Metzler Lexikon Philosophie: Determinismus/ndeterminismus
Nach der klassischen Denkweise waren die Fundamentalgesetze der Physik ausnahmslos deterministische Gesetze: Das Universum wurde als ein deterministisches System konzipiert. Mit der Entstehung der Quantenphysik setzte sich die Auffassung durch, dass die physikalischen Gesetze (nur) einen statistischen Wert tragen. Der Wert der uns interessierendenden Zustandsgrößen ist nur bis auf Wahrscheinlichkeiten bestimmt. Die Einsicht in den indeterministischen Charakter der Physik hängt mit Heisenbergs Unschärfe- und Unbestimmtheitsrelation zusammen. Danach ist es prinzipiell unmöglich, eine gleichzeitige Messung miteinander verbundener (d.i. konjugierter) Größen vorzunehmen (z.B. eine genaue Messung von Ort und Impuls eines Elementarteilchens). Die entscheidende Veränderung gegenüber der klassischen Physik liegt darin, dass nicht mehr von dem (klassischen) mechanischen Zustandsbegriff ausgegangen wird. Dieser hatte die Annahme zur Grundlage, dass das System abgeschlossen ist und aus einer endlichen Anzahl von Partikeln besteht. Auf diesen Annahmen basiert die weitere Annahme, dass der mechanische Zustand des Systems (zur Zeit t) vollkommen bestimmt ist. – In der modernen Physik kann sich die Bezeichnung »deterministisch« entweder auf Gesetze oder auf Systeme oder auf Theorien beziehen. Den deterministischen Gesetzen stehen die statistischen gegenüber. Für deterministische Systeme gilt als Voraussetzung, dass es möglich ist, für die fraglichen Systeme den Begriff des Zustands genau zu definieren. Da es unmöglich ist, die Zustände eines Systems in allen denkbaren Hinsichten zu beschreiben, muss man die Beschränkung auf eine Klasse von Eigenschaften (bzw. quantitativen Zustandsgrößen) vornehmen. So ist bspw. die klassische Mechanik (nur) deterministisch in Bezug auf die mechanischen Merkmale von Systemen. Mit einem solchen mechanischen D. ist durchaus die Auffassung verträglich, dass die Systeme in Bezug auf ihre nichtmechanischen Eigenschaften nicht deterministisch sind. In einer deterministischen Theorie ist immer nur in Bezug auf eine erwähnte Klasse von Eigenschaften oder Zustandsgrößen von einem deterministischen System die Rede.
(2) Im Kontext der Ethik wird der Gegensatz von D. und Freiheit unter dem Aspekt der Verantwortlichkeit einer Person für ihre Handlungen diskutiert. Es wird dabei vorausgesetzt, dass Freiheit die notwendige Bedingung dafür ist, dass eine Person für ihre Handlung gelobt oder zur Rechenschaft gezogen werden kann. In Bezug auf eine Theorie des Handelns können zwei Versionen von D. unterschieden werden: (1) Die These eines physiologischen D. ist, dass alle Handlungen von Personen durch vorausliegende körperliche Umstände nach physikalischen Gesetzen determiniert sind. (2) Die These des psychologischen D. ist, dass alle Handlungen von Personen oder mindestens einige ihrer Charakteristika durch vorausliegende psychische Umstände nach psychologischen Gesetzen determiniert sind. Geht man davon aus, dass die Menschen durch Naturgesetze bestimmt sind, dann wird dem Menschen damit die Möglichkeit zu einer freien Entscheidung abgesprochen. Behauptet man dagegen die Verantwortlichkeit, dann muss man unterstellen, entweder dass der Mensch keinerlei mechanischen Gesetzen unterliegt oder dass es neben den mechanischen Gesetzen noch die Möglichkeit zur Selbstbestimmung gibt. – In der Diskussion wird die Position des D. nochmals unterschieden in einen »harten Determinismus« und einen »weichen Determinismus«. Der harte D. schließt neben der Möglichkeit einer freien Entscheidung auch die Verantwortlichkeit des Menschen für seine Handlung aus. Repräsentativ dafür steht das metaphysische Kausalprinzip von d’Holbach, das eine apriorische Aussage über die Notwendigkeit, mit welcher alle Ereignisse der Welt eintreffen, darstellt. Losgelöst von einer solchen metaphysischen Deutung wird der D. als hypothetischer Satz formuliert: Wenn alle menschlichen Handlungen aus vorausliegenden Umständen nach Gesetzen hervorgehen, dann ist zu bezweifeln, dass Personen für ihre Handlungen moralisch verantwortlich sind. Der Wenn-Teilsatz wird dabei als gegenwärtig noch unbestätigt, aber im Prinzip als bestätigbar angesehen. Unter die Bezeichnung »weicher Determinismus« werden jene Auffassungen subsumiert, die einerseits behaupten, dass das Handeln des Menschen determiniert ist, andererseits aber die Möglichkeit einräumen, dass der Mensch bei Abwesenheit von äußerem und innerem Zwang in einem Sinne frei ist, der ausreicht, um Verantwortlichkeit zu begründen und Belohnung oder Bestrafung zu rechtfertigen. Diese Auffassung wird auch als »These der Vereinbarkeit« bezeichnet. Eine solche Position ist in der Stoa und bei Hobbes vorgezeichnet, wird aber meistens in Bezug auf Humes Unterscheidung zwischen Freiheit des Willens und Freiheit des Handelns und mit Bezug auf seine Deutung des Gesetzesbegriffs vertreten. Die Freiheit des Willens i.S. des Freiseins von allen Bedingungen würde nach Hume dazu führen, dass keinerlei Motive, Wünsche oder Charakterzüge die Entscheidungen begründen könnten. Eine derartige Bedingungslosigkeit der Entscheidung hätte zur Konsequenz, dass keine Verbindung zwischen dem Charakter einer Person und ihren Handlungen hergestellt werden könnte, so dass diese Handlung der Person auch nicht zugerechnet werden könnte. Freiheit der Handlung heißt, dass eine Person ohne Beeinträchtigung durch äußere Umstände eine Handlung ausführen kann. Humes Begriff der Determination beinhaltet nicht, dass eine Person so handeln muss, weil das Handeln aus vorausliegenden Umständen nach Gesetzen hervorgeht. Sein Gesetzesbegriff drückt nur eine beobachtbare (und durch weitere Beobachtungen bestätigbare) Regelhaftigkeit aus. D. ist demnach so zu verstehen, dass jedermanns Handlungen so beschrieben werden können, dass ein regelhafter Zusammenhang mit vorausliegenden Umständen sichtbar wird. Die grundlegende These der Vereinbarkeitstheorie ist, dass eine Person dann für ihre Handlung verantwortlich ist, wenn sie durch soziale Sanktionen (Lob oder Strafe) im Hinblick auf zukünftiges Verhalten beeinflusst werden kann. In der analytischen Sprachphilosophie wurde die Diskussion von Moores Erörterung der für die Annahme der Verantwortlichkeit relevanten Sätze »A hätte anders handeln könnnen« und »A hätte anders gehandelt, wenn A anders entschieden hätte« angestoßen. Moore vertritt die These, dass der erste Satz sinngleich ist mit dem zweiten und dieser mit dem D. verträglich ist. Die weiterführende Diskussion wurde durch Austins Kritik an Moore und durch Strawsons Vorschlag, die Handlungen im Kontext eines Bezugsrahmens zu erörtern, bestimmt.
Mit der Auffassung, dass der Mensch frei von deterministischen Zusammenhängen entscheiden könne, werden meist zusätzliche Annahmen angeführt. Sie unterstellen eine Instanz, die die Handlungen ins Werk setzt, ohne dass sie ihrerseits nach empirischen Gesetzen durch einen vorausliegenden Zustand oder die persönliche Psyche determiniert ist. Kant bestimmt Willensfreiheit als das Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen. Sie besteht darin, dass der Wille sich letztlich nicht von Antrieben der Sinnlichkeit bestimmen lässt. Der freie Wille ist aber nicht als ein empirischer Wille zu verstehen, sondern transzendental als ein Reflexionsverhältnis zu denken. Chisholm geht davon aus, dass für die Annahme der Verantwortlichkeit die Annahme der Willensfreiheit und für diese wiederum die Annahme der immanenten Verursachung gemacht werden müsse. Durch die Annahme einer immanenten Verursachung will er dem Argument entgegentreten, eine willensfreie Handlung sei indeterminiert und eine indeterminierte dem Handelnden nicht zurechenbar.
Literatur:
- A. Beckermann: Handeln und Handlungserklärungen. In: Analytische Handlungstheorie 2. Frankfurt 1985. S. 7 ff
- D. Hume: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand. Hamburg 1965
- Ders.: Ein Traktat über die menschliche Natur. Bd. II. Hamburg 1978. S. 136 ff
- I. Kant: Kritik der praktischen Vernunft
- U. Pothast: Die Unzulänglichkeit der Freiheitsbeweise. Frankfurt 1987
- Ders.: Einleitung. In: Seminar: Freies Handeln und Determinismus. Hg. U. Pothast. Frankfurt 1978. S. 7 ff
- W. Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Bd. I. New York/Heidelberg/Berlin 2. verb. A. 1983. S. 559–582.
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