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Metzler Philosophen-Lexikon: Maimonides, Moses (d.i. Moses ben Maimon)

Geb. 30. 3. 1135 in Córdoba;

gest. 13. 12. 1204 in Fustat (Alt-Kairo)

Der jüdische Schriftgelehrte und Hofarzt Sultan Saladins in Kairo mußte schon als kleiner Junge mit seiner Familie 1148 aus Córdoba vor seinen islamischen Verfolgern fliehen. Während viele Juden sich damals nach Norden wandten (Provence), führte sein Fluchtweg über Marokko und Palästina 1172 nach Kairo, wo er als Vorsteher der jüdischen Gemeinde und Arzt am Hofe großes Ansehen erwarb. Neben zahllosen medizinischen Abhandlungen schrieb er viel zu theologischen Problemen; so u. a. eine Verteidigung seines Glaubens gegen den Zwang des Islam, einen Kommentar zur Mischna (einer Sammlung religiöser Gesetze), einen Ethikgrundriß, eine Aufstellung von Glaubenssätzen. Sein Hauptwerk aber wurde Der Führer der Ratlosen (1190; Dalâhat al-Hā irin, ursprünglich arabisch geschrieben, dann ins Hebräische und Lateinische übersetzt).

Für strenggläubige Juden gab es damals ein Problem: Sie waren mit der Überlegenheit der griechisch-arabischen Wissenschaften konfrontiert und wußten nicht, wie sie die Gesetzestreue zur Thora mit den Ergebnissen der Vernunfterkenntnis vereinbaren sollten; modern gesprochen, wie z.B. Schöpfungsglaube und Evolution zusammenzubringen seien. M. hatte Aristoteles über Averroës gründlich studiert und übernahm von seinem Lehrer die Auffassung, daß im Grunde die beiden Sehweisen, die der Bibel und die der Philosophie, übereinstimmten und daß gelegentliche Widersprüche durch allegorische Auslegung der Schrift zu beseitigen möglich wäre: die bildreiche Sprache sei für die Menge, der tiefere Sinn aber könne durch die Philosophen erschlossen werden. So wurde aus der Genesis eine Aussage zur Physik. Dies brachte viele Orthodoxe in Harnisch; man warf ihm Intellektualismus vor und Verrat an der Sache des Glaubens, denn er hatte hinzugesetzt, daß in Streitfragen die Vernunft der Glaubensaussage vorzuziehen sei. Seine Gegner wußten genau, welche philosophische Aufgabe damit verbunden war: Wollte man seinem Vorschlag folgen, so mußte man Ethik und Metaphysik aus den Evangelien herausarbeiten und ihre Allgemeingültigkeit aufweisen.

Die Philosophie, die er vertrat, war die des Aristoteles, den er allerdings nicht so konsequent auslegte wie Averroës. So ließ er beispielsweise das Schöpfungsdogma gelten, »aus Mangel an Gegenbeweisen«, wie er schrieb, während jener die Ewigkeit der Welt fraglos vorausgesetzt hatte. – Ein weiteres Thema beunruhigte seine Kritiker. M. ging es vor allem um einen haltbaren Gottesbegriff, um die Erkennbarkeit Gottes. Und hier variierte er ein altes Motiv, das man mit negativer Theologie bezeichnet: »Ich weiß nur, was Gott nicht ist«. »Die Negationen (was Gott nicht ist) sind wahr, die Affirmationen (Zusicherungen) sind zweifelhaft«, schrieb er. Dies schränkte natürlich die positiven schriftgesicherten Aussagen drastisch ein, die er nur als kausale Schlußfolgerungen verstand: wenn man Gott gut nenne, dann sage man eigentlich nur, daß er Gutes tue, aber nichts über Gott selbst. Dieser radikalen Vorsicht widersprach später Thomas von Aquin; Meister Eckhart aber griff in seiner Gotteslehre diese Gedanken wieder auf und entwickelte sie weiter. – Ein dritter Punkt ist erwähnenswert. Es ist die Lehre vom Intellekt, die er bei den arabischen Aristotelikern vorfand (Al-Kindi, Al-Farabi, Averroës). Er behauptete – und brachte so doch etwas Licht in das Dunkel der Nichterkennbarkeit Gottes –, daß wir Menschen den Intellekt Gottes erkennen können: Wie er vereinen wir beim Erkennen einer Sache sie selbst, das Erkannte, mit uns, den Erkennenden. Beim Menschen wird, gleichsam als Vorgang (prozeßhaft), im Erkennen eine Identität von Person und Objekt geschaffen, während im Unterschied dazu in Gott diese Dreieinheit in ewiger Ruhe (statisch) existiert. Was gemeinhin als leeres Vermögen (Wahrnehmung) und Einzelding (z.B. Baum) vorgestellt wird, fällt in der Erkenntnis zusammen, weil die reine Form (Holz) als Abstraktion hinzugedacht wird: Das Erkennen ist der Gegenstand und der Akt und das Wesen des Intellekts in einem. Diese Dreieinheit war für M. ein Schlüssel zur Gotteserkenntnis – ein Gedanke, der bis zu Meister Eckhart führt. Hier wie auch im jüdischen Denken Frankreichs, Italiens und Spaniens hat M. lange und nachdrücklich gewirkt.

Simon, Marcel: Geschichte der jüdischen Philosophie. München 1984. – Twersky, Isadora: A Maimonides Reader. New York 1972. – Kluxen, Wolfgang: Moses Maimonides und die Hochscholastik. In: Philosophisches Jahrbuch 63 (1954). – Strauss, Leo: Persecution and the Art of Writing. Glencoe, Ill. 1952. – Ders.: Philosophie und Gesetz. Beiträge zum Verständnis Maimonides’ und seiner Vorläufer. Berlin 1935.

  • Die Autoren
Herausgegeben von Bernd Lutz

Albert, Claudia (Berlin): Ariès, Diderot, Elias, Jonas, Ricoeur
Altmayer, Claus (Saarbrücken): Garve
Arend, Elisabeth (Bremen): Bourdieu, Durkheim, Ficino
Askani, Hans-Christoph (Paris): Bultmann, Lévinas, Rosenzweig
Bachmaier, Helmut (Konstanz): Herodot, Simmel
Baecker, Dirk (Witten/Herdecke): Baudrillard
Baltzer, Ulrich (München): Searle
Baumhauer, Otto A. (Bremen): Gorgias, Hippias, Prodikos, Protagoras
Beierwaltes, Werner (München): Proklos Diadochos
Benz, Hubert (Marburg): Iamblichos
Berger, Siegfried (Köln): Comte
Bergfleth, Gerd (Tübingen): Bataille
Bernard, Wolfgang (Rostock): Alexander von Aphrodisias, Nikomachos
Berressem, Hanjo (Aachen): Guattari
Beutel, Albrecht (Münster): Luther
Böhlke, Effi (Berlin): Berdjaev, Solov’ëv, Tocqueville
Boin, Manfred (Köln): Fichte
Borkopp, Peter (London): Schleiermacher
Bormann, Claus von (Bielefeld): Lacan, Lévi-Strauss
Brede, Werner (München): Plessner
Breidbach, Olaf (Jena): Oken
Deitz, Luc (Luxemburg): Antisthenes, Euklid, Kleanthes, Ptolemaios, Sextus Empiricus
Demmerling, Christoph (Dresden): Austin, Bolzano, Carnap, Chomsky, Feyerabend, Kripke, Kuhn, Ryle, Tugendhat
Dorowin, Hermann (Florenz): Ortega y Gasset
Dorsel, Andreas (Menlo Park, Cal.): Newton
Drechsler, Martin (Kreuzlingen): Anaxarch, Berkeley, Chrysippos, Schlick
Elsholz, Günter (Hamburg): Mill
Felten, Hans (Aachen): Saint-Simon
Fick, Monika (Aachen): Lessing
Fischer, Ernst Peter (Konstanz): Bohr, Darwin, Haeckel, Heisenberg, Helmholtz, Pauli, Piaget, Planck, Schrödinger
Fittkau, Ludger (Essen): Virilio
Flaßpöhler, Svenja (Münster): Butler
Früchtl, Josef (Münster): Rorty
Fülberth, Georg (Marburg): Bernstein, Luxemburg
Fütterer, Günther (Neusorg): Fromm
Gehring, Petra (Darmstadt): Serres
Gerhardt, Volker (Berlin): Kant
Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara (Dresden): Guardini
Gillies, Steven (Konstanz): Morris, Needham, Owen, Ricardo, D.F. Strauß
Gmünder, Ulrich (Caracas): Marcuse
Goldschmidt, Werner (Hamburg): Proudhon
Gönner, Gerhard (Bietigheim-Bissingen): Frege, Heraklit
Gosepath, Stefan (Berlin): Rawls
Gräfrath, Bernd (Essen): Hutcheson
Habermehl, Peter (Berlin): Anaxagoras, Anaximander, Augustinus, Boëthius, Clemens von Alexandria, Empedokles, Origenes, Parmenides, Philon von Alexandria, Pythagoras, Xenophanes, Zenon von Elea
Halfwassen, Jens (Heidelberg): Porphyrios
Hausmann, Frank-Rutger (Freiburg): Bodin, La Mettrie, Montesquieu
Heckl, Wolfgang M. (München): Einstein, Galilei
Heidrich, Christian: Kolakowski
Helferich, Christoph (Florenz): Croce, Gramsci, Hegel, Jung
Henckmann, Wolfhart (München): Bakunin, Scheler
Hildebrandt, Hans-Hagen (Essen): Grotius
Hoepner-Peña, Carola (Reichenau): Eriugena
Hoffmann, David Marc (Basel): Steiner
Hogemann, Friedrich (Bochum): Merleau-Ponty
Holenstein, Elmar (Zürich): Jakobson
Holtz, Sabine (Tübingen): Bonaventura
Holz, Hans Heinz (S. Abbondio): Lenin
Horst, Thomas (Stuttgart): Aristippos, Benjamin, Kierkegaard, Rickert
Horster, Detlef (Hannover): A. Adler, Aristoteles, Bloch, Habermas, Luhmann, Sokrates, Thomas von Kempen
Hose, Martin (München): Diogenes Laërtios
Hösle, Vittorio (Tübingen): Lullus
Hoyer, Ulrich (Münster): Gassendi
Hühn, Lore (Berlin): Schopenhauer
Hülle, Alexander (Stuttgart): Melanchthon, C.F. von Weizsäcker
Jamme, Christoph (Jena): Cassirer
Janowski, Franca (Stuttgart): Gentile
Jung, Thomas (Frankfurt am Main): Epiktet
Jung, Werner (Duisburg): Hartmann, Rosenkranz, Ruge
Kaegi, Dominic (Luzern): Heidegger
Kahl, Joachim (Marburg): Topitsch
Karge, Gesine (Berlin): Mach
Keil, Geert (Berlin): Apel, Strawson
Klein, Jürgen (Hamburg): Bacon
Knittel, Elisabeth (Allensbach): Voltaire
Knittel, Hermann (Allensbach): Seuse
Knopf, Jan (Karlsruhe): Korsch
Kocyba, Hermann (Frankfurt am Main): Deleuze
Köller, Wilhelm (Kassel): Peirce
König, Traugott (Frankfurt am Main): Barthes, Kojève, Sartre
Köpf, Ulrich (Tübingen): Bernhard von Clairvaux
Kraus, Manfred (Tübingen): Pyrrhon von Elis
Krauß, Henning (Augsburg): Beauvoir
Kreidt, Dietrich (Stuttgart): Thomasius
Krüger, Marlis (Bremen): Mannheim, Parsons
Kühnl, Reinhard (Marburg): Lukács, Marx/Engels, Spengler
Kulenkampff, Arend (Frankfurt am Main): Reid
Kytzler, Bernhard (Durban): Campanella, Cicero, Joachim da Fiore, Marc Aurel, Morus, Seneca, Xenophon
Laarmann, Matthias (Bochum): Heinrich von Gent
Lachmann, Rolf (Köln): Langer
Lambrecht, Lars (Hamburg): B. Bauer
Lang, Peter Christian (Frankfurt am Main): Adorno, Dilthey, Gadamer, Horkheimer, Plotin, Singer
Lazzari, Alessandro (Luzern): Reinhold
Lohmann, Hans-Martin (Heidelberg): Anders, Freud, Kautsky
Lunau, Martina (Tübingen): M. Mead, Toynbee
Lutz, Bernd (Stuttgart): Anselm von Canterbury, Jaspers, Löwith
Maas, Jörg F. (Hannover): Bayle, Danto, Goodman, Toulmin
Mai, Katharina (Stuttgart): Derrida
Martens, Ekkehard (Hamburg): Platon
Maser, Peter (Telgte): Buber, Scholem
Maurer, Ernstpeter (Dortmund): Quine, Wittgenstein
Meckel, Wolfgang (Staffel): Abaelard, Averroës, Avicenna, Maimonides, Ockham
Mehring, Reinhard (Berlin): Kelsen, Schmitt
Meier, Albert (Kiel): Holbach
Meier, Heinrich (München): L. Strauss
Mensching, Günther (Hamburg): Duns Scotus
Meuter, Norbert (Berlin): MacIntyre
Meyer, Thomas (Dortmund): Nelson
Mohl, Ernst Theodor (Seeheim-Jugenheim): Heß
Münch, Dieter (Berlin): Brentano
Neumann, Sabine (Münster): Flusser
Ollig, Hans-Ludwig (Frankfurt am Main): Cohen, Natorp, Riehl, Windelband
Opitz, Peter J. (München): Voegelin
Peter, Niklaus (Riehen/Basel): Overbeck
Pietsch, Christian (Mainz): Dionysius Areopagita
Pollmann, Karla (St. Andrews): Prudentius
Prechtl, Peter (München): Bentham, Dewey, Hume, James, G.H. Mead, Nussbaum, A. Smith, Taylor
Pries, Christine (Frankfurt am Main): Lyotard
Prill, Ulrich (Münster): Bachelard, Klossowski, Malebranche, Spinoza
Raab, Jürgen (Konstanz): Sennett
Raffelt, Albert (Freiburg): Blondel, Rahner
Rentsch, Thomas (Dresden): Husserl, Lask, Simmel, Suárez
Reschke, Renate (Berlin): Nietzsche
Richter, Mathias (Berlin): Castoriadis, Gorz
Rohr, Barbara (Bremen): Weil
Rommel, Bettina (Freiburg): Alembert, Condillac, Condorcet, Taine
Roughley, Neil (Konstanz): Gehlen
Sandkühler, Hans Jörg (Bremen): Dühring, Labriola, Plechanow, Schelling
Schäfer, Thomas (Berlin): Althusser, Foucault
Scherer, Georg (Oberhausen): Al-Farabi, Pieper, Stein, Thomas von Aquin
Schmidt-Biggemann, Wilhelm (Berlin): Leibniz, Pascal
Schmitz, Bettina (Würzburg): Irigaray, Kristeva
Schmitz, Matthias (Hamburg): Arendt, Herder, W. von Humboldt, Montaigne, Rousseau
Schneider, Thomas (Linsengericht): Hobbes, Locke, Machiavelli
Scholten, Clemens (Köln): Johannes Philoponos
Schönberger, Rolf (Regensburg): Buridanus
Schönwälder, Karen (London): Babeuf
Schorpp, Maria (Konstanz): Popper
Schürgers, Norbert J. (Lauf a. d.Pr.): M. Adler, Russell
Schwab, Hans-Rüdiger (Münster): Albertus Magnus, F. von Baader, L. Büchner, Erasmus von Rotterdam, Hemsterhuis, Reuchlin, Schweitzer
Semler, Christian (Berlin): Heller
Soeffner, Hans-Georg (Konstanz): Goffman
Stoecker, Ralf (Bielefeld): Davidson
Tenigl, Franz (Wien): Klages
Thaidigsmann, Edgar (Ravensburg): Barth, Tillich
Theisen, Joachim (Nea Kifissia/Athen): Meister Eckhart, Tauler
Thiel, Rainer (Marburg): Simplikios
Thoma, Heinz (Halle): Helvétius
Thunecke, Inka (Berlin): Camus
Ulrich, Jörg (Kiel): Hildegard von Bingen
Vietta, Silvio (Hildesheim): Vico
Villwock, Jörg (Niederhausen/Ts.): Blumenberg
Vogt-Spira, Gregor (Greifswald): Menander, Theophrast
Vöhler, Martin (Berlin): Longinos
Voigt, Uwe (Bamberg): Comenius
Vollhardt, Friedrich (Hamburg/Gießen): F. H. Jacobi, Mandeville, Mendelssohn, Shaftesbury
Waszek, Norbert (Paris): Stirner
Weber, Walter (Bremen): Baumgarten, Reimarus, Teilhard de Chardin, Wolff
Weinmann, Martin (Wiesbaden): Bergson
Weiß, Johannes (Kassel): Weber
Welsch, Wolfgang (Magdeburg): Lyotard
Werner, Reinold (Paris): Böhme, Marcel, Nikolaus von Kues
Wetzel, Michael (Bonn): Derrida
Wichmann, Thomas (Berlin): Descartes, Saussure
Wild, Reiner (Mannheim): Hamann
Willaschek, Marcus (Münster): Putnam
Winter, Michael (Koblenz): Fourier, Paine, Sade
Wohlrapp, Harald (Hamburg): Lorenzen
Wolf, Frieder Otto (Berlin): Ferguson, Goldmann, Lefebvre
Wörther, Matthias (München): Kepler, Kopernikus, Whitehead
Wüstehube, Axel (Münster): Moore
Zacher, Klaus-Dieter (Berlin): Demokrit, Epikur, Leukipp, Lukrez, Plutarch
Zeidler, Lothar (Edison/New York): Spencer
Zimmer, Jörg (Girona): Holz
Zimmermann, Bernhard (Konstanz): Anaximenes, Antiphon, Diogenes von Sinope, Kritias, Thales
Zimmermann, Wolfgang (Tübingen): Bruno, Calvin, Pico della Mirandola, Weigel
Zinser, Hartmut (Berlin): Feuerbach

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