Metzler Philosophen-Lexikon: Smith, Adam
Geb. 5. 6. 1723 in Kirkcaldy (Schottland);
gest. 17. 7. 1790 in Edinburgh
Bis in die Gegenwart dauert sein Ansehen als Nationalökonom, das durch An Enquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations (1776; Der Wohlstand der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen) begründet wurde. Seine zeitgenössische Bedeutung als Moralphilosoph geriet jedoch allmählich in den Hintergrund. Francis Hutcheson, sein Lehrer am Glasgower College, motivierte sein philosophisches Interesse durch moralphilosophische Fragestellungen. Unter seinem Einfluß gelangte S. zu der grundsätzlich optimistischen Einstellung, die Welt im Ganzen positiv zu verstehen. Zu Francis Hutcheson, dem in der damaligen Zeit wohl namhaftesten Moralphilosophen, hielt er auch in den Oxforder Studienjahren von 1740 bis 1746 den Kontakt aufrecht. Über ihn erlangte er frühzeitig Kenntnis von David Humes Treatise of Human Nature. Über die vielfache philosophische Anregung hinaus, die er aus Humes Denken gewann, entwickelte sich zu diesem eine intensive persönliche Freundschaft. Nachdem S. 1751 zunächst Professor für Logik an der Glasgower Universität wurde und zwei Jahre später die Stelle seines Lehrers Hutcheson übernommen hatte, arbeitete er sein erstes großes Werk The Theory of Moral Sentiments (1759; Theorie der ethischen Gefühle) aus, das ihm Anerkennung weit über die Grenzen Schottlands hinaus einbrachte.
In methodischer Hinsicht orientierte er sich – wie Hume – an Newton. Ähnlich den naturwissenschaftlichen Ordnungsprinzipien sollte auch die Moralphilosophie für die Maximen des Alltagslebens ein übergeordnetes Prinzip angeben können, aus dem moralische Zusammenhänge begreiflich werden. Seine Nähe zu Hume zeigt sich darin, daß er diese Grundlegung in der menschlichen Natur suchte. Mit zwei prinzipiellen Fragen grenzt S. das Kriterium des Sittlichen ein: – Welches ist das Prinzip (bzw. die Grundkraft), das uns gewisse Handlungen als sittlich wertvoll oder wertlos erscheinen läßt? – Welches Verhalten verdient sittliche Billigung? Das für die Moral bedeutsame naturhafte Moment im Menschen ist das Gefühl der Sympathie. Damit meint er nicht eine durchgängig positive, wohlwollende Einstellung gegenüber jeder anderen Person, sondern vielmehr die Gemütsbewegungen eines Zuschauers, der sich von den Empfindungen eines Betroffenen oder Handelnden ein Bild macht. Dieses sympathetische Gefühl entwickelt sich also nicht durch Einfühlsamkeit, sondern durch unser Vorstellungsvermögen. Deshalb können wir uns auch auf Menschen ganz allgemein, unabhängig von unserer näheren Umgebung beziehen. Umschreibt man Sympathie mit affektiver Resonanz, dann wird damit deutlicher charakterisiert, daß die gefühlhafte Reaktion auf die Affekte anderer gemeint ist. S. bezieht damit Stellung gegen Thomas Hobbes und Bernard de Mandeville, die den Egoismus als grundlegende Triebkraft für Moralität angegeben hatten. Zwar bilden nur Sympathie-Gefühle die Richtschnur unserer moralischen Wertungen, aber sie sind noch nicht das vollständige Kriterium moralischer Bewertungen. Für S. hängt die moralische Billigung ab von der Übereinstimmung zwischen den Gefühlen eines Handelnden mit denen eines angenommenen neutralen Beobachters. Erst mit dieser neutralen Position ist die notwendige Bedingung für die Allgemeingültigkeit moralischer Urteile und auch die nötige Verbindlichkeit erreicht.
Die Theory of Moral Sentiments fand einhellige Anerkennung. Neben dem lobenden Zuspruch Humes erfuhr diese Schrift eine positive Besprechung durch Edmund Burke. Ein Rezensent beschrieb S. als »einen der elegantesten und anziehendsten Schriftsteller auf dem Gebiet der Ethik«. In wenigen Monaten war ein Großteil der Auflage verkauft, zwischen 1761 und 1790 erreichte er sechs Auflagen. 1764 wurde die erste französische Übersetzung veröffentlicht, ab 1770 erschienen mehrere deutsche Übersetzungen. Bereits 1763 erwähnt Lessing die Theory in seinem Laokoon, Herder zitiert S. in seinen Kritischen Wäldern. Kants Ausführungen zum »Gemeinsinn« und seine anthropologischen Reflexionen zum »gemeinschaftlichen Gesichtspunkt« bezeugen den Einfluß von S.; Max Schelers Wesen und Formen der Sympathie bezieht sich in wesentlichen Punkten auf diese moralphilosophische Theorie.
Sein Ruhm als Moralphilosoph brachte S. auch das Angebot eines Reisebegleiters und Lehrers des jungen Herzogs von Buccleugh ein. Nach dreizehn Jahren der Lehrtätigkeit an der Universität übernahm er seine neue Anstellung, die ihm zeitlebens ein hohes Einkommen sicherte. Während der mehr als zweijährigen Reise durch Frankreich (von 1764 bis 1766) konnte er zahlreiche Kontakte zu Repräsentanten der dort herrschenden philosophischen und politischen Strömungen knüpfen: zu dem Enzyklopädisten d’Alembert, dem Materialisten Holbach, zu Helvétius und zu Turgot und Quesnay, den beiden Vertretern der ökonomischen Theorie der Physiokraten.
Elf Jahre nach seiner Privatlehrertätigkeit veröffentlichte er sein nationalökonomisches Werk Wealth of Nations. Die darin enthaltenen Überlegungen sind von drei Prinzipien getragen: – Bekämpfung des Merkantilsystems und Betonung der Handelsfreiheit, – Tauschgesellschaft, – Arbeitsteilung. Damit trug er wesentlich zur Entwicklung der liberalen Ökonomie im 19. Jahrhundert bei. Aber nicht nur David Ricardo und John Stuart Mill konnten auf ihn zurückgreifen, auch Karl Marx verdankt wesentliche Einsichten zu Tauschwert, Funktion des Geldes und Arbeitsteilung den Ausführungen von S.
Gegen das Merkantilsystem gerichtet war seine Forderung, den Reichtum nicht in der Anhäufung von Geld, d.h. der Edelmetallmenge, zu suchen, sondern das Volkseinkommen und die Produktivitätssteigerung zur Grundlage der Bewertung zu machen. Die eigennützige Sophistik der Kaufleute und Fabrikanten habe den gesunden Menschenverstand verwirrt, hält er den Merkantilisten entgegen, so daß Eigeninteresse und volkswirtschaftlicher Wohlstand nicht zur Deckung kommen. Nicht wo Eigennutz zur Beschränkung der anderen führt, sondern wo jeder uneingeschränkt seinem Interesse nachgeht, möglichst hohe Rendite zu erzielen, wird ein volkswirtschaftliches Optimum zum Vorteil aller erreicht. Seine Kritik gipfelt in dem sozialpolitischen Vorwurf, daß der Merkantilismus nur den Vorteil der Manufakturbesitzer, nicht den der Verbraucher zuläßt. Die sozialphilosophische Komponente seiner Ökonomie scheint in den Prinzipien der Tauschgesellschaft und der Arbeitsteilung durch. Daß Egoismus dem sozialen Verband nicht abträglich sein muß, zeigt sich für ihn in der »natürlichen Neigung« zum Tauschen: »Gib mir, was ich brauche, und du sollst haben, was du brauchst.« Die Teilung der Arbeit ist gleichsam die Kehrseite des Tauschprinzips. Sie führt einerseits zu Produktion über den eigenen Bedarf hinaus, andererseits ermöglicht sie sowohl weitere Differenzierungen der menschlichen Fähigkeiten als auch deren Zusammenwirken – eben über die Tauschbeziehung. Hiermit formuliert er die für Ricardo und Marx bedeutsame These, daß der Wert der Arbeit den universalen Maßstab für den Tauschwert bilde.
Dieser scharfsinnigen ökonomischen Analyse zum Trotz sieht S. menschliches Verhalten nicht im Sinne der Rationalisten in Vernunfteinsichten begründet, sondern er gibt als Basis der Regeln wirtschaftlicher Tätigkeit die von Gott geschaffene menschliche Natur mit ihrer Triebausstattung an. Zu dieser Natur gehört neben dem Sympathiegefühl auch die Selbstliebe. Das Verlangen des Menschen nach seinem eigenen Glück und persönlichen Vorteil stellt seiner Meinung nach ein lobenswertes Prinzip des Handelns dar. Darin geht er durchaus mit Hutcheson und Hume konform. Seine Annahmen der Harmonie und des Ausgleichs der Einzelinteressen bilden das zentrale Argument dafür, daß trotz der egoistischen Handlungsmotive des einzelnen der Wohlstand der Allgemeinheit nicht in Frage steht.
Bereits sechs Monate nach Veröffentlichung war sein Werk vergriffen. Zahlreiche französische und deutsche Übersetzungen sorgten für seine Verbreitung auf dem Kontinent. Während sich mit dieser Arbeit die Reputation von S. als bedeutendem Nationalökonomen steigerte, trug ihm eine andere Veröffentlichung scharfe Polemik ein – das Nachwort zu Humes Autobiographie. S. wollte darin in Form eines Briefes an seinen Verleger die Verehrung, welche er Hume als einem »vollkommenen Weisen« und »Tugendhaften« entgegenbrachte, deutlich machen. Dem häufig als Atheisten angegriffenen Hume wollte man ein solches Lob auch nach seinem Tod nicht zubilligen. Diese Schmähschriften hatten für S. aber keine persönlich nachteiligen Folgen. Im Gegenteil: 1777 wurde er zum Mitglied der königlichen Zollkommission für Schottland ernannt. Der damalige Schatzkanzler hatte sich bereits S.s Grundsätze bei der Erstellung des Staatsbudgets zunutze gemacht. Erfahrungen in seinem neuen Amt konnte S. für wichtige Nachsätze in seinem nationalökonomischen Werk auswerten. Während seiner letzten Jahre widmete sich S. fast ausschließlich der Umarbeitung und Ergänzung der Theory of Moral Sentiments. 1787 ehrte ihn seine alte Universität in Glasgow mit der Wahl zum Lord Rector.
Das Interesse an den Theorien von S. hielt nach seinem Tode noch an. Fünf Jahre später wurden die Essays of Philosophical Subjects veröffentlicht, in denen er die Philosophie als Wissenschaft von den Verknüpfungsprinzipien der Natur charakterisierte. Im Einklang mit Hume sah er es als Leistung der Einbildungskraft an, zunächst unverbundene Tatsachen bzw. Ereignisse in einen Zusammenhang zu bringen und dadurch begreiflich zu machen.
Hueber, Anton: Die philosophische und ethische Begründung des homo oeconomicus bei Adam Smith. Frankfurt am Main/Bern/New York 1991. – Raphael, David: Adam Smith. Frankfurt am Main/New York 1991. – Kurz, Heinz (Hg.): Adam Smith. Ein Werk und seine Wirkungsgeschichte. Marburg 21991. – Meyer-Faje, Arnold/Ulrich, Peter (Hg.): Der andere Adam Smith. Beiträge zur Neubestimmung von Ökonomie als Politischer Ökonomie. Bern/Stuttgart 1991.
Peter Prechtl
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