Metzler Philosophen-Lexikon: Kripke, Saul Aaron
Geb. 13. 11. 1940 in Bay Shore/New York
Der amerikanische Logiker und Philosoph K. studierte zunächst Mathematik in Harvard, bevor er in den Jahren von 1962 bis 1968 Forschungsund Lehrtätigkeiten in Oxford, Harvard und Princeton nachging. Von 1968 bis 1976 war er Professor an der Rockefeller University, 1977 nahm er einen Ruf auf eine Professur für Philosophie an der Princeton University an. K. hat die philosophische Welt mindestens drei Mal verblüfft: das erste Mal, nachdem er im jugendlichen Alter eine Semantik für die Modallogik entwickelt hatte, die mit einem Vollständigkeitsbeweis im Journal of Symbolic Logic erschien, als ihr Autor gerade einmal 18 Jahre alt war (A Completeness Theorem in Modal Logic, 1959). Eine von K. im Rückgriff auf Leibniz’ Idee möglicher Welten und modelltheoretische Mittel entwickelte Semantik lieferte einen entscheidenden Beitrag zur Klärung technischer Probleme der Modallogik. Das zweite Mal versetzte K. die philosophische Welt in Erstaunen, als er als immer noch vergleichsweise junger Mann erneut mit einer bahnbrechenden Untersuchung an die Öffentlichkeit trat. In einer unter dem Titel Name und Notwendigkeit (1972/1980; dt. 1981) als Buch publizierten Reihe von Vorträgen entwickelte er eine vieldiskutierte Theorie der Eigennamen, die der gesamten analytischen Philosophie weitreichende Impulse gab.
Nach verschiedenen kleineren Arbeiten, u. a. zur Wahrheitstheorie und zum Problem semantischer Antinomien (Outline of a Theory of Truth, 1975) publizierte er 1982 sein zweites Buch – und ein drittes Mal sorgte er für Wirbel – Wittgenstein über Regeln und Privatssprache. Eine elementare Darstellung (1982; dt. 1987), mit dem er eine nunmehr über zwei Jahrzehnte anhaltende Debatte zur Problematik des Regelfolgens ausgelöst hat. Obgleich sich K.s Arbeiten auf einem relativ schmalen Terrain bewegen, waren sie von so großer Durchschlagskraft, daß sie ihn zu einem der führenden analytischen Philosophen machten und ihm zahlreiche Gastprofessuren u. a. in Oxford, London, Berkeley und Los Angeles eintrugen.
Im Zentrum von K.s Theorie der Namen steht zunächst eine dezidierte Kritik an Theorien der Referenz oder des Gegenstandbezugs, wie sie in der Tradition von Frege und Russell entwickelt worden waren. Diese Theorien – K. spricht von Bündel- bzw. Beschreibungstheorien – gehen davon aus, daß die Verwendung eines Namen (»Moses«) für einen Gegenstand von der Verwendung von einer oder mehrerer Beschreibungen dieses Gegenstandes (beispielsweise »die Person, welche die Juden aus Ägypten führte«) abhängig sind. K. hingegen macht deutlich, daß die Verbindung des Namens mit einer Beschreibung nicht erklärt, warum sich ein Name auf einen bestimmten Gegenstand bezieht. Die Bedeutung eines Namens wird durch eine Fixierung seiner Referenz und nicht durch Beschreibungen festgelegt. Im Zusammenhang mit Überlegungen zur Fixierung des Bezugs eines Eigennamens entwickelt K. eine Theorie der Referenz, der zufolge ein ursprünglicher Taufakt den Bezug eines Namens festlegt. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft werden auf diese Weise eingeführte Namen von Glied zu Glied weitergereicht, so daß alle Verwendungen nach Art einer Kette mit dem ursprünglichen Akt der Taufe in einem Zusammenhang stehen. Ein Sprecher bezieht sich mit einem Namen auf genau denjenigen Gegenstand, der auf diesen Namen getauft wurde, unabhängig davon, ob der Sprecher eine explizite Kenntnis des Taufaktes besitzt. Mit dieser Idee wurde K.s Theorie zu einem wichtigen Wegbereiter innerhalb der Diskussion um einen sozialen Externalismus.
Ein weiteres grundsätzliches Argument, welches K. in dem Buch Name und Notwendigkeit entwickelt, bezieht sich auf die Unterscheidung zwischen apriorischen und notwendigen sowie aposteriorischen und kontingenten Wahrheiten. Manche Wahrheiten können a priori eingesehen werden, obwohl sie kontingent sind (als Beispiel wird über den Satz nachgedacht, daß der Urmeter ein Meter lang ist), und aposteriorische Wahrheiten können gleichwohl notwendig sein (ein von K. diskutiertes Beispiel ist die Goldbachsche Vermutung, daß eine gerade Zahl, die größer als 2 ist, die Summe zweier Primzahlen sein muß).
Mit seiner unorthodoxen und überaus kontroversen Wittgenstein-Deutung (Wittgenstein über Regeln und Privatsprache) macht K. darauf aufmerksam, daß Wittgensteins häufig als Privatsprachenargumentˆ bezeichnete Überlegungen im Zusammenhang mit dem Problem des Regelfolgens betrachtet werden müssen. Wittgensteins Analysen zu Verwendung und Bedeutung von Empfindungsausdrücken stellen K. zufolge also lediglich einen Spezialfall allgemeinerer Überlegungen dar, welche die Frage betreffen, was es heißt, einer Regel zu folgen. Einer Regel folgen kann eine Person nur dann, wenn sie als Mitglied einer größeren Gemeinschaft betrachtet wird, nicht aber privat. Nichts im Kopf eines Sprechers vermag festzulegen, ob er einer Regel bzw. welcher Regel er gerade folgt. Die Intentionen einzelner Sprecher sind nicht in der Lage dazu, die Bedeutung sprachlicher Äußerungen auch für die Zukunft ein- für allemal festzulegen. Jede Sprecherabsicht – darauf laufen Ks. Überlegungen hinaus – kann so gedeutet werden, daß sie sich mit jeder beliebigen Handlung in Übereinstimmung bringen läßt. K. spricht von einem skeptischen Paradox, welches sich allein durch eine skeptische Beseitigung des Zweifels auflösen läßt. Man sollte aufhören, bezogen auf einen einzelnen und isoliert in Betracht gezogenen Sprecher nach Tatsachen zu suchen, die darüber Auskunft geben, was er meint. Erst wenn der einzelne Sprecher nicht mehr isoliert, sondern in seiner Interaktion mit einer Gemeinschaft betrachtet werde, zeichne sich eine Lösung des Paradoxes ab. Mit seiner Wittgenstein-Rekonstruktion machte sich K. erneut für einen sozialen Externalismus in der Sprachphilosophie und Philosophie des Geistes stark. K.s Überlegungen sind nicht unwidersprochen geblieben. Sein eigentlicher Gedanke wurde zwar für originell gehalten, ihn Wittgenstein zuzuschreiben, gilt allerdings nach wie vor als umstritten.
Preti, Consuelo: On Kripke. Belmont 2002. – Stegmüller, Wolfgang: Kripkes Deutung der Spätphilosophie Wittgensteins. In: Ders.: Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, Bd. 4. Stuttgart 1989. – Baker, G. P./Gordon, P.M.S.: On Misunderstanding Wittgenstein. Kripkes Private Language Argument. In: Synthese 58 (1984).
Christoph Demmerling
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