Metzler Philosophen-Lexikon: Frege, Gottlob
Geb. 8. 11. 1848 in Wismar;
gest. 26. 7. 1925 in Bad Kleinen
Der Honorarprofessor F. hatte seine Hauptwerke bereits veröffentlicht, da wußte der Jenenser Universitätskurator über den Begründer der modernen Logik höherenorts nur zu melden, Herr F. sei »zu keiner Auszeichnung vorzuschlagen, weil seine Lehrtätigkeit untergeordneter Art und für die Universität ohne besonderen Vorteil« sei. Ausgehend von mathematischen Grundlagenfragen der Zahlentheorie – fast gleichzeitig mit Richard Dedekind und doch unabhängig von ihm –, schuf F. mit seinen Überlegungen nicht nur den Prinzipien der Mathematik ein neues Fundament, sorgte nicht nur endgültig – vor Husserl – dafür, daß der Psychologismus sich aus den Logik-Debatten verabschieden mußte, sondern begründete mit seinen Ergebnissen zugleich eine neue Denkart in der wissenschaftlichen Selbstverständigung der Philosophie.
Der historische Ansatz ergibt sich aus dem Rückgang auf Kant, dessen Theorie der Zahlen als Erkenntnisobjekte synthetisch-apriorischer Natur (einer Konstruktion im Medium der reinen Anschauungsformen von Raum und Zeit) F. für unhaltbar hielt. Er wollte dagegen die gesamte Arithmetik, und damit die Mathematik überhaupt, ausschließlich aus der Logik ableiten. Rekurse auf außerlogische Gewißheitsbegründungen seien ganz zu vermeiden. Zu einem solchen Unterfangen bedurfte es zunächst eines Zeichensystems, das in sich abgeschlossen und formal eindeutig war. Verwirklicht wurde es in der Begriffsschrift von 1879. Mit diesem Werk schuf F. das entscheidende Modell für alle weiteren Entwicklungen im Bereich logischer Kalküle und verwirklichte damit Leibnizens Idee eines »calculus ratiocinator«. Die elementaren Grundlagen eines heutigen Logikstudiums gehen – wenn auch in anderen Bezeichnungen und in eingängigerer äußerer Darstellung – auf F. zurück. Mit diesem Instrumentˆ lassen sich uralte Denkprobleme in einem transparenten Schlußverfahren auf ihre rein gedankliche Struktur reduzieren. Begriffslogische Reflexionen unterscheiden die Subsumtion eines Gegenstandes unter einen Begriff (»Sokrates ist ein Mensch«) von der Subordination eines Begriffs unter einen anderen (»Ein Baum ist eine Pflanze«) oder Eigenschaften der Gegenstände von Merkmalen der Begriffe (und von deren Eigenschaften). Von den Grundlagen der Arithmetik (1884) und dem Aufsatz Über Begriff und Gegenstand (1892) bis hin zu seinen Logischen Untersuchungen (1918 bis 1925) arbeitete F. beharrlich an einer fortschreitenden Fundierung und Differenzierung seiner logischen Theorie – und damit implizit zugleich an der Initiation eines sprachanalytischen Zugangs zu philosophischen Fragestellungen jeder Provenienz. Zentrale philosophische Grundbegriffe wie die der »Identität« und »Existenz« unterwarf er einer radikalen logischen Analyse und einer von der Mehrdeutigkeit der Alltagssprache befreiten Neu-Definition. Außerdem entwickelte er die unverzichtbaren terminologischen Eckpfeiler einer exakten Wissenschaftssprache im logisch-philosophischenˆ Kontext: Eigenname, Kennzeichnung, Begriff, Urteil, Satz, Sinn und Bedeutung. Allgemeingut wurde die letztgenannte Differenzierung am Beispiel von Morgensternˆ und Abendsternˆ als der zwei unterschiedenen »Sinne« ein und derselben »Bedeutung« (zweier Erscheinungsweisen eines Gegenstandes: der Venusˆ). So wie moderne Semantik mit diesen Analysen beginnt, so nehmen auch die beiden wesentlichen Richtungen heutiger Sprachphilosophie damit ihren Anfang: die Theorie einer Idealsprache im Sinne von Carnap und Quine ebenso wie die »Ordinary Language Philosophy« (Gilbert Ryle, John L. Austin), die in F.s Aufsatz Über Sinn und Bedeutung ihren geistigen Ursprung hat. Die Krönung seines Werkes aber, eine vollständige Ableitung der Arithmetik aus logischen Grundsätzen, blieb F. versagt. Kurz vor der Drucklegung des 2. Bandes seiner Grundgesetze der Arithmetik (1903) erreichte ihn eine deprimierende Nachricht aus England. Im Nachwort berichtet F. in bewundernswerter Gefaßtheit: »Herr Russell hat einen Widerspruch aufgedeckt« – und es folgt die nüchterne Darlegung der logischen Konsequenzen aus der bald schon nach Russell benannten Antinomie, die er in F.s »Grundgesetz« Nr. V entdeckt hatte. Russell konnte in den Principia mathematica zwar diesen Widerspruch aus der Weltˆ schaffen, gab aber dafür die Ableitbarkeit des Unendlichkeitsaxioms preis. F.s epochaler Versuch harrt so noch immer einer endgültigen Lösung.
Kreiser, Lothar: Gottlob Frege. Leben, Werk, Zeit. Hamburg 2001. – Gabriel, Gottfried/Dathe, Uwe (Hg.): Gottlob Frege. Werk und Wirkung. Mit den unveröffentlichten Vorschlägen für ein Wahlgesetz von Gottlob Frege. Paderborn 2000. – Kutschera, Franz von: Gottlob Frege. Eine Einführung in sein Werk. Berlin/New York 1989. – Dummett, Michael: Ursprünge der analytischen Philosophie. Frankfurt am Main 1988. – Schirn, Matthias (Hg.): Studien zu Frege I-III. Stuttgart-Bad Cannstatt 1976.
Gerhard Gönner
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