Metzler Lexikon Philosophie: Funktionalanalyse
eine Form wissenschaftlicher Erklärung, in der die Eigenschaft eines Systems (wie z.B. eines Organismus oder eines sozialen oder wirtschaftlichen Gebildes) als ein notwendiges Funktionselement für das Funktionieren dieses Systems beschrieben wird. z.B. wird das Vorhandensein von Leukozyten im menschlichen Blut dadurch erklärt, dass man auf ihre Funktion für den menschlichen Organismus, nämlich diesen Organismus gegen eindringende Mikroorganismen zu schützen, verweist. Das System ist in diesem Beispiel der menschliche Gesamtorganismus, die Leukozyten die Systemteile, die zu erfüllende Aufgabe ist das gesunde Weiterbestehen des Gesamtorganismus. – Solche Erklärungsweisen finden sich vorwiegend in anthropologischen, soziologischen, psychologischen und (zum Teil noch) biologischen Theorien. Aus wissenschaftstheoretischer Perspektive wird Skepsis gegenüber dem wissenschaftlichen Erklärungsanspruch der F. geäußert. Eine Analyse der logischen Struktur wurde im Gefolge von Hempel durch Stegmüller entwickelt. Prämissen: (a) das System S funktioniert zur Zeit t in der Situation von der Art Z adäquat (Normalitätsstandard des Systems); (b) für einen beliebigen Zeitpunkt gilt: das System S funktioniert zu diesem Zeitpunkt nur dann adäquat (normal), wenn eine bestimmte notwendige Bedingung N (i.S. der Funktion) erfüllt ist; (c) die Bedingung N ist am System S zur Zeit t genau dann erfüllt, wenn in S zur Zeit t eines der Merkmale aus einer Klasse von möglichen hinreichenden Bedingungen realisiert ist; Konklusio: Eines der Merkmale aus der Klasse der möglichen hinreichenden Bedingungen ist in S zur Zeit t verwirklicht. Die bedeutsame Veränderung der entwickelten logischen Struktur liegt darin, dass nicht mehr von einer Eigenschaft als notwendigem Merkmal i.S. der funktionellen Unersetzlichkeit gesprochen wird, sondern von funktionellen Alternativen (Äquivalenten oder funktionellen Substituten), die in einer Klasse hinreichender Bedingungen repräsentiert sind. Durch diese Rekonstruktion einer logischen Struktur der F. wird die Aussage wesentlich abgeschwächt. Denn dadurch wird nicht mehr eine bestimmte Eigenschaft funktional erklärt, sondern nur noch behauptet, dass irgendeine aus der Klasse der notwendigen und hinreichenden Bedingungen erfüllt ist. Für psychologische und soziologische Phänomene geht durch die veränderte Funktionalerklärung möglicherweise der ursprünglich intendierte Erklärungswert verloren. – Einer anderen Umformulierung zufolge würde die funktional erklärte Eigenschaft nicht mehr als notwendige Bedingung, sondern als optimale Eigenschaft für das normale Funktionieren des Systems begründet.
Literatur:
- W. K. Essler: Wissenschaftstheorie. Bd. IV: Erklärung und Kausalität. Freiburg/München 1979. S. 180–193
- W. Stegmüller: Die Logik der Funktionalanalyse. In: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Bd. 1: Erklärung, Begründung, Kausalität. New York/Heidelberg/Berlin 21983. S. 676–705.
PP
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