Metzler Lexikon Philosophie: Allgemeinheit – Besonderheit – Einzelheit
die drei methodologischen und inhaltlichen Bestimmungen des »reinen Begriffs« in der spekulativen Logik Hegels. Der »reine Begriff« ist das hinreichende Prinzip der Entwicklung aller Kategorien des Denkens. Mit der Interpretation des »reinen Begriffs« als apriorisch tätigem Prinzip der Erzeugung aller klassischen logischen und ontologischen Bestimmungen übernimmt Hegel Elemente der Philosophien von Kant einerseits und Fichte andererseits. Er folgt Kant, indem er den »reinen Begriff« als begriffliche Allgemeinheit denkt, der als Regel der Verknüpfung der Mannigfaltigkeit der Erfahrung begrifflicher Natur ist. Er folgt Fichte darin, diesem Prinzip Tätigkeit zuzusprechen, die als synthetisch apriorisches Erzeugen (»setzen«) von Bestimmungen (»Kategorien«) gedacht werden muss. Abgelehnt wird dagegen Kants dualistische Auffassung, dass diese Allgemeinheit lediglich formalen Charakter habe und durch die sinnliche Mannigfaltigkeit der Erfahrung inhaltlich bestimmt werde. Hegel zufolge, der hier Fichte und Schelling zustimmt, muss man den »reinen Begriff« – ausgehend von Kants Begriff der produktiven Einbildungskraft – als Einheit von formaler und inhaltlicher Bestimmung denken. Andererseits aber kritisiert Hegel auch die Auffassung (vor allem Schellings), dass diese produktive Tätigkeit des »reinen Begriffs« als begriffslose Allgemeinheit der Anschauung aufgefasst wird. Hegels Position verlangt somit, den »reinen Begriff« als tätiges Prinzip der sowohl logisch formellen wie inhaltlich anschaulichen Erzeugung aller Kategorien und damit als Selbstbestimmung und Selbstdifferenzierung zu denken. – Hegels Begriff der Allgemeinheit ist daher nicht der einer abstrakten Allgemeinheit, die das Gemeinsame einer Menge von Mannigfaltigem bezeichnet, sondern die Einheitsstruktur des »reinen Begriffs« selbst als Subjekt in der Mannigfaltigkeit seiner Erfahrungsinhalte. Als diese Einheit in einem Mannigfaltigen ist der »reine Begriff« Totalität, oder wie Hegel auch sagt, »konkrete Allgemeinheit«. Die kategorienerzeugende Tätigkeit des »reinen Begriffs« hat die Struktur der Negation der Negation. Als selbstnegierendes Prinzip bringt der »reine Begriff« besondere Inhalte hervor, die als Negationen seiner eigenen Allgemeinheit Besonderungen und inhaltliche Bestimmungen sind. In dieser Hinsicht – als sich selbst bestimmendes, seine Allgemeinheit negierendes Prinzip – wird der »reine Begriff« als Besonderheit gedacht. Allgemeinheit und Besonderheit sind entgegengesetzte Bestimmungen des »reinen Begriffs«, die dieser qua sich selbst bestimmender und differenzierender Tätigkeit (»Negativität« bei Hegel) selbst erzeugt. Da nach Hegels Auffassung dieses Erzeugen und Entgegensetzen als die eigene Tätigkeit des »reinen Begriffs« gedacht werden muss, wird diese Selbstbegrenzung und inhaltliche Bestimmung (= Negation) in der Bewegung der Aufhebung in ihrem negativen Charakter ihrerseits negiert (= Negation der Negation). In dieser Aufhebungsbewegung, die die Produktivität der Negation der Negation voraussetzt, wird der »reine Begriff« als Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit gedacht. Diese Einheit ist die Bedeutung von Einzelheit bei Hegel. Bezeichnet wird damit die immanente Negativität der Subjektivität qua Selbstbestimmung und -beschränkung aufhebender, integrierender Einheit eines Subjekts, das sich in einer selbstgesetzten Mannigfaltigkeit von Besonderheiten selbst als konkrete Allgemeinheit, d.h. als inhaltlich und formal autonomes Allgemeines manifestiert. Einzelheit ist damit keine dritte Bestimmung neben der Allgemeinheit und Besonderheit, sondern die spekulativ gedeutete Einheit der produktiven Tätigkeit des »reinen Begriffs«. Sie stellt Hegels »Aufhebung« der Ansätze von Kant, Fichte und Schelling dar.
Literatur:
- G. W. F. Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. 31830. § 163–165
- Ders.: Wissenschaft der Logik. 2. Teil. 3. Buch. 1. Abschnitt. 1. Kap.: »Der Begriff«.
MQ
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