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Metzler Philosophen-Lexikon: Menander

Geb. 342/41 v. Chr. in Athen;

gest. zwischen 293 und 289 v. Chr. im Piräus

»Menander und Leben, wer von euch beiden hat den anderen nachgeahmt?« Kein anderer griechischer Dichter war so berühmt für seine Darstellungskunst, für seine Fähigkeit, Personen und Gefühlen lebensnahen Ausdruck zu verleihen, wie M., glänzendster Vertreter der sogenannten Neuen Attischen Komödie, aus der durch Vermittlung der Römer das europäische Lustspiel hervorgegangen ist. Der antike Grammatiker, auf den das oben angeführte Diktum zurückgeht, gesteht ihm unmittelbar hinter Homer den zweiten Platz unter allen griechischen Dichtern zu. Jene emphatische Parallelisierung von Komödiendichter und Leben liefert einen Hinweis, inwiefern M. hier unter die Philosophen eingereiht werden kann: Offensichtlich fand man in seinen Dramen Deutungsmuster, die auf die Lebenswirklichkeit übertragbar waren. »The most philosophic of poets« wurde bereits in der Antike nicht nur als Dichter begriffen. In der ausgehenden römischen Republik pflegte man an Fingerringen Porträts griechischer Philosophen zu tragen, unter denen sich mit am häufigsten ein bartloser Mann findet, der mit hoher Wahrscheinlichkeit M. darstellt. Es waren Sammlungen verbreitet von aus seinen Komödien exzerpierten Sentenzen, die im Sinne von Popularphilosophie gebraucht wurden: Weisheiten und Verhaltensmaximen, nach denen man sich im Alltag ausrichten konnte.

Die Nachrichten über sein Leben sind spärlich. In Athen geboren und angeblich beim Baden im Piräus im Alter von 52 Jahren ertrunken, verfaßte er über einhundert Komödien, von denen erst seit Ende des 19. Jahrhunderts durch spektakuläre Papyrusfunde einzelne Dramen und größere Bruchstücke ans Licht kamen. Bezeugt sind enge Beziehungen zu den Philosophenschulen seiner Zeit: Er war Schüler Theophrasts, war mit Demetrius von Phaleron, einem anderen Theophrast-Schüler und zeitweiligen Regenten Athens, befreundet, vielleicht auch mit Epikur. Das empirische, auf die Fülle der Erscheinungen ausgerichtete Interesse des Peripatos – der Schule des Aristoteles – macht diese Affinität verständlich: Aristoteles’ Ethiken oder Theophrasts Charaktere zeigen ein nicht minder reiches Bild von menschlichen Verhaltensweisen und Ausprägungen als die Stücke des Komödiendichters. Indes, zwischen lehrhafter Form und dramatischer Darstellung besteht ein nicht geringer Unterschied. Wenn ein Jüngling zu Beginn eines Stückes von seiner philosophischen Bekehrung schwärmt und sie mit einem aristotelischen Vergleich als Erweckung zum wahren Leben preist, so wird diese Aussage durch die nach Gattungsgesetz zu erwartenden Irrtümer und Verwicklungen relativiert. M.s Komödien weisen vielfach Anspielungen auf Meinungen und Schriften des Peripatos auf, doch erscheinen philosophische Weisheiten auf der Bühne immer im Munde eines Protagonisten und damit in gebrochener Form: von leichter Ironie umspielt und in ihrer Gültigkeit relativiert.

Die Handlungsgegenstände der Komödie entstammen einem eng begrenzten Repertoire. Immer verfolgt jemand ein Ziel und findet eine Grenze an anderen Interessen oder an falsch eingeschätzten Umständen. Was durch dieses Grundschema mit seinen unerwarteten Zufällen ins Werk gesetzt und dem Zuschauer aus allwissender Perspektive zu verfolgen erlaubt wird, ist die Erfahrung von Kontingenz. Eben in der Frage, wie man sich angesichts der kontingenten Wirklichkeit verhalten solle, konvergieren auch die philosophischen Systeme des Hellenismus. Während jedoch jene einer reinen Individualethik und dem Ideal der Autarkie zuneigen, führt M.s Komödie gerade die soziale Dimension des Handelns und Erlebens vor Augen. Wenn im Dyskolos ein alter Griesgram in einen Brunnen fällt und erst durch fremde Hilfe wieder herauskommt, so demonstriert er damit auf seine Weise den aristotelischen Grundsatz, der Mensch sei ein »zóon politikṓn«.

Maximen wie die folgende: »Niemals ist etwas ungerechter als ein unerfahrener Mensch, der nur für richtig hält, was er selbst getan hat«, oder die berühmteste aller Gnomen: »Wie liebenswürdig ist der Mensch, wenn er ein Mensch ist« weisen auf die antidogmatische Haltung und die Distanz leisen Lächelns, die aus M. spricht. Mit den Worten Plutarchs: »Wie auf eine blumige Wiese mit Schatten und wehenden Lüften führt er das Denken.«

Nesselrath, Heinz-Günther: Art. »Menandros«. In: Der Neue Pauly. Stuttgart/Weimar 1996ff., Bd. 7, Sp. 293–301. – Zagagi, Netta: The Comedy of Menander. Convention, Variation and Originality. London 1994. – Vogt-Spira, Gregor: Dramaturgie des Zufalls. Tyche und Handeln in der Komödie Menanders. München 1992. – Lefèvre, Eckard: Menander. In: Das griechische Drama. Hg. von G. A. Seeck. Darmstadt 1979. – Gaiser, Konrad: Menander und der Peripatos. In: Antike und Abendland 13 (1967).

Gregor Vogt-Spira

  • Die Autoren
Herausgegeben von Bernd Lutz

Albert, Claudia (Berlin): Ariès, Diderot, Elias, Jonas, Ricoeur
Altmayer, Claus (Saarbrücken): Garve
Arend, Elisabeth (Bremen): Bourdieu, Durkheim, Ficino
Askani, Hans-Christoph (Paris): Bultmann, Lévinas, Rosenzweig
Bachmaier, Helmut (Konstanz): Herodot, Simmel
Baecker, Dirk (Witten/Herdecke): Baudrillard
Baltzer, Ulrich (München): Searle
Baumhauer, Otto A. (Bremen): Gorgias, Hippias, Prodikos, Protagoras
Beierwaltes, Werner (München): Proklos Diadochos
Benz, Hubert (Marburg): Iamblichos
Berger, Siegfried (Köln): Comte
Bergfleth, Gerd (Tübingen): Bataille
Bernard, Wolfgang (Rostock): Alexander von Aphrodisias, Nikomachos
Berressem, Hanjo (Aachen): Guattari
Beutel, Albrecht (Münster): Luther
Böhlke, Effi (Berlin): Berdjaev, Solov’ëv, Tocqueville
Boin, Manfred (Köln): Fichte
Borkopp, Peter (London): Schleiermacher
Bormann, Claus von (Bielefeld): Lacan, Lévi-Strauss
Brede, Werner (München): Plessner
Breidbach, Olaf (Jena): Oken
Deitz, Luc (Luxemburg): Antisthenes, Euklid, Kleanthes, Ptolemaios, Sextus Empiricus
Demmerling, Christoph (Dresden): Austin, Bolzano, Carnap, Chomsky, Feyerabend, Kripke, Kuhn, Ryle, Tugendhat
Dorowin, Hermann (Florenz): Ortega y Gasset
Dorsel, Andreas (Menlo Park, Cal.): Newton
Drechsler, Martin (Kreuzlingen): Anaxarch, Berkeley, Chrysippos, Schlick
Elsholz, Günter (Hamburg): Mill
Felten, Hans (Aachen): Saint-Simon
Fick, Monika (Aachen): Lessing
Fischer, Ernst Peter (Konstanz): Bohr, Darwin, Haeckel, Heisenberg, Helmholtz, Pauli, Piaget, Planck, Schrödinger
Fittkau, Ludger (Essen): Virilio
Flaßpöhler, Svenja (Münster): Butler
Früchtl, Josef (Münster): Rorty
Fülberth, Georg (Marburg): Bernstein, Luxemburg
Fütterer, Günther (Neusorg): Fromm
Gehring, Petra (Darmstadt): Serres
Gerhardt, Volker (Berlin): Kant
Gerl-Falkovitz, Hanna-Barbara (Dresden): Guardini
Gillies, Steven (Konstanz): Morris, Needham, Owen, Ricardo, D.F. Strauß
Gmünder, Ulrich (Caracas): Marcuse
Goldschmidt, Werner (Hamburg): Proudhon
Gönner, Gerhard (Bietigheim-Bissingen): Frege, Heraklit
Gosepath, Stefan (Berlin): Rawls
Gräfrath, Bernd (Essen): Hutcheson
Habermehl, Peter (Berlin): Anaxagoras, Anaximander, Augustinus, Boëthius, Clemens von Alexandria, Empedokles, Origenes, Parmenides, Philon von Alexandria, Pythagoras, Xenophanes, Zenon von Elea
Halfwassen, Jens (Heidelberg): Porphyrios
Hausmann, Frank-Rutger (Freiburg): Bodin, La Mettrie, Montesquieu
Heckl, Wolfgang M. (München): Einstein, Galilei
Heidrich, Christian: Kolakowski
Helferich, Christoph (Florenz): Croce, Gramsci, Hegel, Jung
Henckmann, Wolfhart (München): Bakunin, Scheler
Hildebrandt, Hans-Hagen (Essen): Grotius
Hoepner-Peña, Carola (Reichenau): Eriugena
Hoffmann, David Marc (Basel): Steiner
Hogemann, Friedrich (Bochum): Merleau-Ponty
Holenstein, Elmar (Zürich): Jakobson
Holtz, Sabine (Tübingen): Bonaventura
Holz, Hans Heinz (S. Abbondio): Lenin
Horst, Thomas (Stuttgart): Aristippos, Benjamin, Kierkegaard, Rickert
Horster, Detlef (Hannover): A. Adler, Aristoteles, Bloch, Habermas, Luhmann, Sokrates, Thomas von Kempen
Hose, Martin (München): Diogenes Laërtios
Hösle, Vittorio (Tübingen): Lullus
Hoyer, Ulrich (Münster): Gassendi
Hühn, Lore (Berlin): Schopenhauer
Hülle, Alexander (Stuttgart): Melanchthon, C.F. von Weizsäcker
Jamme, Christoph (Jena): Cassirer
Janowski, Franca (Stuttgart): Gentile
Jung, Thomas (Frankfurt am Main): Epiktet
Jung, Werner (Duisburg): Hartmann, Rosenkranz, Ruge
Kaegi, Dominic (Luzern): Heidegger
Kahl, Joachim (Marburg): Topitsch
Karge, Gesine (Berlin): Mach
Keil, Geert (Berlin): Apel, Strawson
Klein, Jürgen (Hamburg): Bacon
Knittel, Elisabeth (Allensbach): Voltaire
Knittel, Hermann (Allensbach): Seuse
Knopf, Jan (Karlsruhe): Korsch
Kocyba, Hermann (Frankfurt am Main): Deleuze
Köller, Wilhelm (Kassel): Peirce
König, Traugott (Frankfurt am Main): Barthes, Kojève, Sartre
Köpf, Ulrich (Tübingen): Bernhard von Clairvaux
Kraus, Manfred (Tübingen): Pyrrhon von Elis
Krauß, Henning (Augsburg): Beauvoir
Kreidt, Dietrich (Stuttgart): Thomasius
Krüger, Marlis (Bremen): Mannheim, Parsons
Kühnl, Reinhard (Marburg): Lukács, Marx/Engels, Spengler
Kulenkampff, Arend (Frankfurt am Main): Reid
Kytzler, Bernhard (Durban): Campanella, Cicero, Joachim da Fiore, Marc Aurel, Morus, Seneca, Xenophon
Laarmann, Matthias (Bochum): Heinrich von Gent
Lachmann, Rolf (Köln): Langer
Lambrecht, Lars (Hamburg): B. Bauer
Lang, Peter Christian (Frankfurt am Main): Adorno, Dilthey, Gadamer, Horkheimer, Plotin, Singer
Lazzari, Alessandro (Luzern): Reinhold
Lohmann, Hans-Martin (Heidelberg): Anders, Freud, Kautsky
Lunau, Martina (Tübingen): M. Mead, Toynbee
Lutz, Bernd (Stuttgart): Anselm von Canterbury, Jaspers, Löwith
Maas, Jörg F. (Hannover): Bayle, Danto, Goodman, Toulmin
Mai, Katharina (Stuttgart): Derrida
Martens, Ekkehard (Hamburg): Platon
Maser, Peter (Telgte): Buber, Scholem
Maurer, Ernstpeter (Dortmund): Quine, Wittgenstein
Meckel, Wolfgang (Staffel): Abaelard, Averroës, Avicenna, Maimonides, Ockham
Mehring, Reinhard (Berlin): Kelsen, Schmitt
Meier, Albert (Kiel): Holbach
Meier, Heinrich (München): L. Strauss
Mensching, Günther (Hamburg): Duns Scotus
Meuter, Norbert (Berlin): MacIntyre
Meyer, Thomas (Dortmund): Nelson
Mohl, Ernst Theodor (Seeheim-Jugenheim): Heß
Münch, Dieter (Berlin): Brentano
Neumann, Sabine (Münster): Flusser
Ollig, Hans-Ludwig (Frankfurt am Main): Cohen, Natorp, Riehl, Windelband
Opitz, Peter J. (München): Voegelin
Peter, Niklaus (Riehen/Basel): Overbeck
Pietsch, Christian (Mainz): Dionysius Areopagita
Pollmann, Karla (St. Andrews): Prudentius
Prechtl, Peter (München): Bentham, Dewey, Hume, James, G.H. Mead, Nussbaum, A. Smith, Taylor
Pries, Christine (Frankfurt am Main): Lyotard
Prill, Ulrich (Münster): Bachelard, Klossowski, Malebranche, Spinoza
Raab, Jürgen (Konstanz): Sennett
Raffelt, Albert (Freiburg): Blondel, Rahner
Rentsch, Thomas (Dresden): Husserl, Lask, Simmel, Suárez
Reschke, Renate (Berlin): Nietzsche
Richter, Mathias (Berlin): Castoriadis, Gorz
Rohr, Barbara (Bremen): Weil
Rommel, Bettina (Freiburg): Alembert, Condillac, Condorcet, Taine
Roughley, Neil (Konstanz): Gehlen
Sandkühler, Hans Jörg (Bremen): Dühring, Labriola, Plechanow, Schelling
Schäfer, Thomas (Berlin): Althusser, Foucault
Scherer, Georg (Oberhausen): Al-Farabi, Pieper, Stein, Thomas von Aquin
Schmidt-Biggemann, Wilhelm (Berlin): Leibniz, Pascal
Schmitz, Bettina (Würzburg): Irigaray, Kristeva
Schmitz, Matthias (Hamburg): Arendt, Herder, W. von Humboldt, Montaigne, Rousseau
Schneider, Thomas (Linsengericht): Hobbes, Locke, Machiavelli
Scholten, Clemens (Köln): Johannes Philoponos
Schönberger, Rolf (Regensburg): Buridanus
Schönwälder, Karen (London): Babeuf
Schorpp, Maria (Konstanz): Popper
Schürgers, Norbert J. (Lauf a. d.Pr.): M. Adler, Russell
Schwab, Hans-Rüdiger (Münster): Albertus Magnus, F. von Baader, L. Büchner, Erasmus von Rotterdam, Hemsterhuis, Reuchlin, Schweitzer
Semler, Christian (Berlin): Heller
Soeffner, Hans-Georg (Konstanz): Goffman
Stoecker, Ralf (Bielefeld): Davidson
Tenigl, Franz (Wien): Klages
Thaidigsmann, Edgar (Ravensburg): Barth, Tillich
Theisen, Joachim (Nea Kifissia/Athen): Meister Eckhart, Tauler
Thiel, Rainer (Marburg): Simplikios
Thoma, Heinz (Halle): Helvétius
Thunecke, Inka (Berlin): Camus
Ulrich, Jörg (Kiel): Hildegard von Bingen
Vietta, Silvio (Hildesheim): Vico
Villwock, Jörg (Niederhausen/Ts.): Blumenberg
Vogt-Spira, Gregor (Greifswald): Menander, Theophrast
Vöhler, Martin (Berlin): Longinos
Voigt, Uwe (Bamberg): Comenius
Vollhardt, Friedrich (Hamburg/Gießen): F. H. Jacobi, Mandeville, Mendelssohn, Shaftesbury
Waszek, Norbert (Paris): Stirner
Weber, Walter (Bremen): Baumgarten, Reimarus, Teilhard de Chardin, Wolff
Weinmann, Martin (Wiesbaden): Bergson
Weiß, Johannes (Kassel): Weber
Welsch, Wolfgang (Magdeburg): Lyotard
Werner, Reinold (Paris): Böhme, Marcel, Nikolaus von Kues
Wetzel, Michael (Bonn): Derrida
Wichmann, Thomas (Berlin): Descartes, Saussure
Wild, Reiner (Mannheim): Hamann
Willaschek, Marcus (Münster): Putnam
Winter, Michael (Koblenz): Fourier, Paine, Sade
Wohlrapp, Harald (Hamburg): Lorenzen
Wolf, Frieder Otto (Berlin): Ferguson, Goldmann, Lefebvre
Wörther, Matthias (München): Kepler, Kopernikus, Whitehead
Wüstehube, Axel (Münster): Moore
Zacher, Klaus-Dieter (Berlin): Demokrit, Epikur, Leukipp, Lukrez, Plutarch
Zeidler, Lothar (Edison/New York): Spencer
Zimmer, Jörg (Girona): Holz
Zimmermann, Bernhard (Konstanz): Anaximenes, Antiphon, Diogenes von Sinope, Kritias, Thales
Zimmermann, Wolfgang (Tübingen): Bruno, Calvin, Pico della Mirandola, Weigel
Zinser, Hartmut (Berlin): Feuerbach

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