Metzler Philosophen-Lexikon: Butler, Judith
Geb. 1956 in Cleveland/Ohio
Die Transparenz der Dinge gilt seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als verschwunden, göttlich verbürgte Wahrheit wird im Zuge der Aufklärung verabschiedet. Die Historizität der Welt offenbart deren Kontingenz, so daß eine neue Wahrheit gefunden werden muß, die den Menschen dieser Kontingenz enthebt und gesicherte Erkenntnis wieder möglich macht. Seit dieser Zeit, dem Beginn der Moderne, so Michel Foucault, ist die Sexualität an die Stelle von Gott getreten. Und Foucault ist es ebenfalls, der gegen Ende der 1970er Jahre auch diese letzte Wahrheit als geschichtlich bedingt entlarvt.
B., Professorin am Department of Rhetoric and Comparative Literature der University of California in Berkeley, knüpft in ihrer Philosophie wesentlich an Foucault an und geht doch gleichzeitig einen entscheidenden Schritt weiter. Denn während Foucault bei aller Blickschärfe für diskursive Konstruktionen noch dazu neigt, einen Körper zu denken, der als neutrale Oberfläche die kulturellen Zu- und Einschreibungen aufnimmt, ist für Butler auch dieser Körper bereits vollständig auf der Seite der Kultur verortet. Denn vorstellbar, intelligibel^, ist er ihr zufolge nur als ein geschlechtlicher, und das Geschlecht ist nicht durch den Körper, sondern durch die Kultur vorgegeben. Daß diese Verabschiedung des allerletzten Rests einer noch nicht von Kultur und Geschichte affizierten Wahrheit Widerspruch provoziert, überrascht nicht weiter. Überraschend ist jedoch die damit verbundene Dynamik, die B.s Thesen seitdem Erscheinen von Gender Trouble, (1990; Das Unbehagen der Geschlechter) innerhalb der Geschlechterforschung auslösen.
Dieses Buch, das seit 1991 in deutscher Übersetzung vorliegt, provoziert vor allem Kritik aus den Reihen der Feministischen Theorie. Daß das soziale Geschlecht nicht festgelegt ist und gerade deshalb Gegenstand politischer Auseinandersetzung sein kann, ist im Anschluß an Simone de Beauvoirs in den 1950er Jahren eingeführte Unterscheidung von biologischem und sozialem Geschlecht unumstritten. Wenn nun aber auch das biologische Geschlecht diskutierbar würde, sei vollkommen unklar, welche Grundlage eine feministische Politik überhaupt noch haben könne. Für
B. besteht jedoch gerade in dieser Diskutierbarkeit politisches Potential, denn jegliche Fixierung der Kategorie Frau^ produziert Ausschlüsse, die, feministische Intention hin oder her, im Namen einer patriarchalen, mit Jacques Derrida gesprochen: phallogozentrischen^ Struktur vollzogen werden. Genau aufgrund dieser phallogozentrischen Struktur ist die Psychoanalyse der Hauptangriffspunkt im Denken B.s. Gleichzeitig, und in dieser Hinsicht ist sie dieser Theorie durchaus verbunden, sieht jedoch bereits Freud und im Anschluß an ihn (in entscheidenden Punkten konsequenter) auch Jacques Lacan den unauflöslichen Zusammenhang von Geschlecht und Kultur. Während aber die Psychoanalyse dieses Verhältnis statisch, phallogozentristisch denkt und in diesem Sinne dem Strukturalismus zuzuschlagen ist, begreift B. es poststrukturalistisch-dynamisch.
Nach Lacan, und dieser Gedanke ist für B.s Philosophie zentral, befindet sich das (geschlechtliche) Subjekt in der Ambivalenz, sich einerseits autonom verstehen zu wollen, andererseits aber grundsätzlich von einer Struktur bedingt zu sein, die nicht die eigene ist. Diese Struktur ist die Ordnung des Symbolischen^, die Sprache, in welche das Subjekt eintreten muß, um überhaupt als Subjekt gesetzt werden zu können. Diese Zirkularität aufnehmend, schreibt B. in The Psychic Life of Power (1997; Psyche der Macht): »Die Macht, die einem aufgezwungen wird, ist die Macht, der man sein eigenes Erscheinen zu verdanken hat, und aus dieser Ambivalenz scheint es keinen Ausweg zu geben.«
Aus strukturalistisch-psychoanalytischer Sicht ist die symbolische Ordnung eine unverrückbar binäre, d.h. oppositionale. Sie strukturiert sich durch Gegensatzpaare bzw. umgekehrt ist es genau diese Gegensätzlichkeit, welche die Struktur ermöglicht und erhält. Entsprechend geben die symbolischen, hierarchisch angeordneten Positionen Mann^ und Frau^ letztendlich determinatorisch Existenzweisen vor, die gerade nicht natürlich vorherbestimmt, sondern durch die Ordnung, durch die Kultur gefordert sind. Bereits Freud beschreibt, daß die Einnahme der heterosexuellen Positionen nur unter der Voraussetzung von Verdrängungen stattfindet, was bedeutet, daß sie niemals vollständig besetzbar sind. Ein Scheitern vor und in der symbolischen Ordnung, so Lacan, ist vielmehr notwendig impliziert. Damit formuliert die Psychoanalyse B. zufolge bei aller Weitsicht hinsichtlich des kulturellen Status des Geschlechts eine Art Sklavenmoral. Indem Lacan die Ordnung des Symbolischen als unveränderbar erklärt, ist die Psychoanalyse in ihrer Konsequenz genauso determinatorisch wie eine biologistische Geschlechtertheorie.
Im Grunde aber, so behauptet B., an Derrida anknüpfend, ist auch die symbolische Ordnung selbst nur so stabil wie ihre Wiederholung, denn durch nichts anderes ist ihre Struktur garantiert. Und da das notwendige Scheitern in und vor dieser Ordnung anzeigt, daß eine immer gleiche Wiederholung in der Zeit gerade nicht möglich ist, kann sich auch die symbolische Ordnung selbst verschieben und lockern. Wenn Männer^ die symbolische Position der Frau^ besetzen und Transvestiten die Geschlechternormen ver-rückt imitieren, wird die prinzipielle Kontingenz der Geschlechter sichtbar und eine fixierte Bedeutung von Mann^ und Frau^ obsolet, die symbolische Ordnung, die sich aus den eindeutigen Binaritäten ergab, verliert ihre Struktur. Je mehr folglich die Geschlechterkategorien offen gehalten und performativ^ (Derrida), d.h. als in der Zeit durch Wiederholung sich konstituierend gedacht werden, desto größer ist ihr subversives und damit auch politisches Potential.
Auch konkrete Diskriminierungen, die sich letztlich aus der hierarchischen Struktur der symbolischen Ordnung speisen, gehen nie vollständig in ihrer beabsichtigten Wirkung auf. Durch eine kritische Auseinandersetzung mit der Sprechakttheorie John Austins kann B. in Excitable Speech (1997; Haß spricht) zeigen, daß durch eine Dekontextualisierung, eine Fehlaneignung dieser diskriminierenden Sprechakte, wie es beispielsweise innerhalb der Rap-Kultur geschieht, verletzende Absichten durchkreuzt werden können. Während also der Strukturalismus eine grundsätzliche Trennung von Symbolischem und Sozialem annimmt und so das Symbolische zur transzendentalen, allmächtigen und damit letztendlich wieder zu einer Art göttlichen Ordnung erklärt, ist für B. das Symbolische veränderbar durch das Soziale. Entsprechend geht sie in Politics and Kinship (2000; Antigones Verlangen) der Überlegung nach, daß die gegenwärtig sich vollkommen verändernden Familien- und Verwandtschaftsstrukturen Einfluß haben auf die symbolische Ordnung. Gleichgeschlechtliche Elternpaare, alleinerziehende Mütter oder Väter usw. bringen den normalen Schematismus etwa des Ödipuskomplexes durcheinander und verändern auf diese Weise auch die Ökonomie des Unbewußten.
Die Philosophie B.s ist folglich im wörtlichen und strengen Sinn post-modern. Denn während die Moderne und mit ihr auch Strukturalismus und Psychoanalyse die Wahrheit als Erlösung vor der drohenden Kontingenz noch suchte, sieht B. in ihr ganz im Gegenteil eine Gefahr. Denn die Wahrheit hält die Dinge in Ordnung^, und gerade diese Ordnung ist es, die diskriminiert und ausschließt. Und doch: »Die Wahrheit ist ein Irrtum, der nicht mehr abgewiesen werden kann, weil er durch eine lange Geschichte hartgesotten wurde«, schreibt Foucault mit Blick auf Nietzsche. Und auch B. greift diesen Gedanken auf, wenn sie in Bodies that Matter (1993; Körper von Gewicht) dessen Materialität betont, die sich einstellt durch einen »Prozeß der Materialisierung, der im Lauf der Zeit stabil wird, so daß sich die Wirkung von Begrenzung, Festigkeit und Oberfläche herstellt, den wir Materie nennen«. Die Verfügbarkeit des Körpers hinsichtlich einer Subversion des Symbolischen ist also in der Praxis durch seine hartgesottene Wahrheit^ durchaus beschränkt.
Bublitz, Hannelore: Judith Butler zur Einführung. Hamburg 2002. – Hauskeller, Christine: Das paradoxe Subjekt. Widerstand und Unterwerfung bei Judith Butler und Michel Foucault. Tübingen 2000. – Feministische Studien 11, 2 (1993): Kritik der Kategorie Geschlecht^.
Svenja Flaßpöhler
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