Metzler Philosophen-Lexikon: Newton, Isaac
Geb. 4. 1. 1643 in Woolsthorpe/Lincolnshire;
gest. 31. 3. 1727 in Kensington
Nach dem zu seinen Lebzeiten in England gültigen Julianischen Kalender war N. ein Weihnachtskind – die Umstellung auf den Gregorianischen Kalender erfolgte erst 1752. Obwohl der als Frühgeburt zur Welt gekommene Isaac als klein und schwach galt, erreichte er das für damalige Zeit beträchtliche Alter von fast 84 Jahren. Schon bei seiner Geburt war N. Halbwaise: Der Vater, ein Landwirt, war einige Wochen zuvor verstorben, und so wurde die Erziehung N.s neben der Mutter Anna Ayscough vom Stiefvater Barnabas Smith sowie vor allem auch von den Großeltern bestimmt. Mit 12 Jahren wurde N. auf die Lateinschule in Grantham geschickt, wo er beim Apotheker Clark in Pension lebte. In der Schule fiel er zunächst eher durch sein Außenseitertum als durch überragende Leistungen auf, und so wurde er 1658, zwei Jahre nach dem Tode seines Stiefvaters, von der Mutter von der Schule genommen, um als Hilfe auf den Hof in Woolsthorpe zu kommen. Es war wohl im wesentlichen der Fürsprache eines Onkels zu danken, daß er, der mit Landwirtschaft nichts Rechtes anzufangen wußte, 1660 wieder auf die Schule nach Grantham und im folgenden Jahr ins Trinity College von Cambridge kam. Die Schule vermittelte ihm die damals für den Universitätsbesuch notwendigen Vorkenntnisse: Mathematik, Latein und Religion. Die Anregung zum Universitätsstudium ging dabei vom Schulleiter Henry Stokes aus, was für eine erste Wandlung des jungen N. spricht. In Trinity wurde er zunächst als »subserver«, als bezahlter Diener, im College aufgenommen. Die ersten zwei Jahre waren dem Studium von Arithmetik, euklidischer Geometrie, Trigonometrie einerseits sowie der Theologie, des Hebräischen, Griechischen und vor allem des Lateinischen gewidmet. In dieser Zeit lernte N. auch seinen wichtigsten Lehrer, den Lukas-Stiftungsprofessor Isaac Barrow kennen, dessen Lehrstuhl er als Nachfolger und in neuerer Zeit Paul Dirac bekleidete. In Cambridge verbrachte N. die nächsten Jahre, in denen er die Grundlage für die meisten seiner Beiträge zur Physik, die damals noch als Naturphilosophie firmierte, schaffen sollte. Nur während der Schließung des College aufgrund der Pestepidemie im Jahre 1665 und in den Sommermonaten der beiden folgenden Jahre weilte er in seinem Heimatort, wo aber seine Experimente und theoretischen Untersuchungen fortgeführt wurden. N. leistete dabei in einer Vielzahl von Disziplinen wesentliche Beiträge, so in der Optik, der (Himmels-)Mechanik, der Mathematik, war aber auch auf dem Gebiet der Metallurgie, der Chemie und Alchemie, ja auch der Theologie intensiv tätig. Auch der äußerliche Erfolg blieb ihm neben diesen meist erst wesentlich später veröffentlichten Entdeckungen nicht verwehrt: 1669 trat sein Lehrer Barrow, den er schon früher bei seinen Vorlesungen unterstützt hatte, zu N.s Gunsten von seiner Professur zurück.
Eine seiner wichtigsten Leistungen bestand in der Begründung der von ihm Fluxionsrechnung genannten Differentialrechnung, die später zu einem mehr von den Anhängern als den Forschern selbst initiierten Prioritätsstreit mit Leibniz führen sollte. N.s Akribie ließ ihn oft die Veröffentlichung seiner Ergebnisse lange hinauszögern, so daß zum Beispiel The Method of Fluxions and Infinite Series erst 1736 posthum erschien. In diese fruchtbaren Jahre fallen auch N.s bahnbrechende Gedanken zur Gravitation: Aus den Keplerschen Gesetzen schloß er auf eine mit dem Quadrat des Abstandes abfallende Anziehungskraft zwischen Sonne und Planeten und forderte, daß eben diese Kraft auch zwischen beliebigen Massen wirken sollte; die Anekdote, daß ein vom Baume fallender Apfel die Anregung zu dieser Idee geliefert habe, wurde schon von Zeitgenossen überliefert. Die Anwendung seines Gravitationsgesetzes auf das System Erde-Mond wurde dabei unter anderem auch von Robert Hooke angeregt, aber erst die Messungen von Picard gestatteten eine quantitative Analyse. Das positive Ergebnis soll N. so erschüttert haben, daß er einen Freund bitten mußte, seine Rechnungen zu überprüfen. Als wichtigster Beitrag N.s zur Physik darf die Begründung der theoretischen Mechanik gelten: Aufbauend auf seinen drei Axiomen leitete er die Grundgesetze der Mechanik ab, die erst im 20. Jahrhundert modifiziert wurden und deren Geltungsbereich durch diese Verallgemeinerungen und Relativierungen auch nur geringfügig eingeschränkt wurde. Die Resultate dieser Studien erschienen 1687 in N.s Hauptwerk Philosophiae naturalis principia mathematica (Die mathematischen Grundlagen der Naturphilosophie); dieses Buch war in Latein, der damals der internationalen Verständigung dienenden Gelehrtensprache, abgefaßt und machte noch eine weitere wichtige Konzession an N.s Zeit: Anstatt die von ihm entwickelte Fluxionsrechnung anzuwenden, zog N. eine geometrische Herleitung seiner Sätze vor, da er fürchtete, die neue, noch kaum bekannte Rechenmethode könne die Leser von der ohnehin schwierigen Aneignung seiner Gedanken abhalten, während die geometrische Betrachtungsweise zur naturwissenschaftlichen Grundbildung gehörte. Erst nach seinem Tode erschien eine wohl für breitere Schichten gedachte englischsprachige Ausgabe dieses Werkes. Hatte Galilei sich noch mit der Untersuchung von Einzelphänomenen begnügen müssen, so war es N.s große Leistung, der systematischen Wissenschaft auch gleich ein Programm zu geben: Die systematische Rückführung der Erscheinungen auf die grundlegenden Ursachen verlangt, »die Wissenschaft von der Natur durch exakte Beweise (zu) fördern«. Mit Hilfe der Gravitation konnte er nicht nur Fall- und Pendelgesetze herleiten, auch die Planeten- und Kometenbahnen und die Gezeiten wurden durch ihn erschlossen. Sein klassischer Satz »Hypotheses non fingo«, die Absage an eine rein spekulative Naturbetrachtung, ist oft – auch wegen gewandelten Sprachgebrauchs – mißinterpretiert worden; tatsächlich hat N. die wissenschaftliche Hypothese heutigen Verständnisses, bei ihm »causa ficta« genannt, anerkannt und benutzt.
Auch die Optik wurde von ihm entscheidend beeinflußt: Hatte N. die Mechanik vor allem durch seine mathematische Behandlung verwandelt, so sticht im Bereich der Optik die Vielzahl von Experimenten ins Auge, die ihn als Begründer der experimentellen Methode, der Empirie, ausweisen. 1689 traf er mit John Locke zusammen, mit dem gemeinsam er in der Folgezeit einige Staatsämter bekleiden sollte. Die metallurgischen Untersuchungen N.s waren denn auch zum Teil durch seine optischen Versuche angeregt: So experimentierte er längere Zeit mit verschiedenen Legierungen für Metallspiegel. Er entdeckte die Dispersion und erkannte die Zusammensetzung weißen Lichtes aus den verschiedenen Spektralfarben; allerdings versuchte er, diese mit einer Korpuskulartheorie zu erklären, die er geeignet modifizierte, um auch Beugungs- und Interferenzphänomene einbeziehen zu können. Im letzten Teil seiner 1704 erschienen Opticks fragt er: »Haben nicht die Lichtstrahlen verschiedene Seiten?« und kommt so im spekulativen Teil dieses Buches zur Vorstellung der Polarisation.
Seine – irrtümliche – Ansicht, eine Abbildung ohne Farbfehler sei mit Linsen nicht möglich, brachte ihn dazu, sich mit dem Bau von Spiegelteleskopen zu beschäftigen, und es war auch die Übersendung eines solchen von ihm selbst konstruierten Fernrohrs an König Karl II. im Jahre 1671, die ihm die Aufnahme in die wenige Jahre zuvor gegründete Royal Society einbrachte, deren wohl bekanntester Präsident er von 1703 bis zu seinem Lebensende wurde. Hier traf er neben Isaac Barrow Persönlichkeiten wie Robert Boyle, Robert Hooke, Christiaan Huygens, John Locke und Christopher Wren. Hooke verfocht eine Undulationstheorie des Lichtes und wurde aus diesem Grunde wie auch aufgrund eines Prioritätsstreites zu einem der wichtigsten Gegner N. s. Huygens hatte ähnliche Ansichten, was N. bewogen haben mag, mehrmals Austrittsgesuche an den Sekretär der Society, Oldenburg, zu richten. Daß zum Teil auch die reizbare Natur N.s zu Auseinandersetzungen Anlaß bot, wird man kaum bestreiten können. – Nicht nur als Begründer der modernen Naturwissenschaft machte er sich einen Namen: 1696 wurde N. auf Betreiben seiner Freunde zum Münzwardein berufen. Auf dem Kontinent war gerade erst die Zeit der Kipper und Wipper endgültig vorbei, aber nicht nur in England waren das Beschneiden der Münzränder ebenso wie das Falschmünzertum weiterhin gang und gäbe. N. bewies hier vor allem ein beachtliches Organisationstalent: Um das Beschneiden der Münzen zu erschweren, wurde im Rahmen einer binnen weniger Jahre durchgeführten Umprägung der umlaufenden Währung die Randprägung der Münzen mit Erfolg eingeführt. Das großzügige Gehalt, das die Stellung an der königlichen Münze mit sich brachte, gestattete N., der stets sparsam, wenn auch gastfrei war, ein beträchtliches Vermögen zu sammeln. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er wiederholt Beschwerden aufgrund von Gallensteinen und wegen eines Blasenleidens. Am 4. März 1727 warfen ihn heftige Gallenkoliken (?) aufs Krankenlager; obwohl zunächst vieles auf eine Genesung hinwies, verfiel er abends in Bewußtlosigkeit und verschied in der Nacht vom 20. auf den 21. März.
Westfall, Richard S.: The Life of Isaac Newton. Cambridge 1993. – Freudenthal, Gideon: Atom und Individuum im Zeitalter Newtons. Zur Genese der mechanistischen Natur- und Sozialphilosophie. Frankfurt am Main 1982. – Koyré, Alexandre: Von der geschlossenen Welt zum unendlichen Universum. Frankfurt am Main 1969. – Wawilow, Sergej Iwanowitsch: Isaac Newton. Berlin 1951.
Andreas Dorsel
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