Metzler Lexikon Philosophie: Bewusstseinsphilosophie
Bezeichnung für die neuzeitliche Form des philosophischen Denkens. B. löst das metaphysisch-ontologische Modell des Philosophierens ab. Die Fraglichkeit der Erkennbarkeit des Seins nötigt die neuzeitliche Philosophie, die für wahre Erkenntnis als konstitutiv angenommene Übereinstimmung von Gegenstand und erkennendem Bewusstsein im Ausgang von den Leistungen des Bewusstseins zu rekonstruieren.
Die für die B. charakteristische Verinnerlichungstendenz tritt schon bei Augustinus zutage: Indem der Zweifelnde auf sich selbst reflektiere, werde er sich der Existenz seines Bewusstseins als Voraussetzung des Zweifelns gewiss. Bei Descartes erhält das »cogito ergo sum«-Argument systematischen Stellenwert für den Aufbau einer wissenschaftlichen Erkenntnis. Durch methodisches Herausreflektieren aus der öffentlichen Welt der Vorurteile könne im eigenen Bewusstsein ein absolut sicheres Erkenntnisfundament aufgefunden werden. In der Orientierung an einer evidenten Basis der Welterkenntnis im Bewusstsein kommen die beiden klassischen Strömungen der B. überein. Während der Rationalismus auf vermeintlich angeborene Ideen rekurriert, führt die Introspektion nach Ansicht des Empirismus auf Sinnesdaten als Grundmaterial für Erkenntnis. Zu einer »Aufhebung« von Rationalismus und Empirismus kommt es in der Transzendentalphilosophie Kants. Von der Frage ausgehend, wie Metaphysik möglich ist, zeigt Kant in der Kritik der reinen Vernunft, dass synthetische Urteile a priori nur im Bereich möglicher Erfahrung sinnvoll sind. Gültige Erfahrungserkenntnis werde konstituiert durch Kategorien (z.B. Kausalität) eines transzendentalen (Selbst-)Bewusstseins. Die transzendentale B. wird in der Folgezeit auf vielfache Weise fortgebildet (Fichte, Schelling, Hegel). Husserl bietet insofern eine Lösung für das bewusstseinsphilosophische Problem der Subjekt-Objekt-Spaltung an, als er auf die Intentionalitätsstruktur des Bewusstseins hinweist: Bewusstsein ist immer schon Bewusstsein von etwas. In Husserls transzendentaler Phänomenologie wird auch das die B. kennzeichnende Solipsismusproblem thematisch. Die B. glaubt den Anspruch auf autonome Erkenntnis dadurch sichern zu können, dass sie mittels Einklammerung aller faktischen Geltungen (epoché) auf ein vermeintlich völlig einsames, autarkes Bewusstsein (solus ipse) zurückreflektiert und Vernunfterkenntnis aus den von öffentlicher Kommunikation und gesellschaftlicher Interaktion unabhängigen Leistungen eines egologischen Bewusstseins bestimmt.
Die Grenze der B. wird am Problem der Intersubjektivität bzw. Fremderfahrung deutlich. Der Ausgang vom einsamen Bewusstsein beraubt die B. der Möglichkeit, intersubjektiven Sinn und intersubjektive Geltung verständlich zu machen. Darin liegt ein wesentlicher Grund für die von Heidegger und Wittgenstein eingeleitete hermeneutische und pragmatisch-linguistische Wende in der Philosophie.
Literatur:
- D. Böhler: Rekonstruktive Pragmatik. Von der Bewußtseinsphilosophie zur Kommunikationsreflexion. Frankfurt 1985
- H. Hastedt: Bewußtsein. In: E. Martens/H. Schnädelbach (Hg.): Philosophie. Ein Grundkurs. Bd. 2. Reinbek bei Hamburg 1991. S. 642–683
- E. Husserl: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge. Hua. I. Den Haag 1950
- G. Ryle: Der Begriff des Geistes. Stuttgart 1969.
HGR
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