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Metzler Lexikon Philosophie: Deutscher Idealismus

Periode innerhalb der Problem- und Theoriengeschichte der klassischen Philosophie zwischen Kant und Hegel. Er umfasst einen Zeitraum, der von 1790, der Tübinger Studienzeit der Begründer des D.n I., Hegel, Hölderlin und Schelling, bis zum Tode von Hegel 1831 reicht. Der späte Schelling der Münchner und Berliner Zeit gehört mit seinen mythologie- und offenbarungsphilosophischen Schriften in einem kategorischen Sinne nicht mehr zur Geschichte des D.n I.

Der D. I. knüpft an die Ergebnisse des von Kant seit der Kritik der reinen Vernunft (1781) entworfenen Kritischen Idealismus an, der die philosophische Erkenntniskompetenz, die der traditionellen Metaphysik abhanden gekommen war, wieder restituierte. Der Kantische Kritische Idealismus unterzog erst einmal die Erkenntnisvorgänge, so wie sie sich im erkennenden Subjekt vollziehen, einer gründlichen Revision, d.h., er ließ die philosophierende Vernunft nicht in uns unbekannte »Räume« jenseits unserer Sinnenwelt schweifen, sondern er konzentrierte ihre Aufmerksamkeit auf den dunklen Raum unseres Verstandes. Er wandte sich den Funktionen der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien) zu, der Anschauung, der Erscheinung und der Verknüpfung von Sinn und Verstand; er bestimmte das, was Erkenntnis fortan rechtens heißen wollte, mittels strikter Erfahrungsgebundenheit. Damit sensibilisierte Kant die Philosophie wieder mit einem kritischen Bewusstsein von den Grenzen unseres menschlichen Verstandes und unserer erfahrbaren Welt.

Hatte sich die Philosophie dadurch zwar vielerorts als ungeahnt umstürzende Kritik ausgewiesen, so blieben doch am Kantischen Idealismus zwei zentrale Problemlagen defizitär; zum einen schien durch die Kantische Bestimmung der »Dinge-an-sich-selbst-betrachtet« als prinzipiell unerkennbar die »Reichweite« der Vernunft unzulässig eingeschränkt und dadurch, zum zweiten, der Status der Vernunft selber hoch insuffizient. Hier nun setzt der D. I. ein mit seinem Projekt einer »Vernunfttheorie nach der Vernunftkritik«. Es wurde ursprünglich entworfen im Tübinger Stift (zwischen 1790 und 1793), in den Diskussionen zwischen Schelling, Hegel, Hölderlin und ihrem Repetenten C. I. Diez, sowie in den Begegnungen Hölderlins und seiner Freunde J. Zwilling und I. v. Sinclair mit J. G. Fichte an der Universität Jena (1794–1796). Die Tübinger jungen Idealisten wurden dabei inspiriert von F. H. Jacobi, der bereits 1787 (in: David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus) eine scharfsinnige Kritik des »Ding-an-sich«-Problems vorlegte und der auch in seiner Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn die Vernunft-Denkform entschieden problematisierte. Jacobi nämlich machte anhand von Spinoza deutlich, dass es Dimensionen und Verhältnisse gäbe – exemplarisch das Substanzproblem –, die sich nicht in der Begriffsform behandeln lassen. Die Vernunft brauche aber, so Jacobi, wegen jener Grenzen der Begriffsform »nicht in Verzweiflung zu geraten«. Folgende Überlegung wurde nun in Tübingen bzw. Jena aus dieser Einsicht gezogen: Offensichtlich ist unser Ich, das Subjekt als reflektierendes Selbstverhältnis, doch etwas, was nicht wie ein endlicher Gegenstand zu behandeln ist, das also nicht mit der herkömmlichen Subjekt-Objekt-Form gegenständlicher Erkenntnis begrifflich erfasst werden kann. Wäre das Subjekt etwa ähnlich jener spinozistischen Substanz erfasst? Zur unmittelbaren Vorgeschichte des D.n I. ist auch der Begründer des Jenenser Kantianismus, C. L. Reinhold, zu zählen, der zwischen 1787 und 1794 a.o. Professor für Philosophie in Jena war und dessen Nachfolger Fichte wurde. Reinhold sah sich durch den Methodenpluralismus der Metaphysik religionsphilosophisch einem Vernunft-Paradoxon gegenüber, demzufolge die Erkenntnis Gottes genau nur durch Vernunft möglich sei bzw. ganz unmöglich sei; und natürlich musste dieser antinomische Zustand aufgelöst werden. Das geschah durch eine neue Beantwortung der Frage: »Was vermag die Vernunft?« – So wurde von verschiedenen Seiten her das Problem einer notwendigen Neubestimmung der Vernunft dringlich. Die Lösung des D.n I.: durch Transfer der spinozistischen Substanz ins Subjekt, der es zum Unbedingten aufwertet, jenen Begriff des Absoluten, des absoluten Ich, zu gewinnen, mit dem ein wirklich universales, einheitliches, identitätsstiftendes Prinzip für alle Wirklichkeit des Denkens und der Natur zu begründen wäre. Eine erste – freilich bis 1917 unveröffentlicht gebliebene – Systemskizze dieser neuen Philosophie bildet das sog. »Älteste Systemprogramm« des D.n I.; es ist dies ein von Hegels Hand überliefertes Manuskript aus dem Jahre 1796/97. Hier wird gleich anfangs postuliert: »Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut freien Wesen. Mit dem freien, selbstbewussten Wesen tritt zugleich eine ganze Welt – aus dem Nichts hervor.« Der oder die Verfasser dieses Textes sind ganz offensichtlich mit der Bewusstseinslage bei der Programmstellung zu diesem neuen Denken bestens vertraut.

Diese neue Philosophie des Absoluten wird dann namentlich von Fichte (Wissenschaftslehre, 1794 ff.), Schelling (Vom Ich als Princip der Philosophie, 1795; System des trancendentalen Idealismus, 1800) und Hegel (Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie, 1801) sowie vor allem dann in dem von Schelling und Hegel in Jena 1802/03 gemeinsam herausgegebenen Kritischen Journal der Philosophie entwickelt. Eine zentrale Ausprägung erfährt der D. I. in der Naturphilosophie, die entwickelt wurde von Schelling (Ideen zu einer Philosophie der Natur, 1797; Von der Weltseele, 1798), J. W. Ritter (Beweis, daß ein ständiger Galvanismus den Lebensproceß in dem Thierreich begleite, 1798; Fragmente aus dem Nachlasse eines jungen Physikers, 1810), H. Steffens (Beyträge zur innern Naturgeschichte der Erde, 1801; Grundzüge der philos. Naturwissenschaft, 1806), J. J. Wagner (Von der Natur der Dinge, 1803), G. H. Schubert (Ahndungen einer allgemeinen Geschichte des Lebens, 1806) oder F. v. Baader (Beiträge zur dinamischen Philosophie im Gegensaze der mechanischen, 1809).

Ihr übergreifendes Problem war es, den grundlegenden Wirklichkeitszusammenhang, den zwischen Natur und Freiheit, als vom Subjekt produzierten begreifbar zu machen. Indem jetzt, mit durchaus entwickelter transzendentalphilosophischer Methodik, nach den Bedingungen der Möglichkeit der Natur als Tätigkeit gefragt wird, ergibt sich die Möglichkeit, die Differenz, den Zwiespalt, das Getrennt-Sein von Subjekt und Objekt zu überwinden und im Genetischen, im Werden des Einen für den Anderen, ein dynamisch verfasstes Identisches neu zu bestimmen. Die äußere Welt, so die naturphilosophische Überzeugung des D.n I., ist von uns zu entfalten, um die Genesis unseres Geistes in ihr wiederzufinden. Weil es dem D.n I. auch in der Naturphilosophie immer um die Natur und uns Menschen als Wirklichkeitszusammenhang geht, vermochte er vor reduktionistischen Engführungen in der Philosophie wie in den Naturwissenschaften frühzeitig zu warnen; hier liegen auch die heuristischen Werte für die Begegnung mit dem D.n I. in der Gegenwart.

In seiner entwickeltsten Form hat dann der spekulative Philosophiebegriff des D.n I. – bei Hegel – das Ganze als das Wahre wieder in einer Wissensform, als absolutes Wissen, begreifen wollen. Hier wird – in gewisser Weise als systematischer »Schlussstein« der Geschichte des D.n I. – ein spekulativer Monismus präsentiert, der einer der absoluten Idee, d.h. der wissenden Vernunft ist, in der alle Zeitformen aufgehoben sind. Nur so kann sie erreichen, was Kunst und Religion immer nur anstrebten, nämlich Gott zu erkennen.

Literatur:

  • R. Bubner: Innovationen des Idealismus. Göttingen 1995
  • St. Dietzsch: Dimensionen der Transzendentalphilosophie 1780–1810. Berlin 1990
  • N. Hartmann: Die Philosophie des deutschen Idealismus. 2 Bde. Berlin 1923/1929
  • D. Henrich: Konstellationen. Probleme und Debatten am Ursprung der idealistischen Philosophie (1789–1795). Stuttgart 1991
  • R.-P. Horstmann: Die Grenzen der Vernunft. Eine Untersuchung zu Zielen und Motiven des Deutschen Idealismus. Frankfurt 1991
  • J. Kopper: Das transzendentale Denken des Deutschen Idealismus. Darmstadt 1989
  • M. Kronenberg: Geschichte des deutschen Idealismus. 2 Bde. München 1909/1912
  • H. J. Sandkühler (Hg.): Handbuch Deutscher Idealismus. Stuttgart/Weimar 2005
  • S. Žižek: Psychoanalyse und die Philosophie des deutschen Idealismus. Wien 1994.

SD

  • Die Autoren
AA Andreas Arndt, Berlin
AB Andreas Bartels, Paderborn
AC Andreas Cremonini, Basel
AD Andreas Disselnkötter, Dortmund
AE Achim Engstler, Münster
AG Alexander Grau, Berlin
AK André Kieserling, Bielefeld
AM Arne Malmsheimer, Bochum
AN Armin Nassehi, München
AR Alexander Riebel, Würzburg
ARE Anne Reichold, Kaiserslautern
AS Annette Sell, Bochum
AT Axel Tschentscher, Würzburg
ATA Angela T. Augustin †
AW Astrid Wagner, Berlin
BA Bernd Amos, Erlangen
BBR Birger Brinkmeier, Münster
BCP Bernadette Collenberg-Plotnikov, Hagen
BD Bernhard Debatin, Berlin
BES Bettina Schmitz, Würzburg
BG Bernward Gesang, Kusterdingen
BI Bernhard Irrgang, Dresden
BK Bernd Kleimann, Tübingen
BKO Boris Kositzke, Tübingen
BL Burkhard Liebsch, Bochum
BR Boris Rähme, Berlin
BS Berthold Suchan, Gießen
BZ Bernhard Zimmermann, Freiburg
CA Claudia Albert, Berlin
CH Cornelia Haas, Würzburg
CHA Christoph Asmuth, Berlin
CHR Christa Runtenberg, Münster
CI Christian Iber, Berlin
CJ Christoph Jäger, Leipzig
CK Christian Kanzian, Innsbruck
CL Cornelia Liesenfeld, Augsburg
CLK Clemens Kauffmann, Lappersdorf
CM Claudius Müller, Nehren
CO Clemens Ottmers, Tübingen
CP Cristina de la Puente, Stuttgart
CS Christian Schröer, Augsburg
CSE Clemens Sedmak, Innsbruck
CT Christian Tewes, Jena
CZ Christian Zeuch, Münster
DG Dorothea Günther, Würzburg
DGR Dorit Grugel, Münster
DH Detlef Horster, Hannover
DHB Daniela Hoff-Bergmann, Bremen
DIK Dietmar Köveker, Frankfurt a.M.
DK Dominic Kaegi, Luzern
DKÖ Dietmar Köhler, Witten
DL Dorothea Lüddeckens, Zürich
DP Dominik Perler, Berlin
DR Dane Ratliff, Würzburg und Austin/Texas
EE Eva Elm, Berlin
EJ Eva Jelden, Berlin
EF Elisabeth Fink, Berlin
EM Ekkehard Martens, Hamburg
ER Eberhard Rüddenklau, Staufenberg
EWG Eckard Wolz-Gottwald, Davensberg
EWL Elisabeth Weisser-Lohmann, Bochum
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FG Frank Grunert, Basel
FPB Franz-Peter Burkard, Würzburg
FW Fabian Wittreck, Münster
GK Georg Kneer, Leipzig
GKB Gudrun Kühne-Bertram, Ochtrup
GL Georg Lohmann, Magdeburg
GM Georg Mildenberger, Tübingen
GME Günther Mensching, Hannover
GMO Georg Mohr, Bremen
GN Guido Naschert, Tübingen
GOS Gottfried Schwitzgebel, Mainz
GS Georg Scherer, Oberhausen
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SIK Simone Koch, Bochum
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UT Udo Tietz, Berlin
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VG Volker Gerhardt, Berlin
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WAM Walter Mesch, Heidelberg
WB Wilhelm Baumgartner, Würzburg
WH Wolfram Hinzen, Bern
WJ Werner Jung, Duisburg
WK Wulf Kellerwessel, Aachen
WL Winfried Löffler, Innsbruck
WM Wolfgang Meckel, Butzbach
WN Wolfgang Neuser, Kaiserslautern
WP Wolfgang Pleger, Cochem/Dohr
WS Werner Schüßler, Trier
WST Wolfgang Struck, Erfurt
WSU Wolfgang Schulz, Tübingen
WvH Wolfram von Heynitz, Weiburg

Herausgegeben von Peter Prechtl (†) und Franz-Peter Burkard.

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