Metzler Philosophen-Lexikon: Jacobi, Friedrich Heinrich
Geb. 25. 1. 1743 in Düsseldorf;
gest. 10. 3. 1819 in München
In der Vorrede zu seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (1819) warnt Arthur Schopenhauer die Leser davor, seine »Art zu spekuliren« mit der »eines noch lebenden großen Philosophen« vergleichen zu wollen, »welcher wahrhaft rührende Bücher geschrieben und nur die kleine Schwachheit hat, Alles, was er vor seinem funfzehnten Jahre gelernt und approbirt hat, für angeborene Grundgedanken des menschlichen Geistes zu halten«. Die Fußnote verweist auf »F. H. Jakobi«. Das Porträt war nicht nur spöttisch gemeint, da J. das Motiv seines Philosophierens ähnlich emotional mit dem Hinweis auf persönliche, pietistisch beeinflußte Erfahrungen des Jugendalters umschrieben hat: »Ich ging noch im Polnischen Rocke, da ich schon anfing, mich über Dinge einer andern Welt zu ängstigen. Mein kindischer Tiefsinn brachte mich im achten oder neunten Jahre zu gewissen sonderbaren Ansichten (ich weiß es anders nicht zu nennen), die mir bis auf diese Stunde ankleben. Die Sehnsucht, in Absicht der besseren Erwartungen des Menschen zur Gewißheit zu gelangen, nahm mit den Jahren zu, und sie ist der Hauptfaden geworden, an den sich meine übrigen Schicksale knüpfen mußten.« Jede Beschäftigung mit den Schriften J.s, die kein geschlossenes System enthalten, steht vor der grundsätzlichen Schwierigkeit, daß hier individuelle Erfahrungen bzw. das rekonstruierte Gefühl derselben nach philosophischer Deutung verlangen, zugleich aber die Gewißheit der Erkenntnis garantieren sollen.
Der Vater J.s, ein wohlhabender Kaufmann, erwartete von seinem – im Vergleich zu dem Bruder Johann Georg, der sich später als Schriftsteller einen Namen machen sollte – für ein Studium eher unbegabt wirkenden Sohn die Übernahme des Düsseldorfer Handlungshauses der Familie. Seine Lehrzeit verbringt J. in Frankfurt am Main und Genf, wo er allerdings mehr philosophische als ökonomische Studien treibt, bei denen er in dem Mathematiker Georges-Louis Lesage einen Mentor findet. Er liest Gravesandes Introductio ad Philosophiam, ein Standardwerk der Schulphilosophie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, und macht sich mit dem Denken der französischen Enzyklopädisten vertraut, vor allem mit den Werken Rousseaus und Charles Bonnets. 1764 übernimmt J. das väterliche Erbe und heiratet die Tochter eines begüterten Aachener Kaufmanns, Betty von Clermont, die wesentlich dazu beigetragen hat, daß J.s Landhaus Pempelfort bei Düsseldorf zu einem Zentrum des intellektuellen Gesprächs wurde, wo Goethe, Heinse und Wieland, die Brüder Humboldt, Diderot, Frans Hemsterhuis und Georg Forster verkehrten. 1772 wird J. Mitglied der Hofkammer des Herzogtums Berg und einige Jahre später Referent für Zoll- und Wirtschaftsfragen im bayerischen Ministerium des Innern, was jedoch eine Episode bleibt, da er nach seinem – auch publizistischen – Eintreten für eine Freihandelslehre im Sinne von Adam Smith das Regierungsamt 1779 aufgeben muß.
Seine philosophischen Interessen hat J. während dieser Zeit als Kaufmann und Wirtschaftspolitiker nicht verloren. Nach der Rückkehr aus Genf liest er Kants vorkritische Schriften (Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, 1763) und beginnt mit der Lektüre Spinozas. Das Thema des Wolfenbütteler Gesprächs mit Lessing (1780) kündigt sich hier bereits an, wird von J. jedoch noch nicht in einer Abhandlung selbständig bearbeitet. Nach der Begegnung mit Goethe in Pempelfort (1774) ist es ein völlig anderes Medium, das sich J. zur Vermittlung seines philosophischen Denkens wählt: der empfindsame Briefroman im Stil des Werther. Er wolle »Menschheit« schildern »wie sie ist, erklärlich oder unerklärlich«, heißt es in einer späteren Vorrede zu dem Roman Aus Eduard Allwills Papieren (1775/76); dargestellt wird die Überlegenheit der unmittelbaren Empfindung gegenüber der reinen Vernunft, der natürlichen Sittlichkeit gegenüber der öffentlichen Moralität, aber auch die Gefahr einer sich übersteigernden empfindsamen Selbsttäuschung (Woldemar, 1779). Die Romane werden vom Publikum begeistert aufgenommen, vereinzelt wird jedoch schon von den Zeitgenossen kritisiert, daß J. die Sinnlichkeit nur rehabilitieren kann, indem er sie vergeistigt; »Woldemar ist also eigentlich eine Einladungsschrift zur Bekanntschaft mit Gott«, heißt es in der Rezension Friedrich Schlegels, »und das theologische Kunstwerk endigt, wie alle moralischen Debauchen endigen, mit einem Salto mortale in den Abgrund der göttlichen Barmherzigkeit.« Mit den beiden Romanen wollte J. der »Kothphilosophie« seiner Zeit, dem flachen, aufklärerischen Rationalismus, seine »Irreverenz bezeigen«. Diese Abneigung hat bei dem in der Mitte der 80er Jahre sich entwickelnden »Pantheismusstreit« mit Moses Mendelssohn sicher eine Rolle gespielt. An seinem Beginn steht ein Briefwechsel mit Mendelssohn über die Frage, ob Lessing ein Spinozist gewesen sei; ohne Mendelssohns Einverständnis veröffentlicht J. den Briefwechsel (Ueber die Lehre des Spinoza, in Briefen an Herrn Moses Mendelssohn, 1785), dem polemische Streitschriften von beiden Seiten folgen. Die pantheistische Deutung der Philosophie Spinozas, als deren genauer Kenner sich J. erweist, nahm bedeutenden Einfluß auf die Generation der Frühromantiker und der Tübinger Stiftler.
Nach seinem philosophischen Debüt setzt sich J. noch in einer Reihe weiterer Schriften kritisch mit der Gegenwartsphilosophie auseinander, wobei er den Standpunkt einer personalistisch-dezisionistischen, auf dem »Gefühl« aufbauenden Glaubensphilosophie verteidigt (David Hume, über den Glauben, oder Idealismus und Realismus, 1787; Ueber das Unternehmen des Kriticismus die Vernunft zu Verstand zu bringen, 1801). Der transzendentale Idealismus Kants führt in seinen Augen notwendig zum »Nihilismus« (auch diesen Begriff vermittelt J. der Generation der Frühromantiker): »Alles überhaupt, Erkennendes und Erkanntes, lösete sich vor dem Erkenntnisvermögen in ein gehaltloses Einbilden von Einbildungen, objektiv rein in Nichts auf.« Schien seine Kantkritik zunächst noch eine Übereinstimmung mit der Position Fichtes anzudeuten, distanziert sich J. im Atheismusstreit auch von dieser entwickelten transzendentalphilosophischen Position und ihrem, für J., fehlenden Bezug zur praktischen Philosophie und Moral (Jacobi an Fichte, 1799). – J. bleibt ein von vielen, gerade auch von den Schriftstellern (Jean Paul) bewunderter Gegner des Idealismus, zugleich aber ein Einzelgänger; als er 1804 die Einladung erhält, an der Umgestaltung der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mitzuwirken und zu ihrem ersten Präsidenten ernannt wird, entwickelt sich bereits kurz nach seiner Eröffnungsrede (Ueber gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck, 1807) eine Kontroverse mit Schelling (Von den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, 1811), die ihn zum Rückzug von seinem Amt zwingt. Was immer man an der Philosophie J.s kritisieren oder aus der Sicht der Existenzphilosophie des 20. Jahrhunderts an ihr als vorausweisend erkennen mag, einig waren sich bereits die Zeitgenossen in der Beurteilung des Denkens von J., das nicht von seinem Leben zu trennen ist und einen Gegenentwurf zu der für Deutschland so typischen Kathederphilosophieˆ bildet; der »außerhalb der zünftigen Betreibung der Weltweisheit stehende Mann«, heißt es in einem Nachruf, »nahm aus innerm Bedürfniß den lebendigsten Antheil an der tiefen Forschung, die vorzüglich von dem Königsberger Weisen ausgieng«.
Vollhardt, Friedrich: Die Romanprojekte Friedrich Heinrich Jacobis. Empfindsamkeitskritik, Sprachkonzeption und Moralreflexion in der Auseinandersetzung mit Rousseau. In: Rousseau in Deutschland. Neue Beiträge zur Erforschung seiner Rezeption. Berlin 1995, S. 79–100. – Rose, Ulrich: Friedrich Heinrich Jacobi. Eine Bibliographie. Stuttgart 1993. – Henrich, Dieter: Die Anfänge der Theorie des Subjekts (1789). In: Zwischenbetrachtungen: im Prozeß der Aufklärung. Hg. v. Axel Honneth u. a. Frankfurt am Main 1989, S. 106–170. – Christ, Kurt: Jacobi und Mendelssohn. Eine Analyse des Spinozastreits. Würzburg 1988. – Verra, Valerio: F. H. Jacobi. Dall’illuminismo all’ idealismo. Turin 1963.
Friedrich Vollhardt
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.