Metzler Lexikon Philosophie: Angst
als psychophysisches Phänomen das Auftreten beklemmender, nicht objektspezifischer seelischer und körperlicher Zustände. Im philosophischen Kontext gewinnt der Begriff vor allem im existentiellen Denken als eine Grundbefindlichkeit menschlichen Seins zentrale Bedeutung. Bei Kierkegaard ist A. (wie Verzweiflung) eine Weise des Selbstverhältnisses des Geistes. Ausgehend vom christlichen Begriff der Erbsünde begreift Kierkegaard den Zustand der Unschuld als unmittelbare Einheit von Leib und Seele, in der der Geist nur »träumend« anwesend ist. Die Befindlichkeit des träumenden Geistes ist A., denn er plant seine eigene Wirklichkeit als Möglichkeit der Freiheit, die aber solange nichts ist, als der Geist sich nicht selbst gesetzt hat. Dieses Nichts ist der Gegenstand der A., wozu sich der Geist im Zwiespalt »antipathetischer Sympathie und sympathetischer Antipathie« verhält. Mit der Selbstsetzung des Geistes (Freiheit) bricht der Gegensatz von Leib und Seele auf und die A. beruht nun auf der Möglichkeit der Verstrickung in immer größere Schuld. – In der Daseinsanalytik Heideggers stellt A. eine Grundbefindlichkeit dar, die das Dasein vor sich selbst und seine eigenen Möglichkeiten bringt. »Die Angst offenbart im Dasein das Sein zum eigensten Seinkönnen, das heißt Freisein für die Freiheit des Sich-selbst-wählens und -ergreifens« (Sein und Zeit, § 40). Das Wovor der A. ist das In-der-Weltsein als solches. In ihr wird der Mensch radikal auf sich selbst zurückgeworfen und aus der Verfallenheit an das »Man« befreit. Sie eröffnet ihm seine Endlichkeit und offenbart sein Sein als ein »Sein zum Tode«. Das »Vorlaufen« in diese äußerste Möglichkeit bringt das Dasein dahin, sich in seiner Ganzheit zu begreifen. – Für Sartre ist die A. das Bewusstsein der Freiheit des Menschen, der für seine Entscheidungen selbst verantwortlich ist, ohne Rückhalt an transzendenten Sinnvorgaben. Im existenzphilosophischen Sprachgebrauch wird zwischen A. und Furcht unterschieden, wobei Letztere ein konkretes innerweltliches Objekt hat, an dem sie sich entzündet, während A. eine Weise des Selbstverhältnisses des Menschen in Hinsicht auf sein In-der-Welt-Sein darstellt.
Innerhalb der psychoanalytischen Theorie Freuds wird die Bedeutung der A. besonders im Zusammenhang der Genese neurotischer Störungen behandelt. Freud unterscheidet zwischen Realangst vor Bedrohungen der Außenwelt, die der Aktivierung von Abwehrreaktionen dient, der Gewissensangst, die aus Konflikten zwischen Handlung und Über-Ich-Normen entsteht und Triebangst vor der wahrgenommenen Triebstärke, die deren Unterdrückung bewirken soll. Die Formen der Angstabwehr können ihrerseits in spezifische Neurosen münden.
Literatur:
- H. v. Ditfurth (Hg.): Aspekte der Angst. Stuttgart 1965
- M. Heidegger: Sein und Zeit (Gesamtausgabe Bd. 2). Frankfurt 1977. § 40
- S. Freud: Studienausgabe Bd. VI. Frankfurt 1971
- S. Kierkegaard: Der Begriff Angst (Gesammelte Werke, Abt. 11/12)
- H. W. Krohne: Theorien zur Angst. Stuttgart u.a. 1976
- A. Künzli: Die Angst als abendländische Krankheit. Zürich 1948.
FPB
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