Metzler Lexikon Philosophie: Deskription, deskriptive Methode
analytisches Verfahren, um komplexe Gegenstände in ihre natürlichen Einzelkomponenten, aus denen sie sich zusammensetzen, zu zerlegen, um die Komposition eines Ganzen aus seinen Elementen zu begreifen und zu beschreiben. Die d. M. kann daher als ein umgekehrt gestaltpsychologisches Verfahren betrachtet werden. – Die Herausbildung der d.n M. und ihrer Varianten, sowie ihrer Gegenstands- und Anwendungsgebiete hat eine lange Geschichte. Hinsichtlich der zu beschreibenden Gegenstände kann man von einer älteren, kosmologisch-ontologisch ausgerichteten und einer sich daraus entwickelnden mathematisch-naturwissenschaftlich orientierten D. sprechen. Bei Aristoteles findet sich eine ontologisch-kategoriale (sachliche) und eine logische (dialektische, sprachliche) Begriffsbestimmung (Definition) des Seienden und der Seinsweisen. Die erste beschreibt die Kategorien als reelle, höchste Gattungen der Dinge (onta) und die differenten Weisen, wie den Kategorien ihr sie bestimmendes Wesen (ousia) »innewohnt«; die andere fasst die Kategorien als differente, doch analoge Aussageweisen (Prädikamente) über Seiendes. Sie sucht von einer Substanz, einem Wesen, eine Definition (horos) zu geben durch Angabe des nächsthöheren Genus und dessen innerspezifischer Differenz (den sog. sekundären Substanzen) und des Inklusionsverhältnisses der spezifischen Differenz im Genus. Diese logische Bestimmung wird zwar auch nach dem Teil-Ganzes-Verhältnis, wie der Syllogismus, durchgeführt, ist jedoch keine Schlussfolgerung. Aristoteles’ Bestimmung der Definition scheint das Muster abgegeben zu haben für weitere Versuche definitorischer Beschreibungen. Die Logik der Beschreibung entwickelt sich aus der Festlegung der mannigfachen Bedeutungen des logos auf die Definition, ein begründendes Definiens (to ti en einai) von etwas mit dem Anspruch, Erklärung und Beschreibung somit (gegen W. Dilthey) in einem zu leisten. Die d. M. ist in der weiteren Aristotelischen Tradition eine analysierende (resolutive, dialektische), möglichst definite Binnenbeschreibung eines natürlichen Ganzen durch seine logischen Momente oder Teile und deren ordnende und verbindende Klassifikation. Sie wird in den Naturwissenschaften (paradigmatisch etwa in der Erdbeschreibung und in der Chemie) wie in den Geisteswissenschaften (speziell in der Psychologie und Philosophie des Geistes) gleichermaßen, in empiristischer Einstellung, unter Angabe des jeweiligen Bezugsystems (C. Stumpf), angewendet. Das Ziel der d.n M. ist nicht mehr die Beschreibung eines der Erfahrung nicht zugänglichen Wesens, sondern der beobachteten realen Erscheinungsweisen, Phänomene und Ereignisse, sowie ihrer Eigenschaften. Das aufrechterhaltene Postulat der Exaktheit und Vollständigkeit erfordert nun die genaue Beobachtung der Beschreibungsgegenstände und -mittel; einerseits durch kontrollierte experimentelle Untersuchungen und durch Genauigkeit der Messinstrumente, der technischen Hilfsmittel und der protokollierten Aufzeichnungen (K. Bühler), andererseits des andern Instrumentariums der d.n M., der Sprache der Beschreibung. Sprachanalyse und kontextuelle Theorie der Beschreibung (G. Frege, B. Russell, L. Wittgenstein) muss selbst integraler Bestandteil der d.n M. werden, um das Verhältnis von Beschreibung und ihren deskriptiven Begriffen (E. Husserl) und um »Probleme der deskriptiven Bedeutungslehre (Semasiologie)« (A. Marty) zu lösen. Mit der deskriptiven Erhellung der Gesetze der Sprache als System semantischer Kategorien und grammatischer Zeichen (A. Marty) bzw. des Motivzusammenhangs der Sprache (M. Merleau-Ponty) aus der Bedeutung ihrer Momente soll dem Vorurteil, die auf empirische Daten zurückgreifende d. M. sei bloß oberflächliche Konstatierung vereinzelter konkreter Tatsachen, mithin keine wissenschaftliche Methode, abgeholfen werden.
Literatur:
- Aristoteles: Kategorien, 2a 15–18; Analytica posteriora 91b 35–92a 5
- F. Brentano: Deskriptive Psychologie. Hamburg 1982
- K. Bühler: Tatsachen und Probleme zu einer Psychologie der Denkvorgänge. In: Arch. für die gesamte Psychologie 9 (1907). S. 297–365 u. ebd. 12 (1908). S. 1–92
- W. Dilthey: Ideen über eine beschreibende und zergliedernde Psychologie (Ges. Schriften. 5). Stuttgart/Göttingen 1982. S. 139 ff
- G. Frege: Über Sinn und Bedeutung. In: Zs. für Philosophie und philosophische Kritik 200 (1892). S. 25–50
- K. Hedwig: Deskription. In: Brentano Studien I (1988). S. 31–45
- E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie 1. Hua III. Den Haag 1976. §§ 73 u. 74
- A. Marty: Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie. Halle 1908. Hildesheim 21976. §§ 19 u. 22
- B. Russell: On Denoting (1905). In: Logic and Knowledge. London 1956. S. 39–56
- Ders.: Knowledge by Acquaintance and Knowledge by Description. In: Mind 22 (1913)
- C. Stumpf: Erkenntnislehre. 2. Bd. Leipzig 1940. S. 685 ff. u. 853 ff
- L. Wittgenstein: Tractatus (1921). Frankfurt 1960.
WB
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