellschaftliche Anthropologie hindurch ein Interesse an grundsätzlichen Fragen der Erkenntnis von Kultur und Natur auf, das in den unveröffentlichten Manuskripten ab 1603 (Valerius Terminus) an Kontur, analytischer Qualität und Sachorientierung gewinnt. B. entdeckt die Vorsokratiker neu für sich, vor allem Demokrit, und kritisiert die aristotelische Schulphilosophie wegen der Betonung deduktiver Logik und dialektischer Verfahrensweisen sowie aufgrund der Autoritätsgläubigkeit, die keine Mittel an die Hand geben, von der direkten Erforschung der Natur ausgehend, zu empirisch allgemeinen Erkenntnissen zu gelangen. Diese Kritik wird auf die Scholastik ebenso ausgedehnt wie auf Alchimie, Magie und Astrologie der Renaissance (Temporis partus masculus, 1603/1608), da die Methoden auf Zufallserkenntnissen beruhen, es aber nicht erlauben, natürliche Effekte zu reproduzieren. Die Manuskripte erwähnen bereits B.s Idolenlehre als wichtige Voraussetzung für die Konstituierung der scientia operativa. In Cogitata et Visa (1607) hat B. die deduktive Begriffslogik der Scholastiker mit der Spinne verglichen, die die Fäden ihres Netzes aus sich selbst herauszieht und den Vertreter der scientia operativa (empirischer Forscher, der sich der Induktion bedient) mit der Biene, die die Naturstoffe nicht nur sammelt, sondern zu Erkenntnissen verarbeitet, um in einem weiteren Schritt im Honig ein Produkt zu schaffen, das gesunder Ernährung dient.
In The Advancement of Learning (1605), B.s erstem gedruckten philosophischen Werk, wird ein systematischer Überblick über die Bereiche des Wissens gegeben, die nach den drei menschlichen Vermögen Gedächtnis (Historie), Imagination (Literatur) und Vernunft (Philosophie) eingeteilt werden. Diese Bereiche unterzieht B. einer Leistungsbilanz, aus der er die Zukunftsaufgaben der Wissenschaft ableitet. Gleichzeitig gibt B. hier eine neue Definition der Metaphysik: sie ist eine Art allgemeiner Wissenschaftstheorie oder philosophia prima, deren Axiome allgemeiner sind als die der Einzelwissenschaften, während die Physik Untersuchungen anstellt über das, was der Materie innewohnt und veränderlich ist. B. erwähnt seine Lehre von den menschlichen Vorurteilen (Idole), die erst durchschaut und abgebaut werden müssen, bevor die sachgerechte Wissenschaft beginnen kann. Ihr widerstreben die Idole der Beschaffenheit des menschlichen Geistes (»idola mentis«), die Idole des menschlichen Stammes, die von Natur gegeben sind (»idola tribus«), sodann versponnene Ideen in den Idolen der philosophischen (Lieblings-)Systeme (»idola specus«) und schließlich die fehlerhafte Zuordnung von Sachen und Wörtern in den Idolen der alltäglichen Kommunikation (»idola fori«). In den Schriften der mittleren Zeit vor dem Novum Organum, z.B. in Descriptio globi intellectualis (1612), hat B. versucht, die experimentelle Methode seiner neuen Naturphilosophie mit natürlicher Magie zu verbinden, um gleichsam eine alchimistische Kosmologie zu entwickeln, die nach neuesten Forschungen auf B.s chemischer Materietheorie beruht. Dabei benutzt er Schwefel und Quecksilber nicht als Prinzipien, sondern als Träger spezifischer Attribute, die auch der sublunaren und supralunaren Welt insgesamt zukommen, so daß sie die Bewegungen der Himmelskörper erklären können.
Im Novum Organum von 1620 entwickelt B. im Kontrast zum Organon des Aristoteles vor allem seine induktive Methode, die mit gradweise fortschreitenden Induktionen arbeitet, aber nicht additiv, sondern ausschließend vorgeht. Nach der Feststellung der Tatsachen sind deren Korrelationen zu suchen, die auf die Scheidung von zufälligen und notwendigen geprüft werden müssen. Vom Besonderen zum Allgemeinen fortschreitend, kann B. durch seine Methode der Ausschließung die zufälligen Relationen und Korrelationen eliminieren und zu invarianten Relationen, inklusiveren Relationen und schließlich zu den allgemeinen (Natur-)Formen aufsteigen. Für diese Methode benutzt er sogenannte Tafelverfahren, welche die Anwesenheit, Abwesenheit und Grade von Instanzen registrieren, schließlich aber bei besonders wichtigen Instanzen enden (Prärogativinstanzen), die für die Suche der wesentlichen Korrelationen entscheidend sind. Im Aufstieg von der Naturgeschichte über die Physik zur Metaphysik gewinnt B. die allgemeinsten Prinzipien oder Formen, bei denen es sich um die Beziehungen zwischen einfachen Naturen handelt. B.s De augmentis scientiarum (1623) entspricht dem ersten Teil der Instauratio und ist die lateinische, überarbeitete Fassung von The Advancement of Learning mit dem wirkungsvollen Muster der Klassifikation der Wissenschaften, die allein schon B. als Pionier der Organisation des menschlichen Wissens ausweist.
Unter den literarischen Werken stechen zunächst De Sapientia Veterum (1609) hervor, sodann die posthum erschienene Wissenschaftsutopie Nova Atlantis (1627). Während B. im ersten Werk die antiken Fabeln benutzt, um sie so zu interpretieren, daß dabei grundlegende Aspekte der neuen Wissenschaftskonzeption plausibel werden bzw. daß die rationalen Botschaften in den Mythen und Fabeln der Alten verborgen liegen, bietet das zweite Werk die Darstellung eines Großforschungsinstituts in einem friedliebenden, utopischen Staatswesen.
B. hat zeitlebens für die Regierung politische und staatsrechtliche Entwürfe, Berichte und Memoranden verfaßt. Seine historischen Arbeiten sind vor allem wegen der erstmals angewandten psychologischen Charakterisierung berühmt geworden. Dies gilt vor allem für seine Geschichte König Heinrichs VII. Der ethische Horizont von B.s gesamtem Unternehmen ist aufgrund der Jahrhunderte langen Verabsolutierung seines Satzes »Wissen ist Macht« (Novum Organum, I.1) auch im 20. Jahrhundert sehr häufig unbemerkt geblieben: Die neue, operative Wissenschaft soll nach B. zum Nutzen und Wohlergehen der gesamten Menschheit Anwendung finden, nicht zu ihrem Schaden oder zu ihrer Unterdrückung.
B.s nachhaltige Wirkung setzte erst nach seinem Tod ein, zunächst in England, dann in ganz Europa. Die englischen Puritaner, die sich schon vor dem Bürgerkrieg um eine Revision des Bildungssystems als Mittel zur Wiedergewinnung des Paradieses auf Erden kümmerten, stießen auf B. als den Reformer, der die naturwissenschaftliche Forschung und Technologie stets gefördert hatte. Aus puritanischen Kreisen entstanden Forschergruppen wie die Hartlib-Gruppe, später das Invisible College um Robert Boyle, die in Rückbezug auf die Ideen von Nova Atlantis letztlich zur Gründung der Royal Society geführt haben. Im späten 17. Jahrhundert sowie im 18. Jahrhundert war B. weltberühmt geworden. Voltaire hat ihn früh in Frankreich vorgestellt, die Weiterführung seines Akademiegedankens findet sich von Leibniz ausgehend in vielen geistigen Zentren Europas und seine Neukonzeption des Wissenschaftssystems wurde von den französischen Enzyklopädisten, besonders von Diderot, hoch geschätzt. Die Debatte um B.s induktive Methode ist bis heute noch nicht abgeschlossen.
Klein, Jürgen: Bacon’s Quarrel with the Aristotelians. In: Zeitsprünge 7 (2003/1), S. 19–31. – Gaukroger, Stephen: Francis Bacon and the Transformation of Early-Modern Philosophy. Cambridge 2001. – Mathews, Nieves: Francis Bacon. The History of a Character Assassination. New Haven/London 1996. – Peltonen, Markku (Hg.): The Cambridge Companion to Bacon. Cambridge 1996. – Sessions, William A.: Francis Bacon Revisited. New York/London/Mexico City 1996. – Pérez-Ramos, Antonio: Francis Bacon’s Idea of Science and the Maker’s Knowledge Tradition. Oxford 1988. – Rees, Graham: Atomism and Subtlety^ in Bacon’s Philosophy. In: Annals of Science 37 (1980), S. 549–71. – Rees, Graham: Matter Theory: A Unifying Factor in Bacon’s Natural Philosophy? In: Ambix 24 (1977), S. 110–125.
Jürgen Klein
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.